Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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der Stadt Danzig war die Aufregung groß. Troßknechte, die im Lager zu Frögenau den Anmarsch der siegreichen Polen nicht erwartet, sondern über Hals und Kopf sich und ihre Packpferde in Sicherheit gebracht hatten, erschreckten die Stadt durch ihre erste Nachricht von einer großen verlorenen Schlacht, vom Vordringen des Königs und Großfürsten.

      Die besonnenen Bürger schenkten ihnen nur halben Glauben. Aber wenige Tage später langten in kleineren und größeren Rotten die traurigen Reste der Bürgerfähnlein an, die sich aus dem Tannenberger Blutbade gerettet hatten, und ihre Schilderungen von den Schrecknissen der Schlacht und der Niederlage des Ordens überboten weit die Befürchtungen der Zaghaftesten. Viele Hundert Danziger Bürgersöhne und Schiffskinder waren gefallen oder unterwegs bei der eiligen Flucht an ihren Wunden verblutet, überall in den Häusern war Trauer; Verwünschungen wurden gegen den Orden laut.

      Maria Huxer war voll Unruhe. Hatte ihr Liebster an der Schlacht wirklich teilgenommen, und was war aus ihm geworden? Ihr Liebster war Heinz von Waldstein doch, und mit allen Gedanken war sie seit seiner Abreise stets bei ihm gewesen, wenn sie's auch niemand merken lassen wollte – am wenigsten den Vater. Rambold von Xanten, des Schultheißen Sohn, war zu deutlich von Huxer begünstigt worden. Freilich ließ sie sich seine Huldigungen gefallen, lachte über seine Scherzreden, spielte mit ihm Damenbrett und neckte ihn, wenn er sie mit Anwandlungen von verliebter Schwermut heimsuchte. Allen ernstlicheren Bewerbungen aber wich sie aus, und nicht einmal zum Willkommen und Abschied erlaubte sie ihm, ihre Hand eine Minute länger zu halten, als es der Gruß bedingte. Erinnerte er einmal, um sie auszuholen, selbst an das Ringstechen und an den geschickten Gast, so ging sie in ihrer munteren Weise auf das Gespräch ein und lobte nun den fremden Junker so scherzhaft als einen Ausbund von Ritterlichkeit, daß er nicht daraus klug werden konnte, wieviel davon auf die neckische Absicht kam. Wirkliche Besorgnisse seinetwegen waren ihm fern. War er doch des Schultheißen Sohn!

      Nun erschien Maria plötzlich ganz verändert. Sprach sie überhaupt, so war's über den Krieg, als ob sie im Rat mitzusitzen und ihre Stimme abzugeben hätte. Aufs genaueste wollte sie alles wissen: wie weit der König jetzt vorgedrungen sei, welche Burgen er eingenommen hätte, welche Städte ihm zugefallen wären. Die Erkundigungen nach diesen Dingen waren aber nur die Einleitung zu den wichtigeren Fragen über die Schlacht und ob man erfahren habe, wer von Bekannten und Freunden gefallen oder gerettet sei. Sie hoffte so, beiläufig auch etwas über Heinz zu vernehmen, aber Rambold dachte nur an die Bürgersöhne und nannte Namen, die ihrem Herzen ein leerer Schall blieben. Ihr wißt auch nichts, schalt sie ihn, wenn er sich alle Mühe gegeben hatte, ihr Neuigkeiten zuzutragen.

      Nun mußte sie sich doch der alten Bärbe eröffnen. Ich vergehe vor Angst, sagte sie, sich an ihre Brust werfend. War er in der Schlacht –? Lebt er oder ist er … Sie konnte das schmerzliche Wort nicht aussprechen. Ihre zitternde Hand hielt das kleine Kreuz, das er ihr geschenkt hatte.

      Ei, wie kann man sich solches Herzeleid machen um ungewisse Dinge? verwies die gute Frau. Das alles muß man Gott anheimgeben. Ich meinte, Ihr hättet den hübschen Junker längst vergessen, und das wär' auch das beste gewesen – wahrhaftig! Denn das merkt Ihr wohl, wo Euer Herr Vater hinaus will, und wenn der einmal etwas auf die Hörner genommen hat, so läßt er's so bald nicht los. Es ist auch soweit gegen den jungen Rambold nichts einzuwenden, und er ist guter Leute Kind und wird sicher einmal zu Ehren kommen in der Stadt. Was aber den andern betrifft – nun, ich füge auch heute nichts gegen ihn, aber sässig ist er doch nicht, und wer durch das Schwert zu Ansehen kommen will, der muß überall sein Leben wenig achten. Daß er in der Schlacht mitgefochten hat, nehme ich für gewiß an, weil er zum Hochmeister wollte, und wenn ich weiß, daß bei einer Gefahr zehn umgekommen sind und nur einer gerettet ist, so mache ich mich auf das Schlimmste gefaßt. Schlagt Euch also den Junker aus dem Sinn und laßt Euch den Kummer nicht tief gehen. Ist er gefallen, so war's Gottes Wille, daß Ihr nicht später noch schwereres Leid erfahren solltet.

      Barbara tat gleichwohl, was sie konnte. Aber man wußte ihr nichts Weiteres mitzuteilen, als daß der Junker vor der Schlacht im Gefolge des Hochmeisters gesehen sei, als derselbe die Linien abritt. Nun war's freilich gewiß, daß er mitgefochten hatte, aber die Unruhe und Bekümmernis um ihn wurde nur um so größer.

