Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz


Скачать книгу
Postdampfer traf ein und brachte mir wieder Nachrichten von zu Hause. Mein Gott, mit welcher Freude und Aufmerksamkeit las ich diese Briefe. Überraschende Nachrichten. Mein Bruder hatte sich verlobt. Außerdem hatte mir Gertrud, das stille Glück meiner zwei Sextanerjahre, einen Kartengruß gesandt.

      Wenn ich auch nicht Landurlaub erhielt, so bekam ich doch etwas von der westindischen Natur zu sehen. Ich angelte Kattfische, die wir dann in Margarine brieten und verzehrten. Sie schmeckten allerdings nicht besonders gut. Wir hörten, daß die Neger diese Fische verschmähten, da sie von allem möglichen Unrat lebten. Die Kattfische geben knurrende Laute von sich und haben einen langen giftigen Stachel auf dem Rücken. Als Gustav zum erstenmal einen solchen Fisch an der Angel aus dem Wasser zog, wollte ich das zappelnde Tier packen und stach mich dabei tüchtig in die Hand. Von Haifischen, zumal den gefährlichen Grundhaien, wimmelten die dortigen Ge wässer. Wir hörten von manchem Unglück, das sie angerichtet hatten. Bisweilen kreiste auch eine dieser schlauen Bestien um das Schiff mit hinterlistigen, lauernden Blicken. Ferner besuchten uns zuweilen große, schöne Schmetterlinge, die den weiten Weg vom Land über das Wasser riskiert hatten. Da sie bei uns aber statt Honig nur Teer fanden, hielten sie sich gewöhnlich nicht lange auf. Es gelang uns nicht ein einziges Mal, einen zu fangen.

      Ich paßte endlich einen Moment ab, den Alten zu sprechen.

      »Kapitän, ich bitte um Entschuldigung. Könnte nicht Napoleon meine Stelle ersetzen?«

      »Nein, der kann nichts«, antwortete Kapitän Pommer ruhig und kniff ein Auge zu.

      »Ich auch nicht«, fuhr ich nun kühn heraus. Der Alte rief ärgerlich nach dem Koch. »Koch, von heute ab können Sie Steward mit spielen!«

      »Ja.«

      Bei Tisch, als ich das Essen auftrug, begann der Alte wieder gemütlich:

      »Warum willst du eigentlich an Deck?«

      »Ich will nicht an Deck.«

      »Was willst du denn?« Der Alte sah von seinem Teller auf. Ich schwieg.

      »Na, was willst du denn?«

      »Auf ein anderes Schiff!« platzte ich heraus, und mein Herz schlug in banger Erwartung, welche Antwort jetzt erfolgen würde.

      »Ach abmustern«, sagte der Kapitän gedehnt, und seine Stimme nahm einen ironischen, schadenfrohen Ton an, »nein, das wollen wir nicht einführen.« Er wurde plötzlich sehr ärgerlich. Ohne mich weiter eines Blickes zu würdigen, stopfte er eine Pfeife und schimpfte dabei über eine Klasse Menschen, die er sich wohl aus Leuten meines Schlages zusammengesetzt dachte. »Ihr Bengels kriegt zuviel zu fressen!« wiederholte er mehrmals. Ein paarmal schien es auch, als wolle er einwilligen, aber dann besann er sich, vom Steuermann beeinflußt, wieder anders. Er drohte mir auch, er würde an meinen Vater schreiben, ich wäre zu nichts zu gebrauchen, und aus mir würde nie etwas werden. Dann entließ er mich mit der grimmigen Bemerkung, daß er mir jetzt schon Arbeit verschaffen werde.

      Der Steuermann befahl mir noch am selben Morgen, meinen Posten mit Napoleon zu wechseln. Ich mußte meine Sachen ins Logis tragen, wo ich fortan die noch rohere Kost der Matrosen teilen und diesen das Mädchen für alles sein sollte.

      »Jetzt bist du vom Regen in die Traufe gekommen!« höhnten die Matrosen, welche glaubten, daß ich auf meinen eigenen Wunsch Napoleons Posten bekommen hätte.

      Nun begann erst meine eigentliche Leidenszeit. War die Stellung eines Decksjungen schon an und für sich mit sehr demütigenden Arbeiten verbunden, so suchte man mir das Leben in jeder Beziehung noch schwerer zu machen. Besonders der Steuermann schikanierte und quälte mich in niederträchtigster Weise. Ich erhielt nur noch die schwersten und schmutzigsten Arbeiten zugeteilt, mußte Kohlen schaufeln und Tag für Tag im dumpfigen Zwischendeck mit einem Hammer Rost von Ankerketten und Bootsankern klopfen, bis mir die Augen weh taten und ich deutlich spürte, wie sich Rost und Eisenstaub in meiner Lunge festsetzten.

