John Lennon. Nicola Bardola

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John Lennon - Nicola Bardola


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ätzend, böse, aber verletzlich und warmherzig. Paul, äußerlich locker, lächelnd, lieb, aber innen zu harten Schnitten fähig, auch zum härtesten überhaupt: zur Klage 1969 gegen John, George und Ringo als letzten Ausweg, um die Unterzeichnung eines aus seiner Sicht unhaltbaren Vertragsentwurfs des Managers Allen Klein zu verhindern, was letztlich zum unwiderruflichen Ende der Beatles führt.

      Bis dahin aber bauen sich eine tiefe Freundschaft und ein nahezu blindes Vertrauen auf, die bei späteren Geliebten und Frauen für heftigste Eifersucht sorgen. Schritt für Schritt werden John und Paul Blutsbrüder: Pauls Mutter ist schon über ein Jahr tot, als auch Julia stirbt. Als eine freundliche Bekannte, eine ältere Dame, den beiden musikbesessenen Jugendlichen in den Straßen Wooltons begegnet, erkundigt sie sich ausdrücklich nach dem Wohlbefinden der Mütter. Kaum ist die Frau außer Hörweite, prusten die beiden Halbwaisen los.

      Unsicherheit angesichts des Todes. Verlegenheit. Nicht wissend, wie man sich verhalten soll. Dieses Thema begleitet John Lennon sein Leben lang. Gemeinsame Trauer, gemeinsamer Triumph und geheimes Verstehen. Hysterisches Lachen … auch als Reaktion auf den Verlust geliebter Menschen. Es erfasst ihn nicht nur beim tragischen Tod seiner Mutter, die von einem angetrunkenen Polizisten außer Dienst überfahren wird, sondern auch beim Tod eines seiner besten Jugendfreunde, Stuart Sutcliffe, der mit erst 21 Jahren 1962 in Hamburg an einer Gehirnblutung stirbt. Bis heute rätselt man, bei welcher Schlägerei möglicherweise das tödliche Gerinnsel entstanden ist.

      Stuart Sutcliffe und John Lennon lernen sich auf dem College of Art in Liverpool kennen. Seit Beginn des Studiums bis zu seinem Tod ist Stuart Johns bester Freund. Er ist ein begabter Maler, aber John drängt ihn, in der Band mitzumachen. Widerwillig übernimmt der Freund den Basspart, nachdem John ihn überredet, das Honorar eines gewonnenen Kunstwettbewerbs in einen Höfner-Präsident-Bass zu investieren. Er spielt schlecht, auf der Bühne wendet er sich oft vom Publikum ab, und er hat keine Ausdauer, weshalb sich auf seinen Fingerkuppen bis zuletzt keine Hornhaut bildet. Dann begleitet er seinen Freund nach Hamburg und verliebt sich dort in Astrid Kirchherr. John bewundert die deutsche Fotografin, bewundert die Kreativität Stuarts und beneidet das schöne Paar. Es entstehen fabelhafte Fotos, die Astrid Kirchherr von den Beatles macht. Dank Astrid verändert Stuart seine Frisur und bald ziehen die anderen Jungs nach: Die Pilzköpfe wachsen.

      Als die Beatles zum zweiten Mal nach Hamburg kommen, stirbt Stuart, der bereits bei Astrid war, in der Nacht vor ihrer Ankunft. John soll es am Flughafen erfahren haben und augenblicklich in hysterisches Lachen verfallen sein. Noch am selben Abend tritt er wie vertraglich vereinbart im Star Club auf. Musik und sofortige Trostsuche bis hin zur Erleichterung, überlebt zu haben und noch freier zu sein, als Reaktion auf Verlust. Zum Tod Julias sagt er: »Julia und ich hatten in wenigen Jahren so viel aufgeholt. Wir konnten uns austauschen. Wir kamen gut miteinander aus. Sie war so großartig. Ich dachte: Fuck it, fuck it, fuck it.«

      Tante Mimis Nachbar sieht ihren Neffen später in der Nacht nach Julias Tod auf der Veranda im Haus an der Menlove Avenue sitzen und Gitarre spielen. Seine Trauer über diesen Verlust ist unermesslich. Aber gleichzeitig offenbart sich seine aggressive Note. Sieht er bei aller Trostlosigkeit einen befreienden Aspekt, der seiner Person, seiner Identität, seinem Ich eine größere Bedeutung verleiht? Wäre er ohne diese frühen Verluste so radikal und zielstrebig geworden? Hätte er ohne diesen Schmerz wenig später Songs komponieren können, die so oft eng verbunden sind mit tiefer Trauer? John Lennon leistet Trauerarbeit, indem er sich rasch für das Leben, das freie Leben, sein freies Leben entscheidet.

      Astrid Kirchherr erinnert sich an Gespräche nach dem Tod ihres Verlobten; John, der mit Stuart selbst seinen damals besten Freund verliert, spendet ihr zunächst einfühlsam und geduldig Trost. Aber dann, eines Nachts nach dem Auftritt der Beatles, fährt er sie hart an: Sie müsse sich entscheiden, für den Tod oder für das Leben. Astrid ist sicher, dass John sie mit seiner plötzlich so groben Art gerettet hat. Das erzählt sie ihrem Freund Klaus Voormann, mit dem sie liiert ist, bevor Stuart auftaucht. Es ist eine große Clique, die sich Anfang der 1960er Jahre in Hamburg um die Beatles schart. Man experimentiert mit verschiedenen Kunstformen, die deutsche und die englische Mentalität reiben sich intensiv aneinander, es entsteht Aufregendes.