      Dann kam die Nachricht, daß der Komtur von Schwetz die Marienburg besetzt habe und Mannschaft von den Danzigern begehrte. Huxer erzählte zu Hause von einer stürmischen Ratsitzung, und wie es Konrad Letzkau nur mit großer Mühe gelungen sei, gegen Arnold Hecht und seinen Anhang die Bewilligung durchzusetzen. Nun nahm's Maria als sicher an, daß Heinz, wenn er am Leben sei, seinen Verwandten, den Komtur Plauen, aufsuchen und ihm bei der Verteidigung der Burg hilfreiche Hand bieten werde. Ach, vielleicht war er nur wenige Meilen entfernt.

      Es traf sich so, daß Barbaras Schwestersohn, Klaus Poelke, unter den ausgehobenen Schiffskindern war, die nach der Marienburg geschickt wurden. Er erhielt Auftrag, sich nach dem Junker Heinz von Waldstein zu erkundigen und die Gelegenheit abzupassen, wenn ein Bote nach Danzig entsandt werde, dem aber zugleich eine Bestellung an seine Muhme aufzutragen. So war nun alles geschehen, was geschehen konnte, und es blieb wirklich nur übrig, geduldig zu warten.

      Im Großen und im Kleinen Artushof gab es allabendlich sehr erregte Versammlungen der Bürger. Man scheute sich schon nicht mehr, ganz laut von Abfall und Übertritt zum König zu sprechen.

      Konrad Letzkau erfuhr davon durch Barthel Groß; er selbst besuchte den Hof nicht, um als Haupt der Stadt dem Parteitreiben fernzubleiben. Er wandte sich an die Ältesten des Hofes und ersuchte sie, solche Reden zu verbieten. Noch erkenne Danzig die Ordensherrschaft an, und man solle der Stadt nicht nachsagen, daß sie ohne Not abtrünnig geworden sei und sich dem König in die Arme geworfen habe. Es würde ihm leid sein, wenn er den Hof schließen müßte.

      Man schüttelte den Kopf über des Bürgermeisters unbegreifliche Ordensfreundlichkeit.

      Arnold Hecht suchte ihn deshalb in seinem Hause auf und machte ihm ernstliche Vorstellungen. Ich verstehe Euch nicht, sagte er. Eine so gute Gelegenheit, die Stadt von dem unerträglichen Joch der Ordensherrschaft zu befreien, kehrt nicht wieder. Das Ordensheer ist vernichtet, das Land dem König offen, der Schrecken überall groß. Es wäre ein leichtes, jetzt sogar das Schloß in unsere Gewalt zu bringen. Weshalb zögert Ihr, weshalb widersetzt Ihr Euch denen, die es mit der Stadt Freiheit gut meinen?

      Ich will nicht mit Euch darüber streiten, lieber Kumpan, antwortete Letzkau, ob uns die Ordensherrschaft wirklich ein unerträgliches Joch aufgelegt hat. Vieles wünschte auch ich anders bestellt; wenn ich mich aber umgeschaut habe auf meinen Reisen, so hab' ich wenig Städte kennengelernt, die unter milderer Herrschaft standen. Der König von Polen wird viel versprechen. Aber was er uns hält, wenn er alle Macht in Händen hat und wir ihm zu willig nachgeben, das wissen wir nicht. Doch von alledem darf jetzt nicht die Rede sein. Der Orden hat eine Schlacht verloren; völlig besiegt ist er nicht. Ein tapferer, entschlossener Mann hat die Fahne aufgehoben und hält sie hoch in der Marienburg. Ich kenne ihn: es ist der wenigen einer, die noch den alten Geist der Ritterschaft in sich bewahrt haben, wie er vor fünfzig Jahren und früher stark war in den Brüdern vom Deutschen Hause. Was dieser Eisenkopf will, das setzt er durch, wenn es überhaupt ein Mensch vermag. Darum saget nicht, lieber Kumpan, daß der König Herr ist im Lande. Solange die Marienburg standzuhalten vermag, ist des Königs Gewinn gering, mag er auch ein noch größeres Geschrei wegen seines Sieges erheben.

      Sie wird sich in kurzem der Übermacht ergeben müssen, fiel Arnold Hecht ein. Dann aber ist's für uns zu spät, Bedingungen zu stellen. Es war Torheit, unsere Schiffskinder hinzusenden und den nutzlosen Kampf zu verlängern.

      Es war Pflicht, berichtigte der Bürgermeister; die Ehre der Stadt gebot diese Hilfe. Schmach über sie, wenn sie den Stolz des Landes, die Marienburg, im Stich gelassen hätte! Ob der Kampf nutzlos, wer mag das heut bestimmen? Ein tapferer Mann ist viel wert. Was kann nicht geschehen in wenigen Wochen? Wir dürfen den Orden nicht verlassen, bis es gewiß ist, daß er sich selbst verläßt.

      Arnold Hecht warf den dicken Kopf ins Genick und zog den Mund schief. Ah, Ihr rechnet da mit Zahlen, rief er, die uns nichts angehen! Wir Danziger sind Kaufleute und sehen zu, was unserm Handel dient und unsere Freiheit mehrt. Solch ritterliches Gelüste, dem Schwachen beizustehen und des Dienstmannes Treue in der Not zu bewähren,


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