Der Heidekönig. Max Geißler

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Der Heidekönig - Max Geißler


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Umzug. Auf reichlich bevölkerte Kaninchenställe hatte er schon als Knabe Wert gelegt. An der einen Giebelseite des Hauses war die Tür, an der nach Norden das Fenster. Auch für die Ziege war ein Stall errichtet worden, und daneben noch ein Stadel zur Aufbewahrung von Futtervorräten.

      Weil die Moorheide oder die Schirrkammer von Stijn Maris das. Baumaterial und das Häuschen von Frau Flossy die Inneneinrichtung geliefert hatten, forderte das neue Anwesen nicht den Aufwand eines einzigen Groschens. Und da der Staat um jene Zeit so abseitige Streifen im Heidemoor zur Besiedelung verschenkte, so würde im Ernstfalle wohl auch über den Grund und Boden einig zu werden sein — dachte Matheis Maris. So also einer von Rechts und Gesetzes wegen einen Einwand gegen seinen Aufenthalt hatte, konnte er sich ja melden.

      Nun hatte freilich selbst Pieter Bosboom nicht einsehen wollen, dass diese Neudichtung der Geschichte vom Paradiese so unumgänglich nötig sei, wie Matheis Maris behauptete.

      Dies überzeugend darzustellen, war das Schwierigste bei dem ganzen Unternehmen. Es gelang auch nicht. Pieter Bosboom behauptete nämlich: Matheis sei in seiner bisherigen Umgebung genau so einsam und unbeirrt in seinem Schaffen — ja, bei Lichte besehen sei dies in noch höherem Grade der Fall, da ihm Mutter Flossy eine Menge Sorgen um kleine Dinge abnehme, die da draussen nun seine Sache seien. Ordentlich beweglich wurde der hölzerne Mensch Matheis vor diesen Einwürfen. Er begann mit Armen und Beinen zu reden und mit gefährlichem Wurfe seines Kopfes, weil er nun auch in Pieter Bosboom die heillose Brettwand entdeckte — nein, nicht nur in Pieter, sondern auch in sich selbst! Er konnte da nicht hinüberrufen. Er fand die Worte nicht für das letzte, das unaussprechliche Bedürfnis der Künstlerseele, in ungeheurer Beseligung, Blumenhaftigkeit und Stille hineinzublühen in die Sonne, die — unsichtbar und unausstaunlich für andere —allein geschaffen ist von Gott für diese Seele. —

      Danach fing Matheis Maris an zu wohnen — was am ersten Tage darin bestand, dass er eine Bank neben die Haustür zimmerte.

      Er kam auch damit zustande. Dann fiel ihm ein, er sei Adam und Robinson in einer Person. Und er erkannte: der erste Mensch müsste in weit höherem Masse Robinson gewesen sein, als es ihm in der Schule dargestellt worden war. Also: der schöne weisse nackte spazierengehende Mensch Adam, für den der liebe Gott erst nach dem Sündenfalle die Arbeit erfand, war in dieser Aufmachung offenbar das Erzeugnis einer höchst gedankenlosen Überlieferung ...

      So wurde das neue Paradies für Matheis Maris gleich vom ersten Tag an eine ungeahnt gedankenvolle Einrichtung. Zum Malen kam er darüber vorerst nicht; denn er fand, dass er für den Winter Futter aufstapeln und dazu noch ein schützendes Dach errichten müsse.

      Danach aber lief alles in die Ordnung, die er seinem neuen Dasein gesetzt.

      Das Haus lag an einer Erdwelle, die mit niederen Föhren bewachsen war und die rasenden Winde zerbrach. Nach Süden schaute er von der Bank neben der Tür — bis ins Herz Gottes könne er da sehen, dachte er! Diesem Gedanken sann er nach und verfiel darauf, dass dies Schauen ins Herz Gottes das Geheimnis beschlösse, um das seine junge Seele rang ... Ach, kein Wort ist ja imstande, die Weite zu malen und die Finsternis, durch die ein Mensch mit kümmerlicher Dorfschulweisheit zu wandern hat bis zu der Sonne, die ihm die Gnade Gottes gesetzt hat mitten ins Herz!

      Einmal gegen Abend sass Matheis Maris vor der Tür seiner Hütte. Es war eine nachdenkliche Stunde wie jede, die er in dieser Abseitigkeit lebte. Wenn er zu nicht weit vorgeschrittener Nachtzeit sich zu Bette legte, reckte er seine langen Glieder in einem behaglichen Überschuss an Kraft. Er reichte dann mit den Händen bis an das Röhricht des Daches — oh! Nie zuvor war ihm die Herrlichkeit des Lebens bewusst geworden wie jetzt ... Einmal gegen Abend sass Matheis Maris vor der Tür seiner Hütte ... Es war wunderlich, wie oft in diesen Tagen er in den Worten der Schrift dachte. Da rollte Pieter Bosbooms Eselwäglein über die Heide. Flossy Maris und der Gärtner trotteten daneben her. Sie brachten einen Stamm Hühner, die sich in ihrem Gefieder kaum von der Scholle unterschieden — so sehr sorgte sich Mutter Maris um ihren Einsiedler im braunen Lande! Umsichtigerweise hatten sie auch gleich die Horde mit aufgeladen, in der sie wohnen und ihre Eier ablegen sollten.