      Es ist auch eine explosive Stimmung, in der heftige Leidenschaft manchmal auf zerstörerische Eifersucht stoßen kann. Eine Schwester von Stuart Sutcliffe veröffentlicht 2001 Memoiren, in denen sie behauptet, John Lennon habe sich während des ersten Hamburg-Aufenthalts mit ihrem Bruder geprügelt und ihn schwer am Kopf getroffen. Andere glauben, dass eine Schlägerei in Liverpool 1961 den Tod des Bassisten verursacht hat, als John und Pete Best mit ihm gegen andere Schläger kämpften.

      Es sind raue, zornige und zärtliche junge Männer, die ihren Weg suchen.

      Jahrzehntelang hält das Band, das damals entstanden ist. Je länger John Lennon tot ist, desto offener bekennt sich Paul McCartney zu seiner Bewunderung für den Weggefährten. Als McCartney im Winter 2009 Konzerte in Deutschland gibt, widmet er einen Teil der Show dem Freund. Der YouTube-User TheBeatlesJohnPaulGe kommt nicht umhin, den von ihm hochgeladenen Clip »Paul McCartney Tribute to John Lennon« aus Pauls Konzert mit den Worten zu kommentieren: »Paul loves John!« McCartney sagt einleitend: »Manchmal möchte man im Leben etwas sagen, aber man tut es nicht zur richtigen Zeit. Manchmal will man jemandem sagen, dass man ihn liebt, aber dann denkt man ›hmm‹.«

      Die Szene entbehrt nicht der Tragikomik. Einerseits wirkt Paul McCartney etwas verlegen bei der Vorstellung dieses Songs, den er auf zurückhaltendere Art schon auf einer Tour 2002 präsentiert hat, andererseits lockert eine Frau aus dem Publikum die Stimmung auf, indem sie just in diesem Moment schreit: »We love you!« Das gibt ihm die Gelegenheit zu scherzen, das sei jetzt tatsächlich der passende Augenblick für diese Bemerkung. Dann setzt er seine einleitenden Worte fort: »Man spricht nicht immer zur richtigen Zeit mit den richtigen Menschen. Man denkt sich, ich werde es ihm nächstes Mal sagen. Und wenn sie dann sterben, denkt man sich, hätte ich es nur damals gesagt. Also habe ich den nächsten Song für meinen lieben Freund John geschrieben. Dieses Lied ist wie ein Gespräch, das ich mit ihm hätte führen können. Dieses Lied ist für meinen Freund John.« Und er singt: »Und wenn ich dir sagen würde, dass ich dich richtig gut kenne, was wäre dann deine Antwort? Wenn du heute hier wärest – woooouuuu – heute hier. Wie ich dich kenne, würdest du wahrscheinlich lachen und sagen, dass uns Welten trennen. Wenn du heute hier wärest – woooouuuuu – heute hier. Was mich betrifft, erinnere ich mich immer noch, wie es damals war, und ich halte meine Tränen nicht mehr zurück. Ich liebe dich.« Es gibt frühere Aufnahmen, in denen Paul McCartney wirklich weint bei diesen Worten.

      Das Rätsel der Liebe: Es holt den Rockpoeten John Lennon auch posthum immer wieder ein. Viele Menschen fragen sich, wie er all seine wunderschönen Liebeslieder hätte schreiben können, wenn er nicht in seinem eigenen Leben so viel Liebe erfahren hätte. Er hat sie nicht nur erfahren, er hat sie auch gesucht. Lennon erzählt mehrfach in Interviews von seiner Pubertät, von seiner Schwärmerei für die 21-jährige Brigitte Bardot und von ihrem Bild, das er ausschneidet und an seine Zimmerwand klebt.

      Die alles und immer wieder bestimmende Liebe: Teenager John, der sich mit knapp 17 Jahren in seine Kindergartenfreundin Barbara Baker verliebt, die glücklicherweise dieselben Initialen trägt wie Brigitte. Mit BB verliert John seine Unschuld und treibt es mangels Gelegenheiten auch auf Friedhofssteinen.

      John und Cynthia: In der Kunstakademie hänselt er sie zunächst, weil sie offenbar etwas Feineres ist, schon einen festen Freund hat und für ihn eine gute Partie wäre, aber unerreichbar scheint. Cynthia ist ein Jahr älter als John. Monatelang bleiben die beiden auf Distanz, der Kontrast scheint zu groß zu sein, ist aber nur der Gegenpart zu den Anziehungskräften, die im Verborgenen immer stärker werden und bei Cynthia zu plötzlicher Eifersucht führen, als eine andere Frau mit ihm flirtet. Die bisherige gegenseitige Abstoßung wandelt sich plötzlich in Attraktion und Sympathie, als sie bei einem Sehtest bemerken, wie kurzsichtig beide sind und dass Cynthia ein Jahr davor ihren Vater verloren hat. John kann mit Cynthia seiner Trauer Ausdruck verleihen, und schließlich kriegt er bei einer Party den ersten Kuss von ihr. »Cynthia hätte jeden haben können«, erinnert sich eine Kommilitonin in einem TV-Interview, das auf der DVD »Inside John Lennon« enthalten ist, ein Porträt mit vielen Stellungnahmen weniger prominenter Zeitzeugen,


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