Herzversagen - Ein Schweden-Krimi. Jonas Moström

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Herzversagen - Ein Schweden-Krimi - Jonas Moström


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Danach hatte er sie gefragt, ob sie Angehörige habe. Sie hatte dann ihre Schwester angerufen, die sofort ins Auto gesprungen und losgerast war, fast hätte sie einen Unfall gehabt.

      Der restliche Tag war ein einziger Trümmerhaufen aus Trauer und Tränen. Erst am nächsten Tag begann Birgit Öberg, sich an die Erlebnisse der vorherigen Nacht zu erinnern. Sie fragte sich, woher dieses Unbehagen und die Angst stammten. Warum war sie beim Aufwachen so unruhig gewesen?

      Das Einzige, was ihr einfiel, war, dass sie während der Nacht zwischen Traum und Wirklichkeit gemerkt hatte, dass ein Schatten über Kent gebeugt stand. Es war ein undeutliches Bild, aber jedes Mal empfand sie dasselbe Unbehagen. War während der Nacht jemand im Schlafzimmer gewesen?

      Kent war sein Leben lang gesund gewesen und gerade erst fünfzig. Sicher, er war ein bisschen übergewichtig und rauchte manchmal. Und doch. In letzter Zeit hatte es keinerlei Anzeichen dafür gegeben, dass er krank war.

      Als das Obduktionsergebnis zwei Wochen später feststand, hieß es, dass Kent an plötzlichem Herztod gestorben sei, verursacht durch verkalkte Herzkranzgefäße. Birgit Öberg fiel es schwer, sich damit abzufinden. Die Gedanken schwirrten ihr im Kopf herum, ohne dass sie eine Ordnung hineinbringen konnte. Manchmal hatte sie das Gefühl, verrückt zu werden. Dieser nächtliche Schatten tauchte immer wieder in ihrem Innern auf und schließlich erzählte sie ihrer Schwester davon. Die hatte sie auf ihre sanfte Weise beruhigt und erklärt, dass das eine ganz normale Reaktion sei. Dass es eine nachträgliche Interpretation sei, ein Versuch, Kents Tod zu verarbeiten. Birgit Öberg glaubte ihr und bemühte sich, es zu vergessen. Sie entschloss sich, über die Sache kein Wort mehr zu verlieren. Das Letzte, was sie wollte, war verwirrt und paranoid zu erscheinen. Ihre Schwester hatte bestimmt Recht, wie üblich.

      Alles war nur ein unangenehmer Traum gewesen.

      Kapitel sechs

      Axberg klappte sein Laptop auf.

      Er hatte die Ermittlungen wegen der häuslichen Gewalt in Timrå endlich abgeschlossen. Jetzt musste er den Fall nur noch zusammenfassen und versuchen, ein paar überzeugende Schlusssätze zu formulieren. Etwas, das er nach jeder Ermittlung tat, einige Zeilen schreiben, um jenseits des üblichen Papierkrams die wichtigsten Einzelheiten zu notieren. Wenn er dann später feststeckte, griff er auf diese Notizen zurück, um sich Anregungen und Ideen zu holen. Das war sein achter Fall von häuslicher Gewalt dieses Jahr gewesen, und er unterschied sich nicht sehr von den vorherigen. Außer, dass der Täter gestanden hatte.

      Nach einer Woche intensiver Vernehmungen des Tatverdächtigen war es zu einem Geständnis gekommen. Axberg hatte ihn mit mehreren unabhängigen Zeugenaussagen konfrontiert und mit einem detaillierten Bericht des Rechtsmediziners inklusive Fotos der Verletzungen. Schließlich war Lars Karlsson eingeknickt und hatte widerwillig erzählt, wie er seine Frau misshandelte. Ansonsten war es dasselbe Elend wie immer.

      Jahrelanges Überschreiten der Grenzen durch Schläge und Drohungen, und erhöhter Alkoholkonsum ließ es immer häufiger geschehen. Eine Frau, die stur alles, was passierte, leugnete. Ein Mann, der offensichtlich von seinem Leben frustriert war. Axberg seufzte und hoffte, dass die Strafe nicht zu mild ausfiele. Er selbst hatte noch nie eine Frau geschlagen und würde es auch niemals tun.

      Er stand auf, ging ans Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Da draußen flimmerte die Luft noch vor Hitze. Seit mehreren Wochen war die Sonne der unbestrittene Herrscher gewesen. Die Durchschnittstemperatur und der Eisverkauf erreichten täglich neue Rekordhöhen. Alles lief ein bisschen langsamer ab, die Menschen waren offener und lachten mehr. Seine Gedanken schweiften zu Carolina und den zwei fantastischen gemeinsamen Wochen. Seit ihrem erlösenden Anruf hatten sie sich jede freie Minute getroffen.

      Bäder im Meer, die Sonne, seine Zunge auf ihrer salzigen Haut.

