Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.von der gesellschaftlichen Reproduktion, die von Ricardo übernommen war, trotzdem sie mit seiner Werttheorie, die der physiokratischen entgegengesetzt war, jeden Sinn verloren hatte, und trotzdem schon Smith bedeutende Anläufe zur Berücksichtigung wirklicher sachlicher Grundlagen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses gemacht hatte. Immerhin haben wir gesehen, daß sich jene physiokratische Unterscheidung der Landwirtschaft und Industrie als Grundlagen der Reproduktion in der theoretischen Nationalökonomie traditionell erhalten hatte, bis Marx seine epochemachende Unterscheidung der beiden gesellschaftlichen Abteilungen: Produktion von Produktionsmitteln und Produktion von Konsummitteln, eingeführt hat. Hingegen haben die drei Abteilungen v. Kirchmanns überhaupt keinen begreiflichen Sinn. Da hier Werkzeuge mit Möbeln, Rohstoffe mit Nahrungsmitteln zusammengeworfen sind, die Kleider eine Abteilung für sich bilden, so sind offenbar gar keine sachlichen Standpunkte der Reproduktion, sondern reine Willkür bei dieser Einteilung maßgebend gewesen. Es könnte an sich ebensogut oder schlecht eine Abteilung für Lebensmittel, Kleider und Baulichkeiten, eine andere für Apothekerwaren und eine dritte für Zahnbürsten fingiert werden. Es kam v. Kirchmann offenbar nur darauf an, die gesellschaftliche Arbeitsteilung anzudeuten und für den Austausch einige möglichst "gleich große" Produktenmengen vorauszusetzen. Allein der Austausch selbst, um den es sich bei der ganzen Beweisführung dreht, spielt im v. Kirchmannschen Beispiel gar keine Rolle, da nicht Wert, sondern Produktenmenge, Masse der Gebrauchswerte als solcher zur Verteilung gelangt. Andererseits findet in dem interessanten "Ort" der v. Kirchmannschen Phantasie erst Verteilung der Produkte statt, alsdann soll darauf, nach geschehener Verteilung, der allgemeine Austausch stattfinden, während es auf der platten Erde der kapitalistischen Produktion bekanntlich der Austausch ist, der umgekehrt die Verteilung des Produkts einleitet und vermittelt. Dabei passieren in der v. Kirchmannschen Verteilung die wunderlichsten Dinge: Zwar besteht der Preis der Produkte, also auch des gesellschaftlichen Gesamtprodukts, "wie man weiß", nur aus "Arbeitslohn und Kapitalzins", nur aus v + m, und das Gesamtprodukt gelangt auch demgemäß restlos zur individuellen Verteilung unter die Arbeiter und Unternehmer, allein v. Kirchmann hat dabei zu seinem Pech eine schwache Erinnerung bewahrt, daß zu jeglicher Produktion so etwas wie Werkzeuge und Rohstoffe gehören. Er schmuggelt auch in seinem "Ort" unter den Nahrungsmitteln Rohstoffe und unter Möbeln Werkzeuge ein, es fragt sich aber alsdann, wem bei der allgemeinen Verteilung diese unverdaulichen Dinge zufallen: den Arbeitern als Lohn oder den Kapitalisten als Unternehmergewinn? Beide Teile würden sich wohl bedanken. Und unter solchen Voraussetzungen soll dann noch der Clou der Vorstellung stattfinden: der Austausch zwischen den Arbeitern und den Unternehmern. Der grundlegende Austauschakt der kapitalistischen Produktion: der zwischen Lohnarbeitern und Kapitalisten, wird von v. Kirchmann aus dem Austausch zwischen lebendiger Arbeit und Kapital in einen Produktenaustausch verwandelt! Nicht der erste Akt: der Austausch zwischen Arbeitskraft und variablem Kapital, sondern der zweite: die Realisierung des aus variablem Kapital erhaltenen Lohns, wird in den Mittelpunkt des Getriebes gestellt und umgekehrt der ganze Warenaustausch der kapitalistischen Gesellschaft auf diese Realisierung des Arbeitslohns reduziert! Doch dann kommt das schönste: Dieser in den Brennpunkt des Wirtschaftslebens gerückte Austausch zwischen den Arbeitern und den Unternehmern ist bei näherem Zusehen gar keiner, er findet überhaupt nicht statt. Denn nachdem alle Arbeiter ihren Lohn in Naturalien, und zwar in der Hälfte ihres eigenen Produkts erhalten haben, kann jetzt nur noch der Austausch unter den Arbeitern selbst stattfinden, indem die einen ihren in lauter Kleidungsstücken, die anderen den in lauter Nahrungsmitteln und die dritten den in lauter Möbeln bestehenden Lohn nunmehr so untereinander austauschen, daß jeder Arbeiter seinen Lohn zu je einem Drittel in Nahrung, Kleidung und Möbeln realisiert. Mit Unternehmern hat dieser Austausch nichts mehr zu tun. Diese sitzen ihrerseits mit ihrem Mehrwert, der in der Hälfte aller von der Gesellschaft hergestellten Kleider, Nahrungsmittel und Möbel besteht, da und wissen allerdings, drei Mann, die sie sind, nicht, "wohin" mit dem Krempel. Doch gegen dieses von v. Kirchmann angerichtete Malheur würde auch keine noch so generöse Verteilung des Produkts etwas helfen. Im Gegenteil, je großer die Portion des gesellschaftlichen Produkts, die den Arbeitern zugewiesen wäre, um so weniger hätten sie mit den Unternehmern bei ihrem Austausch zu tun, es würde nur der gegenseitige