Herzversagen - Ein Schweden-Krimi. Jonas Moström
Читать онлайн книгу.neuen Bieren an den Tisch zurückkam.
»Wie geht’s der Tochter?«, hörte Axberg sich selbst fragen.
»Ausgezeichnet. Du musst irgendwann mal zu Besuch kommen.«
Wieder ein Blick von der Frau an der Theke. Halte das Gespräch am Laufen, dachte Axberg.
»Seid ihr mit euren Umzugsplänen weitergekommen?«
Jensen lächelte.
»Meine Pläne, meinst du? Nein, Sara weigert sich, Sundsvall zu verlassen. Aber es ist noch nichts abgemacht. Ich habe mich am Karolinska auf ein paar Stellen beworben und warte auf Antwort. Danach sehen wir mal.«
Axberg sah, wie die Frau an der Theke sich vorlehnte und etwas bestellte. Das Hemd rutschte hinten etwas hoch und ließ eine spinnenartige Tätowierung unten am Rücken sehen. Die Ouvertüre von Wilhelm Tell erklang durch das Gemurmel der Kneipe. Jensen holte das Handy hervor und antwortete. Das Gespräch war kurz und einsilbig.
»Ich muss los«, seufzte er. »Die Kleine schläft nicht ein. Gibst du den Zettel ab?«
Mit einer Verabredung für nächste Woche am selben Ort ging Jensen. Axberg beschloss, noch zu bleiben. Auf einem Großbildfernseher hinten im Lokal lief ein Fußballspiel und eine Gruppe Männer im mittleren Alter saß dort und schrie ihre Reaktionen immer lauter heraus.
Axberg dachte an das, was Jensen erzählt hatte. Er dachte an Carolina, die heute Abend bei ihren Eltern zum Abendessen war. Er konnte ihre ausweichende Antwort hören, als die Mutter fragte, warum er nicht mitgekommen war. Die Unruhe in ihm wurde wieder stärker, die Fragen drängten von allen Seiten auf ihn ein. Hatte er etwas übersehen, als er das Pfarrhaus besucht hatte? Gab es da etwas, das ihm entging? War der Schatten, den Birgit Öberg gesehen hatte, doch keine Einbildung? Wie ging es mit ihm und Carolina in der Zukunft weiter? Sollte er ein Familienvater werden wie Jensen? Würde er das überhaupt schaffen?
Seine Grübelei wurde dadurch unterbrochen, dass zwei der drei Frauen an der Theke von den Barhockern stiegen, ihre Handtaschen über die Schulter hingen und sich umarmten. Axberg sah sofort seine Chance. Die Blonde saß noch da. Sie drehte ihr Weinglas, machte keine Anstalten zu gehen und warf ihm interessierte Blicke zu. Axberg wusste, dass er in eine andere Richtung schauen, am besten das Lokal verlassen sollte. Aber es war zu spät, die Falle war bereits zugeschnappt.
Hinterher erinnerte er sich daran, wie lustig es gewesen war, an ihren Duft und ihr warmes Lachen. Ihre Berührung und wie er sich mit ihrem Gewicht auf sich ganz real fühlte.
Die Festigkeit, die Befreiung, die Freiheit.
Er nahm sich vor, das im Gedächtnis zu behalten, als er in ihrem Bett aufwachte, weil ihm die Sonne in die Augen schien. Er zog sich schnell an, trank in der Küche zwei Glas Wasser, schrieb einen Zettel ohne seine Telefonnummer und ging. Ein Wecker zeigte halb neun.
Draußen auf der Straße war viel los, als sei nichts passiert. Und das war es auch nicht, beschloss er. Der Gedanke war kaum gedacht, als ihn die Angst überkam.
Was das Schlimmste war, wusste er nicht.
Der Kater, die Angst davor, was Carolina sagen würde, oder das, was Jensen über die merkwürdigen Todesfälle erzählt hatte.
Kapitel dreizehn
Als Axberg am Abend des 9. Juli zum Polizeirevier ging, war fast niemand draußen.
Obwohl es ein Ferienmonat war und recht warm, waren die Straßen leer. Axberg betrachtete die Häuser, die stummen Steinfassaden sahen wie hohle Kulissen auf ihn herab. Alles war, wie es an Sonntagabenden immer war. Das Hochdruckgebiet verlor wohl an Kraft, die Sonne brannte nicht mehr so höllisch wie früher am Tag, und einzelne Wolken glitten neugierig auf die Bühne. Alles in allem war es dort, wo er langging, ziemlich angenehm.
