Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.Es hieß, der König habe den Schuß befohlen und es sei ihm in der Nacht durch einen Engel offenbart worden, daß er in die Burg einziehen werde, wenn er das Steinbild in der Nische niederwerfen und in den Chor der Kapelle eine Bresche schießen lasse. Die einen schüttelten furchtsam den Kopf dazu, die andern meinten, es habe sich ergeben, daß die Ritter mit dem Bilde Abgötterei getrieben hätten und deshalb vom Papst in Rom verflucht seien. Es wäre daher ein gutes und gottgefälliges Werk, diese Sünde von der Welt zu tilgen!
Der Büchsenmacher kümmerte sich um diese Reden und die ängstlichen oder neugierigen Gesichter der Umstehenden nicht, sondern schüttete grobkörniges Pulver in ein Säckchen, mehr als das doppelte Maß von dem, was sonst zu einem kräftigen Schuß gehörte, packte es fest zusammen und schob es in die weite Öffnung des Rohrs, so weit sein nackter Arm reichte. Dann half er mit einer Stange nach, die unten einen Holzkloben hatte, und stampfte dreimal fest auf. Darauf wählte er unter den Steinkugeln am Boden die schwerste und glatteste, rollte sie zwischen den Händen und warf sie prüfend in die Luft, ob sie beim Falle auf die Erde zerspringen werde. Sie bewährte sich und wurde nun sorgfältig in die Büchse geschoben und mit einem Graspfropfen festgehalten. Nun stellte er sich an das Kopfende und richtete nochmals scharf.
Gespannt blickte die Menge bald auf ihn, bald auf das Bild. Da rief einer: Das Christuskind hat die Hand aufgehoben und mit dem Finger gedroht! Laßt ab, Meister! Ein anderer äußerte ängstlich zu den Nachbarn: Seht, seht, die Jungfrau bewegt zornig die Augen! Einige stimmten bei, andere stritten. Man war in allgemeiner Aufregung: die meisten hätten gewünscht, der Schuß wäre unterblieben.
Indes schüttete der Büchsenmeister, ohne sich beirren zu lassen, feines Pulver auf die Platte um das Zündloch und stellte einen Blechreiter gegen den Wind, daß es nicht herabgeweht werde. Dann ließ er sich die brennende Lunte reichen, klopfte sie ab, rief ein weithin hörbares: Nun gebt acht! und brachte die feurige Kohle vorsichtig von hinten her ans Pulver.
Eine Sekunde lang herrschte atemloses Schweigen.
Dann gab's einen entsetzlichen Knall, wie man ihn noch nie von einer Steinbüchse vernommen hatte. Eine gewaltige Pulverwolke hüllte das Geschütz ein und wurde nur langsam vom Winde fortgetragen. Unversehrt stand das Marienbild; mit mildem Ernst wie sonst lächelte die Jungfrau zu dem Kinde auf ihrem Arm hinab. Das Rohr aber war geborsten und abgesprengt. Mit geschwärztem Gesicht und verbranntem Haar lag der Büchsenmeister auf dem Boden, deckte die Hände über die Augen und wimmerte kläglich.
Einige von seinen Knechten hoben ihn auf und trugen ihn fort. Um Himmels willen, was ist Euch geschehen, Meister? fragten sie. O meine Augen, meine Augen, rief er jammernd, ich bin blind!
Da erfaßte die Menge Furcht und Entsetzen. Viele sanken auf die Knie, erhoben die Hände zu dem Bilde und beteten um Vergebung ihrer Sünden. Die meisten flüchteten eiligst und trugen durch das Lager die Schreckenskunde: Der Büchsenmeister des Königs sei mit Blindheit geschlagen, weil er sich an der Mutter Gottes versündigt habe.
Auch Jagello erfuhr, was geschehen war. Er riß sein Gewand über der Brust auf und rief: Weh uns, das ist eine üble Vorbedeutung! Nun werden unsere Feinde hohnlachen, unsere Freunde aber mutlos werden. Betet, betet, daß noch schwereres Unheil von uns abgewandt werde!
Er gelobte der Heiligen Jungfrau eine Kirche zu bauen, so prächtig sie noch nie in einer gethront habe, wenn sie den Frevel seines vorwitzigen Dieners gnädig verzeihen wolle. Aber er glaubte selbst nicht an solche Gunst, und ihm zitterte das Herz wie die zum Schwur erhobene Hand.
In der Burg wußte man bald, was vorgegangen war, und auch hier sah man's als ein Wunder an, daß der Schuß auf das Muttergottesbild sich gegen den frechen Schützen selbst entladen und ihm für immer das Licht der Augen geraubt hatte. So wuchs das Vertrauen auf die gute Sache. Das Kriegsvolk verlangte nun selbst zu Ausfällen vor die Tore hinausgeführt zu werden, und so weit drangen diese Rennhaufen in des Königs Lager ein und so verbissen war ihr Kampf mit dem zwar entmutigten, aber noch immer übermächtigen Feinde, daß die anführenden Ritter und Hauptleute oft große Mühe hatten, sie wieder hinter die Mauern zurückzubringen. Den Königlichen geschah dadurch großer Schaden, und da kaum eine Nacht verging, in der sie nicht aufgestört wurden, so wuchs ihre Unzufriedenheit. In seinem Unmut sagte der König: Wir wähnten, sie seien von uns belagert; allein wir sind's mehr von ihnen.