      Flossy Maris betrat das Paradies zum ersten Mal. Sie ging mit bäuerlich wortlosem Staunen um alles herum. Aber die Bangigkeit ihrer Augen löste sich. O ja, es konnte ein Mensch hier leben! Sogar einen Quell hatte sich dieser Mensch aus dem Moorwasser herübergeleitet. Durch eine Furt aus hellem Heidesand sickerte er in ein Becken, das war wieder aus Sand gebildet und so klar wie frischgefallener Tau. — Sie sah auch die Beete, von denen Matheis die Heide gerodet und die er mit Braunkohl bepflanzt hatte, der nun schon seine dunklen Blätter in die Sonne kräuselte. „Wenn einer Gärtner ist!“ sagte Matheis mit stolzbewusstem Lächeln.

      Dann aber — sie standen nun vor den Büchern, von denen etliche offen auf dem Tisch am Fenster lagen. Diese Bücher waren für Mutter Flossy fast so geheimnisvoll wie die Bilderkammer der Seele ihres Jungen. Dann aber reckte Matheis seine Arme und hiess Pieter Bosboom hinsitzen auf den Bettrand neben die Frau. „Es geht an jedem Tag mehr auf in mir, ihr Leute! Und es wächst, sag ich euch — denn es ist jungfräuliches Land in mir und da draussen! Was ich vor ein paar Wochen nicht wusste — ich will es euch heute sagen! Damals dacht’ ich: ein Maler — das ist ein Mensch, der ein Stück Welt in den Rahmen bringt, den er aus seinen zwei Zeigefingern und Daumen bildet und auf das er hinlugt. Gefällt es ihm, dann macht er ein Bild daraus — so getreu nach der Natur als er es vermag. Je getreuer, desto rühmlicher.“ Ja. So hatten sich Pieter Bosboom und Mutter Flossy die Sache etwa auch vorgestellt.

      „So dumm!“ Matheis Maris sah mitleidig in sich hinein. „Jetzt aber hab ich das anders gefunden. Nämlich so: wenn der Maler prüfend durch den Rahmen seiner Finger guckt, so schaut er über ein Stück Welt bis hinein ins Herz Gottes. Ins Herz Gottes, sag ich. Dort steht das Bild, wie es gemeint ist von diesem Gott selber. Den Gedanken des Weltschöpfers darzutun vor den Augen der Menschen mit Pinsel und Farbe — das ist es, ihr Leute! Darum: die Kunst des Malers — hör’ zu, Pieter Bosboom, hör’ zu, Mensch! — dis Kunst des Malers, alle Kunst, wie sie immer heisse, die kommt aus dem Schauen ins Herz Gottes! Gottes Gedanken zu erkennen, neuzuschaffen, was er mit der Welt vorgehabt hat — das ist es!“

      Heimwärts trottete das Eselein. „Es wächst in ihm, Mutter Flossy, es wächst!“ sagte Pieter Bosboom, ganz des Geistes voll, den er an Matheis Maris verspürt hatte. „Ich kann mir nun denken: solch einer wie er muss sich losmachen von all dem Kram, von dem unsere Tage voll sind, Mutter Flossy! Sonst fällt ihm der Staub auf die Augen. Und wie will ein Bauernjunge sehen ins Herz Gottes, wenn er staubige Augen hat?“

      „Was er nur meint mit dem Herzen Gottes?“ forschte sich Mutter Flossy an den hellsinnigen Gärtner heran.

      „Tja!“ machte Pieter Bosboom und zog die Schultern. Dann aber liess er eine Rede los — das Eselfuhrwerk rollte immer wieder mitten hindurch! — darin wurde gehandelt, dass das Herz Gottes solch ein Sinnbild sei ... das Letzte dabei denken könne sich von allen Menschen nur Matheis Maris ... Pieter Bosboom rieb sich die Nasenwurzel. „Kopfweh bekommt unsereiner davon, Mutter Flossy!“ Flossy Maris aber sagte: „Der Matheis wird sich das Hirn wohl doch noch zersinnen.“

      Daran dachte Matheis Maris aber nicht. Überhaupt: das Sinnieren! Zuvor war es eine ungeheure Anstrengung gewesen. Nun war es eine Herrlichkeit. Nur das Lesen in den Büchern, das schuf seiner brüchigen Wissenschaft zuzeiten grosse Not. Es waren da Fremdwörter, deren Bedeutung nicht zu erraten war. Pieter Bosboom ward auch darin Helfer. Er brachte von einem Althändler in Haarlem ein Fremdwörterbuch mit. Das kostete drei Gulden und war eine schwere Rechnung. — Ach, kein Wort ist imstande, die Weite zu malen und die Finsternis, durch die der Mensch mit kümmerlicher Dorfschulweisheit zu wandern hat bis hin zur Sonne!

      Nun war das so mit Matheis Maris: der Abend, in den er das Bild vom Herzen Gottes gestellt, war eine Weltscheide für ihn geworden. An diesem Abend warf er sich in den Kleidern aufs Bett und lag die Hälfte der Nacht mit heissen Augen. Die waren weit offen vor Glück. Und starrte über sich gegen das braune Röhricht des Daches und konnte den Morgen nicht erwarten und lief mit dem Malzeug hinaus, als der Saum der Erde rot wurde; denn er wollte gleich die Probe machen auf sein Exempel.

      Aber zum Malen kam er nicht. Nicht an diesem Tag und nicht


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