Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf

Читать онлайн книгу.

Die Löwenskölds - Romantrilogie - Selma Lagerlöf


Скачать книгу
erkannte, was nun getan werden mußte. Wenn sich der schreckliche Ring wirklich auf Hedeby befand, mußte man ihn auch ausfindig machen können.

      Sie ging zuerst in das Wohnhaus hinüber, warf einen Blick in das Krankenzimmer, wo alles noch war wie vorher, lief die Bodentreppe hinauf und machte das Bett in Adrians Zimmer zurecht, damit alles bereit wäre, falls es Adrian besser ginge und er hinaufgetragen werden könnte. Dann ging sie zu den Fräulein und der Erzieherin hinein, die ganz verschüchtert beisammen saßen und nicht fähig waren, irgend etwas vorzunehmen. Sie sagte ihnen von dem, was sie erfahren hatte, so viel, daß sie wußten, worum es sich handelte, und fragte sie dann, ob sie ihr helfen wollten, den Ring zu suchen.

      Ja, damit waren sie sofort einverstanden. Die Fräulein und die Erzieherin übernahmen es, im Hause selbst, in den Zimmern und in den Bodenkammern zu suchen. Darauf begab sich Jungfer Spaak in den Küchenflügel und setzte alle Dienstmädchen in Bewegung.

      »Der General zeigt sich ebensooft in der Küche wie im großen Wohnhaus«, dachte sie. »Etwas in meinem Innern sagt mir, daß der Ring sich hier draußen befindet.«

      Nun drehte man alles, was sich in der Küche und der Speisekammer, in der Backstube und im Brauhaus befand, von unterst zu oberst. Man suchte in den Mauerritzen und Feuerstellen, leerte die Gewürzschrankschubladen, ja, man stocherte sogar in den Mäuselöchern.

      Über dem allen vergaß die Jungfer Spaak aber nicht, einmal ums andere über den Hof zu laufen und einen Blick ins Krankenzimmer zu werfen. Und bei einem dieser Besuche fand sie die Baronin bitterlich weinend, unverwandt den Sohn betrachtend.

      »Es geht ihm schlechter«, sagte sie. »Ich glaube, er ist am Sterben.«

      Jungfer Spaak beugte sich vor, nahm Adrians kraftlose Hand in ihre eigene und fühlte den Pulsschlag.

      »Ach nein, Frau Baronin«, sagte sie dann, »nicht schlechter, eher ein wenig besser.«

      Es gelang ihr, ihre Herrin etwas zu beruhigen, sie selbst aber war in heller Verzweiflung. Ach, ach, wenn der junge Baron nicht am Leben blieb, bis sie den Ring fand!

      In ihrer Angst vergaß sie einen Augenblick, auf sich selbst achtzugeben. Als sie Adrians Hand niederlegte, liebkoste sie sie ganz sanft. Sie war sich dessen kaum bewußt, die Baronin aber bemerkte es.

      »Mon dieu!« dachte sie. »Armes Kind, steht es so? Vielleicht sollte ich ihr sagen ... Aber es ist ja einerlei, da wir ihn doch nicht behalten dürfen. Der General ist böse auf Adrian, und wem er zürnt, der muß sterben.« Als Jungfer Spaak in die Küche zurückkam, fragte sie die Mägde, ob es nicht in der Gegend jemand gebe, nach dem man bei solchen Unglücksfällen schicken ließe? Ob man denn durchaus warten müsse, bis der Doktor eintreffe?

      Jawohl, anderswo schicke man ja, wenn jemand etwas zugestoßen sei, nach Marit Erikstochter von Olsby. Sie könne Blut stillen und Gelenke wieder einrenken, und sie würde auch Baron Adrian aus dem Todesschlaf wecken können; aber hierher nach Hedeby würde sie wahrscheinlich nicht kommen wollen.

      Während das Hausmädchen und Jungfer Spaak über Marit Erikstochter miteinander redeten, stand die Köchin oben auf einer Leiter und guckte auf das hohe Wandbrett, wo sich einstmals die vermißten Löffel wiedergefunden hatten.

      »Ach«, rief sie, »hier finde ich etwas, was ich schon lange gesucht habe. Hier liegt ja Baron Adrians alte Zipfelmütze!«

      Jungfer Spaak war entsetzt. Welche Unordnung mußte hier in der Küche geherrscht haben, ehe sie nach Hedeby kam! Wie konnte Baron Adrians Zipfelmütze da hinaufgekommen sein!

      »Daran ist übrigens nichts Merkwürdiges«, fuhr die Köchin fort. »Sie war ihm zu klein geworden, und da gab er sie mir, damit ich mir ein Paar Topflappen daraus mache. Es ist wirklich gut, daß ich sie jetzt gefunden habe.«

      Jungfer Spaak nahm ihr hastig die Mütze aus der Hand. »Es ist schade, sie zu zerschneiden, man kann sie einem Armen geben.«

      Gleich darauf nahm sie die Mütze mit auf den Hof hinaus und begann den Staub davon auszuklopfen. Während sie noch dabei war, trat der Baron aus dem Hauptgebäude.

