Das Bildnis des Dorian Gray. Oscar Wilde
Читать онлайн книгу.stand auf und ging im Garten auf und ab. Nach einiger Zeit kam er zurück. „Harry,“ sagte er, „Dorian Gray ist für mich einfach ein Kunstmotiv. Du würdest vielleicht nichts in ihm sehen. Ich sehe in ihm alles. Er ist in meinem Werk nie gegenwärtiger, als wenn kein Bild von ihm da ist. Er ist, wie ich schon sagte, der Vermittler einer neuen Kunstweise. Ich finde ihn in den Kurven gewisser Linien, in dem Zauber und den Feinheiten gewisser Farben. Das ist alles.“
„Warum willst du dann sein Bild nicht ausstellen?“ fragte Lord Henry.
„Weil ich, ohne es zu wollen, etwas von dieser künstlerischen Idolatrie hineingelegt habe, von der ich ihm natürlich nie habe sprechen mögen. Er weiss nichts davon, soll nie etwas davon erfahren. Aber die Welt könnte es erraten; und ich will meine Seele nicht vor ihren oberflächlichen, gierigen Blicken entblössen. Mein Herz soll nie unter ihr Mikroskop kommen. Es ist zu viel von mir selbst in dem Bild, Harry — zu viel von mir selbst!“
„Dichter sind nicht so bedenklich wie du. Sie wissen, dass Leidenschaft beim Publikum zieht. Heutzutage bringt ein gebrochenes Herz eine ganze Reihe von Auflagen ein.“
„Ich hasse sie dafür,“ rief Hallward. „Ein Künstler solte schöne Dinge schaffen, aber nichts von seinem eigenen Leben hineinlegen. Wir leben in einer Zeit, wo die Menschen Kunst behandeln, als wäre sie eine Art Selbstbiographie. Wir haben das Gefühl für Schönheit an sich verloren. Ich hoffe, noch einmal der Welt zu zeigen, was das ist; und darum soll die Welt niemals mein Bildnis Dorian Grays sehen.“
„Ich glaube, dass du unrecht hast, Basil, aber ich will nicht mit dir streiten. Nur die geistig Verlorenen streiten immer. Sag’ mir, hat dich Dorian Gray sehr gern?“
Der Maler dachte ein paar Augenblicke lang nach. „Er mag mich,“ antwortete er nach einer Pause; „ich weiss, dass er mich mag. Natürlich schmeichle ich ihm entsetzlich. Ich finde ein sonderbares Vergnügen darin, ihm Dinge zu sagen, von denen ich weiss, dass ich sie später bedauern werde. Gewöhnlich ist er reizend zu mir, und wir sitzen im Atelier und reden über tausend Dinge. Mandmal aber ist er schrecklich gedankenlos, und es scheint ihm eine Wonne zu sein, mir Schmerz zu bereiten. Dann fühle ich, dass ich meine ganze Seele an einen Knaben verschenkt habe, der sie behandelt, als wäre sie eine Blume für sein Knopfloch, ein buntes Bändchen für seine Eitelkeit, ein Schmuck für einen Sommertag.“
„Sommertage, Basil, vergehen nicht so schnell“, murmelte Lord Henry. „Vielleicht wirst du seiner eher überdrüssig werden. Es ist traurig, daran zu denken, aber es ist kein Zweifel, dass Genie länger dauert als Schönheit. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum wir uns alle solche Mühe geben, uns zu überbilden. In dem wilden Kampf ums Dasein wollen wir etwas haben, das dauert, und so füllen wir unseren Geist mit Nichtigkeiten und Tatsachen in der törichten Hoffnung, unseren Platz zu behaupten. Der allseits unterrichtete Mann — das ist das moderne Ideal. Und der Geist des allseits unterrichteten Mannes ist etwas Furchtbares. Er ist wie ein Krämerladen, mit lauter verstaubten Ladenhütern, wo jede Ware über ihrem Wert im Preise steht. Aber ich glaube trotzdem, du wirst zuerst seiner überbrüssig werden. Eines Tages wirst du deinen Freund anschauen, und es wird dir vorkommen, als ob in die Harmonie seiner Züge ein Misston gekommen sei, oder seine Haarfarbe wird dir nicht gefallen oder sonst etwas. Du wirst ihm in deinem Herzen bittere Vorwürfe machen und ernstlich denken, dass er sich sehr schlecht gegen dich benommen hat. Wenn er dich das nächstemal besucht, wirst du völlig kalt und gleichgültig sein. Und das wird sehr schade sein, denn es wird dich verwandeln. Was du mir gesagt hast, ist richtige Romantik, Kunstromantik könnte man sagen, und das Schlimmste an Romantik jeder Art ist, dass sie einen so unromantisch zurücklässt.“
„Harry, sprich nicht so. Solang’ ich lebe, wird die Persönlichkeit Dorian Grays mich beherrschen. Du kannst nicht fühlen, was ich fühle. Du änderst dich zu oft.“
