Der Heidekönig. Max Geißler

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Der Heidekönig - Max Geißler


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Erfindung.

      Seit diesem Morgen sah er die Welt anders. Es war, als habe sie im Dornröschenschlafe gelegen. Das Wort vom Blick ins Herz Gottes war die Zauberformel, vor der sie erwacht war. Nun war ihre Schönheit siebenmal so schön. Und ihr Leben, das zuvor leises Atmen und holdselige Bewusstlosigkeit gewesen, redete nun zu ihm von einem tiefen Wesen der Dinge, das er zuvor nicht geahnt hatte. Und nicht gesehen. Was gestern Stoff und Spröde gewesen war, vor denen er mühselig herummass und Farben wog, das hatte auf einmal Macht und Grösse.

      So war sein Kampf mit der Natur ein anderer geworden. Sieger konnte er sein — nicht wenn er diese Welt der tausend Masse nachahmte in Fläche und Farbe; denn das hiess nichts weiter als: zu Tode malen, was nun lebendig geworden war vor ihm! — nein, Sieger konnte er sein, wenn er es machte wie Gott: er schuf und blies dem Geschaffenen einen lebendigen Odem ein. — Das war die andere Zauberformel.

      Eine Woche rang er um diese Erkenntnis, ehe er fand, dass sie sich in die zwei Worte vom lebendigen Odem füllen liess! Er aber war um diese zwei Worte gelaufen, Tag und Nacht und Nacht und Tag, dass ihm die Pulse zu bersten drohten.

      Dann hing er alle Bilder ab in seinem Hause. — Sie waren seine Freude gewesen. Flossy Maris hatte davorgestanden in herzfroher Demut; und Pieter Bosboom hatte von ihnen gesagt: „Wer das gemacht hat, der hat das Genie.“ Diese Tafeln wollte Matheis Maris über Jahr und Tag in seinem Rückensack zu dem grossen Meister Alma Tadema tragen. Nun gedachte er daraus einen Scheiterhaufen zu machen und den einfältigen Menschen Matheis Maris von ehedem darauf zu verbrennen. — Aber er besann sich. Er holte die Eier vom Neste und kochte sie darüber.

      Einmal, da der Tag am heissesten war, stampften ein paar Holzschuh über das Torfmoor. Das Mädchen, das darin steckte, hatte einen blauen Linnenkittel an und die weisse Schleierhaube tief ins Gesicht gezogen. Sie kam nicht den braunen Steig daher, sondern lief sich durch das Heidegestrüpp die Lungen heiss, guckte bei der Tür hinein ins Haus und suchte ringsum. Da schob sich der Kopf des Matheis Maris über den Rand einer Torfkuhle empor.

      „Na, Nele Greefs?“

      „Fürchtest du dich vor mir, Matheis Maris, weil du dich in der Kuhle verkriechst?“

      Da sah er, dass die blanke blonde Nele Greefs eine feine Staffage wäre. Er setzte sie an den gegenüberliegenden Rand der dunkelbraunen Moorkuhle. Setzte sie hin und tupfte den blauen Rock in sein Bild und die gelben Holzschuh, und tupfte den weissen Schleierhut gegen den Himmel ... In zwei Minuten war das gemacht. Nele Greefs aber lief herzu und sagte: „Wenn ich so aussehe, dann wundert’s mich nicht, dass du mich nicht leiden magst, Matheis Maris.“ Er betrachtete sie. „Du siehst einen ja an, als nähmest du Mass zu meinem Sarge.“

      „Ich will dich malen, Nele Greefs. Wenn du ein paar Mittage zu mir herauskommen willst ...“

      „Und wenn du dir nicht einbildest, dass ich dir nachlaufe ...“

      Sie standen nun beide vor der Staffelei. Nele Greefs sah, wie er die Farben breit und wuchtig hingestrichen. Es war ein schönes Bild und voller Leben. Ein Streif Moorheide war da unter einen sehr stillen Himmel gelegt. Es war zu sehen, wie sich die Kraft der Erdeinsamkeit reckte gegen den Himmel.

      Diese Kraft lief gleich in Nele Greefs Augen. Aber ihre Augen wurden fremd davor. Und sie schwieg. Dann sagte sie: „Es ist anders, was du nun malst.“

      „Ja. Jetzt mach’ ich lebendig. Zuvor schlug ich die Welt tot mit meinem Pinsel.“ Und damit stiess er so hart gegen die Brettwand in Nele Greefs — sie erschrak davor und fragte: „Na, und die weisse Ziege? Und die Hühner? Das Feuer unterm Herd? Das Kaninchen in der Pfanne? Und du selber — wie schläfst du?“

      Matheis Maris erstattete gern Bericht.