      Axberg zog an der Zigarette. Trotz all des Wunderbaren empfand er eine drängende Unruhe. Es könnte zu viel des Guten sein. Letzte Woche war Carolina mehr oder weniger bei ihm eingezogen. Es wurde enger, die Schlinge der Zweisamkeit zog sich zusammen. Als sie gestern gefragt hatte, ob er am Sonntag zum Mittagessen zu ihren Eltern mitkommen würde, klingelten bei ihm die Alarmglocken. Das würde sofort eine Fessel um den Fuß bedeuten.

      Bitte schön! Hier das ganze Paket mit Hochzeit und Kindern. Unterschreiben Sie hier.

      Axberg streckte sich und gähnte. Vielleicht war er zu extrem. Er liebte Carolina und würde dieses Mal vorsichtig sein. Er wusste, wie es sonst laufen konnte. Aber die Rastlosigkeit war wie ein Fieber in seinem Blut. Er brauchte seine Freiheit und würde wahrscheinlich nie dauerhaft mit einem anderen Menschen unter einem Dach leben können.

      Ein wohlbekanntes Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken. Monika Roos trat lächelnd ein. Sie war die Sekretärin der Abteilung und das Zentrum, um das sich alles drehte, sie hatte die Kontrolle über alles und alle. Und das betraf nicht nur die Arbeit. Wollte man sich jemandem anvertrauen, dann war Monika Roos definitiv die falsche Person. Aber die Sekretariatsaufgaben erledigte sie rasch und fehlerfrei und immer mit dem kompletten Service.

      »Hallo, Johan.«

      Axberg nickte zum Gruß.

      »Gibt’s was Neues?«

      Er hatte den Zettel in ihrer Hand schon gesehen, und die Frage war eher rhetorisch.

      »Nichts Besonderes. Dieser Pfarrer hat wieder angerufen . . . Und natürlich auch deine Oma. Sie war sehr ärgerlich, dass die Zentrale sie nicht weiterverbunden hat.«

      Axberg lächelte.

      »Sie hat Schwierigkeiten, sich die Durchwahl zu merken. Was wollte der Pfarrer?«

      »Mit dir reden. Mit keinem anderen. Er hat den Diebstahl einer Uhr angezeigt.«

      »Ach ja?«

      »Und dann wollte er noch wissen, warum ihr nicht weiter im Fall seiner Mutter ermittelt.«

      Axberg überkam eine lähmende Müdigkeit.

      »Ich verstehe.«

      Monika Roos verließ das Zimmer und schaute neugierig auf die halboffene Tasche mit der Sportbekleidung, die direkt hinter der Tür stand. Axberg sah auf den Zettel, knüllte ihn zu einem Ball zusammen und warf ihn weg. Er schaffte es nicht, Pfarrer Ekstedt anzurufen, um ihm die Situation ein weiteres Mal zu erklären. Dass die Polizei keine Verbrechen aufklären kann, die nur in der Fantasie existieren. Mit oder ohne Uhrendiebstahl. Gleichzeitig war es seltsam, dass der Pfarrer sich bei etwas so sicher war, das so völlig unsinnig wirkte. Wahrscheinlich eine Art Trauerreaktion, dachte Axberg und trank ein Glas Wasser aus, das auf dem Schreibtisch stand. Obwohl das Glas höchstens eine halbe Stunde dort gestanden hatte, war das vorher eiskalte Wasser bereits lauwarm.

      Er fragte sich, wie es seiner Oma bei der Hitze ging und wählte ihre Nummer. Nachdem er es fünfzehn Mal hatte klingeln lassen, legte er auf und versuchte es noch einmal. Keine Antwort. Hoffentlich ist sie nicht gestürzt, dachte er besorgt.

      Axbergs Großmutter hatte vor vielen Jahren eine entscheidende Rolle in seinem Leben gespielt. Als er zwölf Jahre alt war, kamen seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben, einem Frontalzusammenstoß mit einem Lastwagen außerhalb von Gävle. Sie waren auf dem Heimweg nach einem Wochenende bei Bekannten in Stockholm. Axberg hatte bei seinen Großeltern auf Frösön bei Östersund geschlafen. Er erinnerte sich daran, dass er in der Küche saß und Rhabarberkompott aß, als der Anruf kam. Die Zeit danach war turbulent und verwirrend. Er war bei den Eltern seines Vaters geblieben, die auch das Sorgerecht für ihn bekamen. Sie wurden während seiner Jugend zu seinen Leitfiguren und seiner Stütze. Seit sein Großvater vor acht Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war, gab es nur noch Oma Rosine – ein schwacher Schatten der Frau, die seine Großmutter früher einmal gewesen war.

      Axberg sah sie vor sich. Wie sie unsicher durch seine Wohnung tappte und dabei ihre Hände fast krampfhaft um die Gehhilfe krallte. Sehr lange hatte sie sich geweigert, die Gehhilfe zu benutzen. Sie nannte sie »Teufelsmaschine«, mit deren Hilfe sie direkt ins Fegefeuer marschieren würde. Axberg beschloss, in einer Stunde noch einmal anzurufen.

      Es klopfte drei Mal an der


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