Wie zum Lohn für seine Standhaftigkeit gingen dem Statthalter nun auch wiederholt gute Nachrichten zu. Die beste brachte ein heimlich eingeführter Brief des Königs von Ungarn. Er ermutigte darin die Verteidiger der Burg, sich tapfer zu halten, und versprach schleunigst in Polen einzufallen und zum Ersatz der Marienburg herbeizueilen. Plauen ließ den Inhalt dieses Schreibens seinen braven Truppen unter Trompeten- und Posaunenschall verkünden. Die Königlichen hörten den Lärm bis ins Lager und verwunderten sich darüber, daß man im Schlosse schon frohe Feste feiere, da sie selbst doch nur Not und Plage hätten.
Nun meinte der Statthalter auch nach außen hin beweisen zu müssen, daß die Sache des Ordens nicht aufgegeben sei. Es kam darauf an, die Freunde mit Geld zu versehen und zur Werbung von Söldnern aufzufordern. So berief er denn den alten Wigand, übergab ihm Wechsel über dreißigtausend Dukaten und Briefe an die Komture in Deutschland und verabredete mit ihm eine List, wie er damit wohlbehalten durch das königliche Lager kommen solle. Es wurde ein Herold zum König geschickt, der um freies Geleit für einen alten Ordenspriester bitten sollte, dessen Körper die Strapazen der Belagerung nicht länger ertragen könne. Jagello, der sich gegen einen Mann der Kirche nicht hart erweisen wollte, ging darauf ein und wurde überlistet. Bald zogen von Deutschland auf allen Straßen Heerhaufen heran.
Bis sie in Preußen anlangen konnten, hatte es freilich noch gute Weile. Aber auch in der Nähe drohte dem König eine nicht zu verachtende Gefahr. Er erhielt glaubhafte Nachricht, daß der Landmarschall von Livland mit einem großen Heer in Königsberg angelangt sei und im Vertrauen darauf das ganze Niederland an den Haff- und Seeküsten und weit ins Land hinein sich für den Orden erhebe. So berief er denn Witowd und schickte ihn mit einem Heerhaufen dem Marschall entgegen. Als der Großfürst aber an das Flüßchen Passarge kam, das sich bei Frauenburg in das Frische Haff ergießt, fand er schon ganz Ermland und Natangen in Aufstand und alle Straßen verlegt. Der Bischof Heinrich Vogelsang von Ermland, der sich einiger Schlösser bemächtigt hatte, hielt es selbst für geraten, ihn vor weiterem Vordringen zu warnen, und so mußte er unverrichtetersache zurückkehren. Vergebens hatte der tapfere und kriegskundige Mann früher seinen erlauchten Vetter gebeten, ihn mit einem Teil des Heeres nordwärts zu schicken, sich des ganzen Ordenslandes zu versichern. Eifersüchtig auf jeden Zuwachs seines Ruhmes, hatte der König ihn zurückgehalten. Nun war's zu spät, das Versäumte nachzuholen.
Jagello schäumte vor Wut. Täglich wurde der polnische Adel unter seinen Fahnen schwieriger, und die Burg, so viel er sie auch mit Büchsen und Bliden beschoß, wollte sich nicht ergeben. Dann sann er darauf, wie er sie durch Verräterei nehmen möchte. Er beriet deshalb mit dem schlauen Bischof von Kujawien, den er seit dem glücklichen Abschluß mit Danzig nun fast unausgesetzt um sich hatte. Der meinte wohl helfen zu können. Bei ihm war der ermländische Domherr Bartholomäus, Dechant zu Frauenburg, ein ränkesüchtiger und sehr verschlagener Priester, der sich vorher beim Statthalter in der Marienburg aufgehalten hatte, auch von ihm mit einer Summe Geld nach Danzig geschickt war, weil er seinen Worten vertraute, daß er sich mit seinem Bischof Heinrich verfeindet habe und dessen Rückkehr ins Land unter polnischen Schutz hintertreiben wolle. Dann hatte der Domherr aber doch gemeint, das Sicherste spielen zu müssen, und war heimlich ins Lager gekommen, seine Dienste anzubieten. Man konnte ihn nun leicht als Spion brauchen, und darauf stützte sich des Bischofs Johannes Plan.
Es ist Ew. Gnaden vielleicht nicht bekannt, sagte er zum König, daß der Baumeister des mittleren Hauses seine Kunst in einem besonderen Falle der Nachwelt vorzüglich wundersam hat erscheinen lassen wollen. Es ist ihm nämlich gelungen, das große Gemach, dessen Fenster dort zwischen den kleinen, die wuchtigen Mauerleisten unterbrechenden Säulen hervorschauen, auf einen einzigen dünnen Granitpfeiler zu wölben, der in der Mitte steht und die ungeheure Last des Oberbaues trägt. Jenes Gemach ist der Remter, in dem die Hochmeister stets ihre Konvente zum Kapitel zu versammeln pflegten und wo sicher der Statthalter jetzt von Zeit zu Zeit mit seinen Getreuen und den Soldhauptleuten zu Rate geht. Können wir