Herzversagen - Ein Schweden-Krimi. Jonas Moström
Читать онлайн книгу.Sonntagsarbeit zur Routine geworden, und sie gefiel ihm, durch die Stille im Haus konnte er sich besser konzentrieren und arbeitete effektiver. Dann bekam er oft neue Ideen und entdeckte Zusammenhänge, die die Ermittlungen weiterbrachten. Viele der großen Fälle waren aufgeklärt worden, seit er vor zwei Jahren die Stelle als Leiter der Kriminalpolizei dieses Regierungsbezirks angetreten hatte. Axberg war sowohl stolz als auch froh gewesen, dass man ihm diese Stellung angeboten hatte, besonders da er erst vierunddreißig Jahre alt war. Hätte er jedoch gewusst, wie viel Verwaltungs- und Personalarbeit dieser Posten mit sich brachte, hätte er wohl nicht so schnell zugesagt.
Im Flur näherten sich schnelle Schritte. Ein neu angestellter Polizeianwärter ging mit nachdenklicher Miene vorbei. Die Wochenendstreife hat jetzt, da es warm wird, alle Hände voll zu tun, dachte Axberg und setzte sich an seinen Schreibtisch. Daran zu denken, dass andere hart arbeiteten, machte ihm Lust darauf, sich seinen eigenen Aufgaben zu widmen. Er sah von einem Papierstapel zum anderen und fragte sich, mit welchem er beginnen sollte. Häusliche Gewalt untersuchte er eigentlich nicht sonderlich gern, aber da sie auch eines der Verbrechen war, die er am meisten verabscheute, las er den Bericht über Lars und Katarina Karlsson aus Timrå zum dritten Mal.
Die Buchstaben wuselten bald über das Papier wie Ameisen.
Axberg wachte auf, weil ihm die Stirn weh tat. Er war mit dem Kopf auf Seite vier des Vernehmungsprotokolls eingeschlafen und hatte nicht die leiseste Ahnung, was er gelesen hatte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er zwanzig Minuten geschlafen hatte. Das Blatt Papier vor ihm war während des Nickerchens zerknittert worden. Verschlafen ging er zum Kopierer und machte eine Kopie, um die zerknüllte Seite zu ersetzen. Axberg beschloss, seinem Körper eine Chance zu geben. Er nahm die Tasche mit den Sportsachen und ging in den Fitnessraum im Keller. Eine Stunde lang schlug er schweißnass auf den Sandsack ein, radelte auf dem Heimtrainer und mühte sich am Rudergerät. Danach duschte er lange und überlegte, dass sein Körper eigentlich ungewöhnlich widerstandsfähig war angesichts der ungesunden Lebensweise, die er sich während der letzten Jahre angewöhnt hatte. Und doch war seine Kondition weit von der entfernt, die er Ende der achtziger Jahre gehabt hatte, als er Bronze bei den Landesschwimmmeisterschaften gewann. Trotzdem war er beim jährlichen Sporttest der Polizei immer noch unter den Besten, weswegen er auch keinen triftigen Grund sah, seine Lebensweise zu ändern.
Als er durch den Flur in sein Büro zurückging, hörte er die schrille Melodie, die ihm schon lange nicht mehr gefiel; trotzdem brachte er es nicht über sich, sie zu ändern. Er beeilte sich, ins Zimmer zu kommen und holte das Handy aus der Jackentasche.
»Hallo, hier ist Carolina.«
Axberg spürte, wie ihn freudige Erwartung überkam.
»Hallo, lange her . . . Wie geht’s dir?«
»Gut. Und dir?«
»Alles klar. Ich bin bei der Arbeit und erledige ein bisschen Papierkram«, sagte er und fing an, um den Schreibtisch herumzugehen, suchte nach den richtigen Worten.
Carolina Lind war die Frau in Axbergs Leben. Nicht immer war sie wirklich körperlich anwesend, aber in ihren Gedanken waren sie einander immer nah. Seit sie sich in der zwölften Klasse zum ersten Mal ineinander verliebt hatten, waren sie immer wieder aufeinandergetroffen, wie zwei Planeten, die sich ab und zu die Umlaufbahn teilten. Zwei Mal hatten sie sogar ein paar Monate zusammengewohnt. Jetzt jedoch hatten sie sich seit sechs Wochen nicht mehr getroffen, nach einem Streit, dessen Einzelheiten Axberg vergessen hatte. Dennoch hatte er das Gefühl, im Unrecht gewesen zu sein, und war froh, dass sie nun anrief. Endlich.
»Ich dachte, vielleicht hast du ja Zeit für ein Treffen, wir könnten zusammen Kaffee trinken oder so«, fragte sie vorsichtig.