      „Fein hast du’s hier. Aber im Winter?“

      „Es ist da auch nicht anders als bei euch.“

      „Wohl,“ sagte Nele Greefs. „Aber wenn dir der Mund zuwächst in deiner Einsamkeit?“

      „Ah, ich male ja mit den Händen.“

      In dieser Sonnenstunde machte Matheis Maris eine Entdeckung, nämlich: dass in seinen Gedanken die Menschen immer sehr freundlich aussahen und sein Glaube an die Menschen gross war. Versunken in seinem Gedächtnis war dann, was sie ihm und seiner Mutter angetan. Seine Gedanken, sein Leben, ja sogar seine Erinnerungen — alles in ihm schritt eben nach einem anderen Ziele. Und wenn er an Nele Greefs dachte — wenn er an sie dachte, da war sie noch viel blanker und blonder als die richtige Nele Greefs, und hatte einen so roten Mund, und dieser Mund konnte so lieb reden von allem, was ihn anging, und ihr Herz — dies kleine selbstsüchtige eitle Mädchenherz — fand ein festliches Gefallen an seinem Paradies und hegte ganz insgeheim den Wunsch, das Dasein mit ihm zu teilen. — Ja. So war das, wenn der Mensch in diesem Paradiese sich auseinandersetzte mit der Welt von ehegestern — in seinen Gedanken. Es kam auch daher, dass er das Mass für draussen von sich selber abnahm. Dass er besser, klüger, reiner, dass er gegen die anderen ein richtiger Feiertagsmensch sei, der mit Sonntagsgedanken spielte wie der junge Morgen mit den Klängen der Glocken — soweit reichten diese Gedanken noch nicht.

      Und nun — Nele Greefs stand neben ihm, ein Holländermädel, in dem der liebe Gott offenbar so was wie sein Meisterstück hatte machen wollen. Gelb und rot und süss und blank wie eine reife Glaskirsche. Der Wind — wie er sie entdeckte — lief ihr gleich nach auf den Heidehügel, auf den sie nun stiegen, stupfte ihr ans Röckchen und stupfte ihr an die Löckchen: „Na, Nele Greefs?“

      Aber Matheis Maris war nicht im geringsten eifersüchtig. — Sie standen recht lange auf dem gelben Sandrücken, von dem die Sonne die Erikabüschel hinweggesengt und der Sturm des Winters das borstige Gestrüpp vollends abgefressen hatte. Und Neles Augen flogen ein paarmal um die Scheibe der Welt.

      „Matheis Maris, es ist von hier bis an den Himmel keine zwei Stunden ...“

      „Ja,“ unterbrach er sie, „aber bis in den Himmel ist es keine zwei Minuten.“

      Da merkte er — zum wievielten Male in der kurzen Zeit, in der sie bei ihm war? — da merkte er, dass sie ihn nicht verstand.

      „... keine zwei Stunden,“ sagte sie und färbte ihre Stimme mit Enttäuschung, „und es ist kein Dorf, kein Haus, keine Hütte, es ist überhaupt nichts Lebendiges da als ein paar dumme Kiebitze und eine Handvoll Schmetterlinge. Das ist fad.“

      „Nein, es ist merkwürdig; denn es liegen Häuser zwischen hier und dem Ringe des Himmels, sogar drei Dörfer. Aber es kuscht sich alles entweder hinter einen Eichwald oder — wie euer Haus, Nele Greefs — hinter eine Kussel Föhren.“

      „Unheimlich und fad,“ sagte sie und machte ein Gesicht wie eine, die den Weg nicht mehr weiss.

      Da setzte sich Matheis Maris in Bewegung, als hätte er ganz vergessen, dass sie da wäre. Er sah sich nicht einmal um, ob sie mitkäme. Es war ihm auch ganz gleichgültig. — Nach Menschen hatte sie Ausschau gehalten in dieser heiligen Stille, durch deren Tiefe man den lieben Gott gehen sehen konnte, so man die richtigen Augen hatte! ... Darüber schloss sich ihm der Mund nun doch wieder auf.

      Drei Schritte hinter ihm ging sie den Sandhang hernieder. Es war ihr zu heiss auf der Bank vor der Tür. Da trat sie ins Haus und setzte sich auf seinen Stuhl. Er aber sagte: „Warum suchst du nach Menschen? Weisst du nicht, dass sie dem lieben Gotte die Welt verhunzen?“ Sie lachte ihn aus — nicht etwa weil sie seine Worte rasch und bis auf die Neige durchdacht hatte, sondern weil sie darin eine grosse und bittere Auflehnung verspürte.

      Matheis Maris aber hatte seine Entdeckung gemacht: die Freundlichkeit oder Farblosigkeit seiner Gedanken über die Menschen verlor sich in ihrer Gegenwart ... Nun ja, wie vorhin die Nele Greefs so gegen die Torfkuhle heranblühte, da hatte er auf seinem Jungmannsherzen eine Fahne hochgezogen. Aber die flatterte nun nicht mehr; denn sagte Nele Greefs etwas, so war das dürr wie vorjähriges Ried. Und sagte Matheis Maris etwas, so verstand sie ihn nicht oder sie bekam davor müde Augen oder sie suchte nach Menschen.

      Die Revolution seiner Seele sprang in Matheis Maris auf in einer jähen Flamme — nur zwei Minuten brauchte er mit


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