Deutsche Geschichte. Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte - Ricarda Huch


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und Stra­ßen mehr Schutz zu fin­den, als die ei­ge­ne Kraft und Waf­fen­ge­wandt­heit si­cher­te, auf den Märk­ten mit ih­ren Wa­ren zu­ge­las­sen zu wer­den, wies sie an die Ge­neigt­heit des Kö­nigs, dem die Stra­ßen im Reich, Märk­te, Zoll und Mün­ze ge­hör­ten. Dem Kö­nig flos­sen die ver­schie­de­nen Ab­ga­ben zu, die der Han­del ab­warf, die er al­ler­dings in den meis­ten Fäl­len sei­nen kirch­li­chen und welt­li­chen Le­hens­leu­ten ab­trat; aber er hat­te trotz­dem In­ter­es­se an der Zu­nah­me des Ver­kehrs, der das An­se­hen und den Reich­tum der Län­der hebt und der zu­nächst eine An­ge­le­gen­heit des Frie­dens ist. Als Be­schir­mer des Frie­dens im Reich und in der Welt war er der na­tür­li­che Be­schüt­zer des Kauf­manns, des­sen Tä­tig­keit auf den fried­li­chen Be­zie­hun­gen der Völ­ker un­ter­ein­an­der be­ruh­te. Weil der Kö­nig sie in sei­nen be­son­de­ren Schutz nahm, wur­den die Kauf­leu­te im Aus­land ho­mi­nes im­pe­ra­to­ris, Leu­te des Kai­sers, ge­nannt. Es war üb­lich, dass der Kö­nig einen neu­ge­grün­de­ten Markt durch einen Kauf er­öff­ne­te, war er ab­we­send, tat es ein Stell­ver­tre­ter, in­dem er einen Hand­schuh des Kö­nigs ver­kauf­te. Ein Markt­kreuz, das Bild ei­nes be­waff­ne­ten Arms, ei­ner be­waff­ne­ten Hand deu­te­ten auf den kö­nig­li­chen Rechts- und Frie­dens­schutz und auf die Be­stra­fung des Ge­setz­über­tre­ters oder Frie­dens­stö­rers. Ver­lieh der Kö­nig, wie er häu­fig tat, Markt, Zoll und Mün­ze an Bi­schö­fe oder welt­li­che Dy­nas­ten, so blieb er doch der ei­gent­li­che Herr, der Ur­sprung des Rech­tes, und an ihn wand­te man sich im Fal­le der Be­nach­tei­li­gung. Die Nach­fol­ger Ot­tos des Gro­ßen grün­de­ten Märk­te an den Plät­zen, wo häu­fi­ger Auf­ent­halt ih­rer Fa­mi­lie, Klos­ter­grün­dun­gen und Bi­schofs­sit­ze mehr oder we­ni­ger dörf­li­che An­sie­de­lun­gen her­vor­ge­ru­fen hat­ten; so ent­stan­den Qued­lin­burg, Nord­hau­sen, Hal­ber­stadt und na­ment­lich Mag­de­burg. Au­ßer­dem er­ho­ben sie durch Ur­kun­den Märk­te, die schon frü­her be­stan­den hat­ten, zu ge­setz­li­chen, recht­mä­ßi­gen. Ein dörf­li­ches An­se­hen be­hiel­ten zwar die Städ­te, auch die großen, noch lan­ge; den­noch weh­te eine an­de­re Luft in der Stadt als auf dem Lan­de, eine Luft, die frei mach­te.

      Trä­ger des neu­en Geis­tes, der in das bäu­er­li­che Deutsch­land ein­drang, wa­ren haupt­säch­lich die Kauf­leu­te, und das Mit­tel, durch das sie wirk­ten, war das Geld. Sie wa­ren auf eine an­de­re Art reich als die Her­ren von Grund und Bo­den, die sich mit Fleisch und Ei­ern von ih­ren Bau­ern, mit Ge­wand und Man­tel von ih­ren Le­hens­her­ren muss­ten ver­se­hen las­sen. Ihr Geld konn­te man in die Ta­sche ste­cken und da­mit kau­fen, was ei­nem ge­fiel, Men­schen und Din­ge, An­se­hen und Frei­heit. Die alt­ger­ma­ni­sche An­schau­ung, dass Frei­heit und Bür­ger­recht an den Be­sitz von Grund und Bo­den ge­bun­den sei, wur­de durch sie ge­lo­ckert. Auch der, wel­cher nichts be­saß, auch der Hö­ri­ge konn­te in der Stadt per­sön­lich frei und durch sei­ne Ar­beit viel­leicht wohl­ha­bend wer­den. Zwar fühl­te sich der Kauf­mann, da er frei war, dem Hö­ri­gen oder aus der Hö­rig­keit her­vor­ge­gan­ge­nen Hand­wer­ker stän­disch über­ge­ord­net; aber er dach­te doch nicht dar­an, ihn in per­sön­li­che Ab­hän­gig­keit her­ab­zu­drücken, er för­der­te ihn so­gar, in­dem er die Idee des Stadt­bür­ger­tums als ei­ner gleich­be­rech­tig­ten Ein­heit schuf. Ver­g­li­chen mit dem Bau­er, dem Krie­ger, dem Geist­li­chen war der Kauf­mann vor­ur­teils­frei. In den frem­den Län­dern er­leb­te er die mensch­li­chen Ei­gen­schaf­ten frem­der, auch heid­nischer Völ­ker; er nahm zwar sei­nen Gott und sein Ge­bet über­all mit; aber er hielt sich doch, wenn das ge­for­dert wur­de, be­schei­den da­mit zu­rück und fand sich mit den frem­den Göt­tern ab. Vi­el­leicht lieb­te er die Hei­mat in­brüns­ti­ger als der, der sie nie ver­ließ; aber er lern­te die Vor­zü­ge der Frem­den ken­nen und lern­te sich mit ih­nen zu ver­stän­di­gen. Ob­wohl er in den Waf­fen ge­übt war, be­durf­te er doch noch ei­nes an­de­ren Mu­tes als der Krie­ger, der mit dem Schwer­te zu ent­schei­den ge­wohnt war: in man­cher Lage half ihm nur die drei­fa­che Macht des Gel­des, des Wor­tes und der Per­sön­lich­keit. Auch dem Be­sitz ge­gen­über, ob­wohl Geld­ge­winn sein Ge­schäft war, war er frei­er als an­de­re, weil er ra­schen Wech­sel ohne Schuld er­fuhr. Er dach­te und fühl­te in wei­te­ren Gren­zen als die meis­ten sei­ner Zeit­ge­nos­sen. Sol­che Ei­gen­schaf­ten mach­ten den Kauf­mann fä­hig, aus der Stadt einen frei­en, ge­ord­ne­ten Staat zu ma­chen. In ge­wis­sem Sin­ne war er die Stadt: er stand am Steu­er, er gab die Rich­tung, er trug die Verant­wor­tung.