      »Wir meinen, es geht Adrian schlechter«, sagte er.

      »Gibt es denn niemand in der Nähe, der sich auf die Heilkunst versteht?« fragte Jungfer Spaak ganz harmlos. »Die Mägde reden von einer Frau, die Marit Erikstochter heißt.«

      Der Baron wurde steif und starr.

      »Natürlich würde ich nicht zögern, nach meinem ärgsten Feind zu schicken, da es sich um Adrians Leben handelt«, sagte er. »Aber dies würde nichts nützen. Marit Erikstochter kommt nicht nach Hedeby.«

      Jungfer Spaak wagte keine Widerrede, als sie diesen Bescheid bekommen hatte. Sie stöberte weiter den ganzen Küchenflügel durch, sorgte für das Mittagessen, und es gelang ihr sogar, die Baronin zu überreden, einige Bissen zu sich zu nehmen. Der Ring war nicht gefunden worden, und Jungfer Spaak wiederholte einmal ums andere bei sich selbst: »Wir müssen den Ring finden. Der General läßt Adrian sterben, wenn wir den Ring nicht für ihn finden.«

      Am Nachmittag wanderte Jungfer Spaak nach Olsby. Sie ging aus eigenem Antrieb. Sooft sie nach dem Kranken gesehen hatte, waren die Pulsschläge wieder schwächer geworden. Sie hatte nicht die Ruhe, auf den Doktor aus Karlstadt zu warten. Marit würde allerdings nein sagen, das war mehr als wahrscheinlich, aber Jungfer Spaak wollte kein Mittel unversucht lassen.

      Marit Erikstochter saß, als Jungfer Spaak eintraf, an ihrem gewohnten Platz auf der Treppe vor dem Vorratshaus. Sie hatte keine Arbeit in den Händen, sondern saß mit geschlossenen Augen an die Wand zurückgelehnt. Sie schlief aber nicht und schaute auf, als die Jungfer daherkam, die sie auch gleich wiedererkannte.

      »Ach so«, sagte sie, »schickt man jetzt von Hedeby nach mir?«

      »Hat Sie wohl gehört, wie schlimm es bei uns steht, Marit?« sagte Jungfer Spaak.

      »Ja, ich hab’ es gehört, und ich will nicht kommen«, erwiderte Marit.

      Jungfer Spaak antwortete ihr mit keiner Silbe. Eine schwere Hoffnungslosigkeit senkte sich auf sie herab. Alles mißlang ihr, und dies war das Schlimmste von allem. Sie konnte sehen und hören, daß Marit froh war. Sie hatte da auf der Treppe gesessen und sich über das Unglück gefreut, sich gefreut, daß Adrian Löwensköld sterben mußte.

      Bis jetzt hatte Jungfer Spaak ihre Fassung aufrechterhalten. Sie hatte nicht geschrien, nicht geklagt, als sie Adrian ausgestreckt auf dem Boden liegen sah. Sie hatte nur daran gedacht, ihm und allen anderen zu helfen. Marits Widerstand aber raubte ihr die Kraft. Sie fing zu weinen an, heftig und unaufhaltsam. Sie wankte zu einer grauen Stallwand hin, lehnte die Stirn daran und weinte.

      Marit beugte sich ein wenig vor. Lange wendete sie kein Auge von dem armen Mädchen. »Ach so, steht es so?« dachte sie.

      Doch während Marit die Jungfer betrachtete, die die Tränen der Liebe über den Geliebten weinte, ging in ihrer eigenen Seele etwas vor.

      Vor wenigen Stunden hatte sie erfahren, daß der General Adrian erschienen war und ihn beinah zu Tode erschreckt hatte, und sie hatte sich gesagt, nun endlich sei die Stunde der Rache gekommen.

      Darauf hatte sie seit vielen Jahren gewartet, jedoch immer vergebens. Der Rittmeister Löwensköld war ins Grab gebettet worden, ohne je von seiner Strafe getroffen worden zu sein. Allerdings war der General, seit sie den Ring nach Hedeby geschafft hatte, dort umgegangen; aber es hatte den Anschein gehabt, als brächte er es doch nicht übers Herz, seine eigenen Nachkommen mit der gewohnten Grausamkeit zu verfolgen.

      Jetzt aber war das Unglück bei ihnen eingekehrt, und gleich kamen sie zu ihr, Hilfe zu erbitten! Warum gingen sie nicht lieber gleich zu den Toten auf dem Galgenhügel?

      Es tat ihr wohl zu sagen: »Ich komme nicht.« Das war ihre Art, Rache zu nehmen.

      Als Marit jetzt aber das junge Mädchen dort drüben mit dem Kopf an der Wand weinen sah, da erwachte eine Erinnerung in ihr. »So hab’ ich auch, so an die harte Wand gelehnt, einst bitterlich geweint. Ich hatte keinen Menschen, auf den ich mich stützen konnte.«

      Und


Скачать книгу