»Klar. Ich bekomme hier ja doch nichts erledigt.«
»In einer halben Stunde bei Tinells?«
»Perfekt.«
Axberg lächelte, die Arbeitslust war wie weggeblasen. Die Papiere werden am Montag auch noch da sein, dachte er und holte einen Rasierer aus der Schreibtischschublade. Als er sich nach der Rasur das Gesicht wusch, fühlte es sich so an, als verschwände der Kater zusammen mit dem Rasierschaum endgültig im Waschbecken.
Da draußen wartete der Frühling auf ihn.
Kapitel drei
Der Mann holte einen dunklen Anzug von der Garderobe.
Das Hemd saß perfekt und war noch warm vom Bügeln, das ihn vierzig Minuten gekostet hatte. Er probierte alle Schuhe sorgfältig an, bevor er sich für die glänzenden, etwas zu engen Lackschuhe entschied. Dann sah er sich die Einladung an, prägte sich die Wegbeschreibung ein und machte sich auf den Weg.
Er fuhr durch die menschenleere Stadt, überschritt nie die Höchstgeschwindigkeit, blieb bei Gelb stehen und fuhr nur bei Grün weiter. Heute war der Tag des Triumphs. Er wurde erwartet und würde so selbstverständlich dazu passen wie alle anderen Gäste. Niemand hätte einen Verdacht. Das deprimierte ihn zuerst, aber schon bald nahm er es als einen weiteren Beweis für seine Sonderstellung. Er war auserwählt.
Die Kirche lag auf einem kleinen Hügel und war von einer Steinmauer und schwankenden Birken umgeben. Er stellte das Auto auf dem halbvollen Parkplatz ab, warf einen Blick in den Rückspiegel, strich sich über die Haare und stieg aus. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Ein warmer Wind blies über sein Gesicht. Als spazierte man in einem Föhn, dachte er und ging die leichte Steigung hinauf. Eine Wolke aus Staub wehte vom Weg hoch in sein Gesicht. Sein rechtes Auge tränte. Er nahm das frisch gebügelte Taschentuch aus der Brusttasche und drückte es fest auf das Auge. Das linderte den Schmerz und entfernte ein bisschen von dem Dreck. Er blinzelte mehrmals krampfhaft und sah mit zusammengekniffenen Augen auf das Nummernschild des Wagens. Trotz der Tränen war die Autonummer klar zu lesen, die Kontaktlinsen saßen also noch richtig.
In der Kirche war es kühl und angenehm. Der Wind und die Wärme drangen nicht durch die dicken Steinwände. Er zog seinen Mantel aus und öffnete die Tür zum Mittelgang. Auf der Empore über ihm ging jemand über knarrende Holzbalken. Die Schritte hörten auf, und unter weiterem Knirschen und Knacken setzte sich dieser Jemand hin und richtete einen Hocker oder Stuhl aus. Wahrscheinlich ein übergewichtiger Organist, dachte er und lächelte vor sich hin.
In einem der Seitenschiffe stand der Priester und sprach leise mit einem der Angehörigen. Er ging nach vorn, stellte sich vor und wurde mit den üblichen Phrasen begrüßt. Nichts wich von dem Erwarteten ab. Er wählte einen Platz weit hinten, mit einem guten Überblick, blätterte zerstreut in einem Gebetbuch und hoffte, dass sich niemand in dieselbe Bank setzen würde.
Die Zeremonie begann. Er sang die Lieder ohne Mitgefühl mit und lauschte den Worten des Priesters. Ein rascher Blick über seine Schulter und er wusste, dass niemand hinter ihm saß. Vorsichtig öffnete er seinen linken Manschettenknopf, schob die Hemdsärmel hoch und sah auf die Uhr. Oskar Bylunds Uhr gehörte nun ihm. Er lächelte; wenn sie das wüssten. Der Sekundenzeiger zuckte zielstrebig vor. Eine Art von Heldenmut überkam ihn, den ganzen Körper durchlief es heiß, er hatte Lust zu schreien. Niemand ahnte etwas, das Vertrauen war absolut.
Ein Menschenleben ist wie eine Welle, dachte er. Es wird aus dem Nichts geboren, erhebt sich aus der Wasseroberfläche, wächst langsam heran und erreicht seine maximale Größe. Dann wird es nach und nach weniger, um sich schließlich in nichts aufzulösen. Das, was ich tue, überlegte er, ist bloß, den Wellenkamm kurz zu berühren, bevor der sein letztes Stadium erreicht.
Nach der Beerdigung kam der Leichenschmaus. Als alle nach einer Stunde voller nichtssagender Gespräche aufstanden, kam die Witwe zu ihm.
»Hallo, vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«
»Keine Ursache. Es war schön in der Kirche.«
Die Witwe wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Irgendwie ist es gut, dass jetzt alles vorbei ist«, schniefte sie.
»Das verstehe ich.«
»Es war schon schön für Oskar, dass er einfach einschlief und keine Schmerzen hatte.«
Er