      Der Bootsmann hatte uns inzwischen verlassen. Es hieß später, er habe auf einem russischen Segelschiff, das zwischen dem »Papenburger« und der »Elli« verankert lag, Stellung gefunden.

      Merkwürdig war, daß die Matrosen, seitdem er fort war, recht gut auf ihn zu sprechen waren. Alle, auch ich, hatten ihm zuletzt noch freundlich die Hand gedrückt. Es war wohl die mutige Entschlossenheit, mit der er hier im Auslande aufs Geratewohl seine Stellung aufgab, was uns so gefiel und uns manches aus seinem Schuldbuche streichen ließ. Nur der Steuermann schied mit ganz anderen Gefühlen und getraute sich seitdem nicht, an Land zu gehen, da er die Rache des Bootsmannes fürchtete.

      Am selben Tage, als der Bootsmann auf dem Deutschen Konsulat abmusterte – übrigens fungierte in Belize ein Neger als deutscher Konsul, der nicht einmal der deutschen Sprache mächtig war –, brachte der Alte einen neuen Matrosen namens August Berger mit. Das war ein alter Janmaat, hoch in die Vierzig, der sein ganzes Leben auf dem Wasser zugebracht hatte. Er war meistens auf ausländischen Schiffen gefahren, also, wie die Seeleute sagen, ein echter »Yankeesailor«. Seine lange, hagere Gestalt, der verwegene Schnurr- und Spitzbart, die finsteren Augenbrauen und die spitze, knochige Nase machten ihn zu einer Don-Quijote-Figur. – –

      Wenn den Kapitän auch keine direkte Schuld an den Schikanen traf, denen ich ausgesetzt war, so duldete er sie doch und kränkte mich oft durch seine ironischen Bemerkungen. So fragte er mich manchmal lächelnd, ob es mir vorn besser gefiele als achtern. Ich entgegnete dann, das wäre mir ganz gleich. Als ich eines Abends wie gewöhnlich die Mahlzeit für die Matrosen aus der Kombüse holte, ein kleines Häufchen Bratkartoffeln, blieb er stehen und fragte höhnisch, auf das Essen zeigend: »Ist das für dich?« Ich antwortete mit einem verachtenden Blick. Solcher Hohn tat weh.

      Ich dachte daran, meinem Vater zu schreiben, er möchte Kapitän Pommer bitten, mich in Belize zu entlassen.

      Der Steuermann zeigte wieder einmal eine merkwürdig scheinheilige Freundlichkeit. Er erzählte mir, daß der Bootsmann schon wieder von dem russischen Schiff fortgegangen wäre. Offenbar wollte er mich ausforschen, ob im Matrosenlogis etwas über den jetzigen Aufenthalt seines alten Feindes bekannt sei. »Seppl«, begann er eines Tages, als ich gerade damit beschäftigt war, eiserne Ketten mit Teer anzustreichen, »wenn es dir hier auf dem Schiff nicht gefällt, warum gehst du eigentlich nicht fort?«

      »Nun, ich darf doch nicht«, entgegnete ich erstaunt.

      »Ja, deine Papiere bekommst du freilich nicht!«

      Das glich einem sehr deutlichen Wink, heimlich Reißaus zu nehmen; aber ich kannte Steuermann Karsten und fühlte heraus, daß er damit auf den Busch klopfen wollte. Ich tat deshalb so, als ob ich derartige Pläne längst aufgegeben hätte.

      Als ich nach einiger Zeit das Vertrauen meiner Vorgesetzten wieder erworben zu haben glaubte, fragte ich den Steuermann, ob ich nicht abends an Land gehen dürfe, da ich notwendig Seife und mancherlei anderes brauche.

      »Nein, das besorgt dir alles der Alte.«

      »Ja, aber ich möchte doch gern für meine Angehörigen etwas kaufen.«

      »Ich kann das auch nicht«, erwiderte der Steuermann mit halb ernstem, halb ironischem Lächeln, »ich darf auch nicht mehr an Land, sonst schlägt mich der Bootsmann tot.«

      Es schien gar keine Möglichkeit, von Bord zu kommen, aber ich gab die Hoffnung doch nicht auf.

      Einmal war ich gerade im Zwischendeck mit Rostklopfen beschäftigt, als der Steuermann plötzlich nach vorn kam und laut rief: »Wer von euch will auf den Russen? Zwei Pfund Heuer.«

      »Ich!« schrie ich laut und stürmte an Deck.

      »Dann geh nach achtem!«

      Ich raste nach achtern. Ein Beiboot des russischen Segelschiffes lag an Steuerbord, und Kapitän Pommer, der eben eingestiegen war, rief mir von unten zu: »Willst du auf den Russen?«

      »Ja! Ja!«

      »Allright!«

      Ich jubelte. Nun sollte ich endlich mein ostfriesisches Gefängnis loswerden, und wenn ich auch wieder auf ein andere Schiff käme, so hatte ich dort doch sicher


Скачать книгу