Austausch der Arbeiter untereinander an Umfang zunehmen. Allerdings würde auch der die Unternehmer bedrückende Haufe von Mehrprodukt entsprechend zusammenschmelzen, aber nicht etwa weil dadurch der Austausch dieses Mehrprodukts erleichtert, sondern nur weil der Mehrwert selbst abnehmen würde. Von einem Austausch des Mehrprodukts zwischen Arbeitern und Unternehmern könnte nach wie vor keine Rede sein. Man muß gestehen, daß die hier auf verhältnismäßig kleinem Raum zusammengetragene Anzahl von Kindereien und ökonomischen Absurditäten sogar jenes Maß übersteigt, das einem preußischen Staatsanwalt zugute gehalten werden darf - v. Kirchmann war bekanntlich Staatsanwalt, und zwar zu seinen Ehren ein disziplinarisch zweimal gemaßregelter Staatsanwalt. Trotzdem geht v. Kirchmann nach seinen wenig versprechenden Präliminarien direkt auf die Sache los. Er sieht ein, daß die Unverwendbarkeit des Mehrwerts hier durch seine eigene Prämisse gegeben ist: durch die konkrete Gebrauchsgestalt des Mehrprodukts. Er läßt nun die Unternehmer mit der halben als Mehrwert angeeigneten gesellschaftlichen Arbeitsmenge nicht "ordinäre Waren" für die Arbeiter, sondern Luxuswaren herstellen. Da es "Wesen der Luxusware ist, daß sie dem Konsumenten es möglich macht, mehr an Kapital und Arbeitskraft zu verbrauchen als bei den ordinären Waren möglich ist", so bringen es die drei Unternehmer ganz allein fertig, die ganze Hälfte des in der Gesellschaft geleisteten Arbeitsquantums in Spitzen, eleganten Kutschen und dergleichen zu verzehren. Nun bleibt nichts Unveräußerliches übrig, die Krise ist glücklich behoben, die Überproduktion ein für allemal unmöglich gemacht, die Kapitalisten wie die Arbeiter sind in sicheren Verhältnissen, und das Wundermittel v. Kirchmanns, das alle diese Wohltaten herbeigeführt und das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion wieder hergestellt hat, heißt: Luxus! Mit anderen Worten, der Rat, den der gute Mann den Kapitalisten gibt, die nicht wissen, wohin mit ihrem unrealisierbaren Mehrwert, ist, sie sollen ihn selbst aufessen. In der kapitalistischen Gesellschaft ist nun freilich Luxus auch eine längst bekannte Erfindung, und die Krisen wüten trotzdem. - Woher kommt denn das? "Die Antwort kann nur die sein", belehrt uns v. Kirchmann, "daß diese Stockung des Absatzes in der wirklichen Welt lediglich daher kommt, weil noch zu wenig Luxus vorhanden ist oder, mit anderen Worten, daß von den Kapitalisten, d.h. von denen, welche die Mittel zur Konsumtion haben, noch zu wenig konsumiert wird." Diese unangebrachte Enthaltsamkeit der Kapitalisten kommt aber von einer durch die Nationalökonomie fälschlich geförderten Untugend: vom Hang zum Sparen zu Zwecken der "produktiven Konsumtion". Anders gesagt: Die Krisen kommen von der Akkumulation - das ist die Hauptthese v. Kirchmanns. Er beweist sie wieder an einem Beispiel von rührender Einfalt. Man setze den Fall, sagt er, "den von der Nationalökonomie als den besseren gepriesenen Fall", wo die Unternehmer sagen: Wir wollen unsere Revenuen nicht in Pracht und Luxus bis auf den letzten Heller verzehren, sondern wir wollen sie wieder produktiv anlegen. Was heißt das? Nichts anderes als neue Produktionsgeschäfte aller Art begründen, mittelst deren wieder Produkte gewonnen werden, durch deren Verkauf die Zinsen (v. K. will sagen: Profit) für jenes Kapital erlangt werden können, das aus den nicht verzehrten Revenuen der drei Unternehmer abgespart und angelegt worden ist. Die drei Unternehmer entschließen sich demgemäß, nur das Produkt von 100 Arbeitern zu verzehren, d.h. ihren Luxus erheblich einzuschränken, und die Arbeitskraft der übrigen 350 Arbeiter mit dem von diesen benutzten Kapital zur Anlegung neuer Produktionsgeschäfte zu verwenden. Hier entsteht die Frage, in welchen Produktionsgeschäften sollen diese Fonds verwendet werden? "Die drei Unternehmer haben nur die Wahl, entweder wieder Geschäfte für ordinäre Waren einzurichten oder Geschäfte für Luxuswaren", da nach der v. Kirchmannschen Annahme das konstante Kapital nicht reproduziert wird und das gesamte gesellschaftliche Produkt in lauter Konsumtionsmitteln besteht. Damit kommen die Unternehmer aber in das uns schon bekannte Dilemma: Produzieren sie "ordinäre Waren", so entsteht eine Krise, da die Arbeiter keine Mittel zum Ankauf dieser zuschüssigen Lebensmittel haben, sind sie doch bereits mit der Hälfte des Produktenwerts abgefunden; produzieren sie aber Luxuswaren, so müssen sie sie auch selbst verzehren, Tertium non datur. Auch der auswärtige Handel ändert nichts an dem Dilemma, denn die Wirkung des Handels besteht nur darin, "die Mannigfaltigkeit der Waren des inländischen Markts zu vergrößern" oder die Produktivität zu steigern. "Entweder also sind diese ausländischen Waren - ordinäre Waren, dann mag sie der Kapitalist nicht kaufen, und der Arbeiter kann sie nicht kaufen, weil er die Mittel nicht hat, oder es sind