      Wenn die An­zie­hungs­kraft, die der hau­sie­ren­de Kauf­mann mit sei­nem bun­ten Kram und sei­nen Nach­rich­ten aus nah und fern auf je­der­mann aus­üb­te, auf die Stadt über­tra­gen wur­de, wo er sich an­sie­del­te, die er be­weg­ter, rei­zen­der mach­te, so dach­te doch die Geist­lich­keit an­ders. Es ist be­greif­lich, dass die Bi­schö­fe de­nen zürn­ten, die ih­nen ihre Rech­te als Stadt­her­ren zu ent­win­den such­ten und meist auch wirk­lich ent­wan­den, dass der Kle­rus über­haupt die Neue­rer wit­ter­te, die ihn aus dem Mit­tel­punkt der Kul­tur ver­drän­gen soll­ten; aber auch ohne den An­trieb der Selbs­t­er­hal­tung, aus ih­rer Wel­tauf­fas­sung her­aus war die Kir­che dem Kauf­mann feind. In kirch­li­chen und na­ment­lich in mön­chi­schen Krei­sen wur­de den Kauf­leu­ten nur Bö­ses nach­ge­sagt. Man schalt sie Räu­ber, Trin­ker, Mein­ei­di­ge. Tho­mas von Aqui­no hat den Han­del als er­laubt be­zeich­net, wenn der Händ­ler sich da­mit be­gnü­ge, sei­nen Le­bens­un­ter­halt zu ver­die­nen. Wie konn­te er das bei der Art des kauf­män­ni­schen Ge­schäf­tes, das ein be­deu­ten­des Ka­pi­tal er­for­dert, bei den Auf­ga­ben, die ihm als der re­gie­ren­den Schicht in der Stadt ge­stellt wur­den. Die Not­wen­dig­keit, mehr Geld zu ver­die­nen, als er brauch­te, reiz­te den Kauf­mann, mehr und im­mer mehr Geld und Gut auf­zu­häu­fen, bis er schließ­lich von der Lust am Be­sitz be­herrscht wur­de; die Kir­che hat­te nicht ganz un­recht, wenn sie be­fürch­te­te, der Kauf­mann möch­te nicht nur selbst das Ir­di­sche über das Himm­li­sche set­zen, son­dern durch den Lu­xus, an den er das Volk ge­wöhn­te, ma­te­ri­el­le Ge­sin­nung über­all ver­brei­ten. Die un­ge­rech­te Be­sitz­ver­tei­lung, die Kluft zwi­schen Rei­chen und Ar­men, den Wu­cher und den Lu­xus hat­te der hei­li­ge Am­bro­si­us als die Ur­sa­chen vom Un­ter­gang des Rö­mer­rei­ches be­zeich­net; die Kir­che be­hielt das im Sinn und sah mit Un­wil­len die­se Grund­schä­den von Neu­em kei­men. Sie hielt dar­an fest, dass das Bau­ern­ge­wer­be von Gott ein­ge­setzt sei und die haupt­säch­li­che Be­schäf­ti­gung der Men­schen blei­ben müs­se. Mit weit vor­schau­en­dem Blick sah sie Ge­fah­ren, die sich viel spä­ter aus­wirk­ten, Ge­fah­ren, die mit dem rei­cher sich ent­fal­ten­den Le­ben ver­bun­den sind und die man nicht un­ter­drücken könn­te, ohne das Le­ben selbst in sei­ner Quel­le und Fül­le zu ver­schüt­ten.

      Als Bar­ba­ros­sa Her­zog Hein­rich von Sach­sen be­kämpf­te, zog er vor Lü­beck und for­der­te es auf, sich ihm zu un­ter­wer­fen. Da die Stadt zu Was­ser und zu Lan­de ein­ge­schlos­sen und Ent­satz nicht zu hof­fen war, ba­ten die Bür­ger den Kai­ser, er möge ih­nen ge­stat­ten, den Her­zog, ih­ren Herrn, zu fra­gen, was sie tun soll­ten. Vi­el­leicht in Rück­sicht auf das An­se­hen ih­res Bi­schofs Hein­rich, der ihre Bit­te vor­trug, viel­leicht auch in Rück­sicht auf die Be­deu­tung der Stadt selbst, nahm der Kai­ser das treu­her­zi­ge An­sin­nen gnä­dig auf, wenn er auch nicht un­ter­ließ, es als An­ma­ßung zu be­zeich­nen.


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