Im Fach vor dem Büro erwartete ihn ein Stapel handgeschriebener A4-Bogen und Post-it-Zettel in schreienden Farben. Axberg griff sich den Haufen, ging in den Pausenraum und goss einen Pulverkaffee auf. Dann ließ er sich auf das Sofa fallen und genoss die ungewöhnliche Stille im Zimmer. Er blieb lange dort sitzen.
Die Gedanken an Carolina kehrten ständig zurück. Er versuchte immer wieder, eine Möglichkeit zu finden, ihr von der fatalen Nacht zu erzählen. Über mehrere Tage hinweg hatte er verschiedene Worte ausprobiert: Untreue, Seitensprung, Fehler, ein einmaliger Vorfall. Nichts davon konnte er aussprechen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, aber er begriff, dass er aufrichtig sein musste. Nicht noch mehr Lügen, es war an der Zeit, die Waffen niederzulegen.
Er stellte die Tasse ins Spülbecken und ging in sein Büro. Die meisten Angelegenheiten konnten bis morgen warten. Aber da war eine Sache, die er sofort erledigen musste. Ein Name im Stapel, den er fast übersehen hätte, weil er auf der Rückseite einer Einladung zu einer Fortbildung für Führungskräfte stand. Birgit Öberg.
Was konnte sie wollen? Axberg wägte eine Sekunde lang ab. Dann beschloss er anzurufen, obwohl es Sonntagabend war. Er musste wissen, was los war. Nach ihrem letzten Gespräch hatte er eigentlich gedacht, dass der Fall abgeschlossen wäre. Birgit Öberg hob nach dem dritten Klingeln ab.
»Da gibt es etwas, das ich Ihnen erzählen muss«, sagte sie mit trauriger Stimme.
»Ich höre«, sagte Axberg.
»Als wir vor kurzem miteinander gesprochen haben, haben Sie gefragt, ob irgendetwas nach Kents Tod fehlte.«
»Ja?«
»Das tut es. Etwas, woran ich zunächst nicht gedacht habe. Nicht bevor der Pfarrer Ekstedt erzählt hat, dass in der Nacht, in der seine Mutter gestorben ist, im Pfarrhaus ein Wecker verschwunden ist . . .«
Axberg sank gegen die Rücklehne des Stuhles. Jetzt mal ganz langsam und deutlich, dachte er.
»Was wollen Sie mir sagen?«
»Dass Kents Uhr verschwunden ist. Eine Golduhr, die er nach fünfundzwanzig Dienstjahren von der Gemeinde bekommen hat.«
Axberg verdrehte die Augen. Er traute seinen Ohren nicht.
»Haben Sie und der Pfarrer viel Kontakt?«
»Nein, wir sprechen nur ab und zu über das, was passiert ist. Er war mir eine große Stütze.«
Oder umgekehrt, dachte Axberg.
»Sind Sie sich wirklich sicher mit dieser Uhr?«
Birgit Öberg seufzte.
»Ja. Kent legte sie immer auf den Nachttisch, wenn er schlief. Und jetzt ist sie weg, ich habe überall gesucht.«
Axberg versuchte, seine Eindrücke zu sortieren. Er wusste nicht so richtig, was er mit dieser Information anfangen sollte.
»Wieso vermissen Sie die Uhr erst jetzt?«
»Das habe ich doch gesagt. Der Pfarrer hat mir erst gestern von dem verschwundenen Wecker erzählt. Außerdem wohne ich ja nicht mehr zu Hause, seit es passiert ist.«
»Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?«
»Ich habe darüber nachgedacht. Ich bin mir sicher, dass Kent die Uhr trug, als wir die Spätnachrichten sahen. Direkt danach sind wir zu Bett gegangen.«
Axberg schrieb die Angaben auf einen Zettel unter Birgit Öbergs Namen und Telefonnummer.
»Und dann lag sie auf dem Nachttisch?«
Axberg hörte Birgit Öbergs ruhiges Atmen.
»Das glaube ich«, sagte sie nach einer Weile.
»Vielleicht hat er sie irgendwohin gelegt, wo Sie nicht danach gesucht haben?«, schlug Axberg vor.
»Das glaube ich nicht. Kent war sehr ordentlich, außerdem achtete er auf diese Uhr. Er war sehr stolz darauf, so lange für die Gemeinde gearbeitet zu haben.«
»Ich habe mir das, was Sie gesagt haben, notiert«, schloss Axberg. »Sie sollten jetzt die Uhr ganz normal als gestohlen melden. Dann sehen wir weiter.«
»Es