„Ach, mein lieber Basil, gerade darum kann ich es fühlen. Wer treu ist, kennt nur die triviale Seite der Liebe; nur der Untreue kennt ihre Tragödien.“ Und Lord Henry zündete an einer zierlichen Silberbüchse eine Zigarette an und begann sie mit so selbstbewusstem und zufriedenem Ausdruck zu rauchen, als ob er die Welt in einem Satz zusammengefasst hätte. Man hörte das Schwirren von zwitschernden Spatzen in den lackgrünen Efeublättern, indes die blauen Wolkenschatten einander wie Schwalben über das Gras jagten. Wie hübsch war es im Garten! Und wie angenehm waren anderer Leute Gefühle! — viel angenehmer als ihre Gedanken, schien es ihm. Die eigene Seele und die Leidenschaften von Freunden — das waren die wirklich anregenden Dinge im Leben. Er malte sich mit stillem Vergnügen das langweilige Mittagessen aus, das er versäumt hatte, weil er so lange bei Basil Hallward geblieben war. Wenn er zu seiner Tante gegangen wäre, so hätte er dort sicher Lord Goodbody getroffen, und das ganze Gespräch hätte sich um Armenpflege und um die Notwendigkeit mustergültiger Arbeiterhäuser gedreht. Jede anwesende Klasse hätte die Bedeutung jener Tugenden gepredigt, die auszuüben in ihrem eigenen Leben kein Anlass bestand. Die Reichen wurden von dem Wert der Sparsamkeit gesprochen haben, und die Müssigen waren beredt geworden über die Würde der Arbeit. Es war herrlich, all dem entgangen zu sein! Als er sich an seine Tante erinnerte, kam ihm plötzlich ein Gedanke. Er wandte sich Hallward zu und sagte:
„Mein lieber Junge, eben fällt mir ein“ —
„Was, Harry?“
„Wo ich den Namen Dorian Gray gehört habe.“
„Wo war es?“ fragte Hallward mit leichtem Stirnrunzeln.
„Schau nicht so böse drein, Basil. Es war bei meiner Tante Lady Agatha. Sie erzählte mir, dass sie einen prächtigen jungen Mann entdeckt habe, der ihr bei ihrer Arbeit im Gast End helfen wolle, und dass er Dorian Gray heisse: Ich bin verpflichtet festzustellen, dass sie nie erwähnte, er sei schön. Frauen haben kein Verständnis für Schönheit, wenigstens gute Frauen haben es nicht. Sie sagte, er sei sehr ernst und habe einen vortrefflichen Charakter. Ich stellte mir sogleich ein bebrilltes Wesen vor mit strähnigem Haar und Sommersprossen und riesigen Füssen. Ich wollte, ich hätte gewusst, dass es dein Freund war.“
„Ich bin sehr froh, dass du es nicht gewusst hast, Harry!“
„Warum?“
„Ich möchte nicht, dass du mit ihm zusammenkommst.“
„Du möchtest nicht, dass ich mit ihm zusammenkomme?“
„Nein.“
„Herr Dorian Gray ist im Atelier, gnädiger Herr“, sagte der Diener, der im Garten erschien.
„Jetzt musst du mich vorstellen“, rief Lord Henrr lachend.
Der Maler wandte sich an seinen Diener, der im Sonnenlicht blinzelnd dastand. „Bitten Sie Herrn Gray, einen Augenblick zu warten, Parker, ich komme sofort.“ Der Mann verbeugte sich und verschwand.
Dann blickte er Lord Henry an. „Dorian Gray ist mein teuerster Freund“, sagte er. „Er ist ein einfacher und wundervoller Mensch. Deine Tante hatte ganz recht mit dem, was sie über ihn sagte. Verdirb ihn nicht. Versuche nicht, ihn zu beeinflussen. Dein Einfluss würde schlecht sein. Die Welt ist gross, und es gibt viele wundervolle Leute darin. Nimm mir nicht den einzigen Menschen, der meiner Kunst den ganzen Zauber gibt, den sie überhaupt besitzt; mein Leben als Künstler hängt an ihm. Denk’ daran, Harry, dass ich dir vertraue.“ Er sprach sehr langsam und schien sich die Worte fast widerwillig abzuringen.
„Was für einen Unsinn du sprichst!“ sagte Lord Henry lächelnd, nahm Hallward beim Arm und führte ihn beinahe ins Haus.
Zweites Kapitel
Als sie eintraten, sahen sie Dorian Gray. Er sass am Klavier mit dem Rücken zu ihnen und blätterte in einem Band von Schumanns „Waldszenen“. „Die musst du mir leihen, Basil“, rief er. „Ich möchte sie lernen. Sie sind einfach entzückend.“
„Das hängt ganz davon ab, wie du heute Modell stehst, Dorian.“
„Oh, ich habe das Modellstehen satt, und ich brauche kein Bildnis in Lebensgrosse von mir“, antwortete der Jüngling und drehte sich auf dem Musikstuhl in einer eigenwilligen, übermütigen Weise um. Als er Lord Henrys ansichtig