Der moderne Mann in unsicheren Zeiten. Thomas Tuma
Читать онлайн книгу.agierte. Das ist ein Unterschied wie zwischen Steinkeule und Magnet-Resonanz-Tomograph. Und da sind nur wenige Jahrzehnte vergangen …
… womit wir endlich beim Gender-Thema wären.
Für manche ein echtes Schlachtfeld, auf dem ich mich schon deshalb alles andere als zu Hause fühle. Aber natürlich finden sich alle Verhaltenstipps zu Geschlechterfragen im Buch …
… Sie mogeln sich mit billiger Reklame um eine Antwort!
Wenn ich Reklame machen wollte, würde ich ja sagen: »Der moderne Mann« ist das ideale Geschenk nicht nur für Männer, sondern auch für deren Frauen, Mütter, Affären, Sozialtherapeutinnen und Bewährungshelferinnen.
Hören Sie auf!
Und hatte ich erwähnt, dass das Buch nicht nur Lebenshilfe bietet, sondern auch eine wunderbare Geschenkidee ist? Quasi für die ganze Familie. Ich kann auch deshalb hier so hemmungslos dafür werben, weil ich an den Milliardenumsätzen, Hollywood-Verfilmungen und Streaming-Drittverwertungsrechten gar nicht beteiligt bin.
Da sind wir ja schon zwei.
Sehen Sie, Herr K. Und wir »modernen Männer« werden immer mehr.
Beklagen Sie sich gerade?
Nichts liegt mir ferner. Es gibt ohnehin nichts Schlimmeres als jammernde Männer. Wenn ich hier überhaupt etwas empfehlen darf, dann: Mehr Haltung bitte! Wer rumheult, hat schon verloren.
Vielen Dank für das Interview, Herr Tuma.
NEUE GESAMMELTE KOLUMNEN
1.
WIE MODERNE KUNST DAS BÜRO
EROBERT
Mit der Kunst im Büro fing Frau Dr. Schwielow an. Irgendwann hing hinter ihrem Vorstands-Schreibtisch plötzlich eines dieser Nagelbilder von Günther Uecker. Gut, es waren mehr so Nagelabdrücke auf Papier. Und nummeriert war das Werk auch (147 205). Aber das machte nichts, seither konnte sie über Uecker oder seine pommerischen Ursprünge reden, als hätte sie dort ihre Unschuld an ihn verloren.
»Ostpommern, Westpommern, is’ mir alles so was von Latte«, murmelte Koslowski, der bei sich im Büro ein Star-Wars-Filmplakat (Episode IV) und den 2011-Jahreskalender eines mittelständischen Badezimmer-Armaturen-Herstellers aus dem Ostschwäbischen hängen hat. Im Gegensatz zu Koslowski hat Berger aus dem Marketing ein feines Gespür für Trends. Eine Woche später präsentierte er stolz ein hochgradig abstraktes Werk aus Elefanten-Dung und Handyplatinen: »Von einer blinden Berlinerin. Meisterschülerin von Schwarwelstedt, wenn euch das was sagt.«
Tat es nicht, provozierte aber dennoch ein geradezu tektonisches Beben, das schnell bis in den Vorstand zurückzitterte, wo Frau Dr. Schwielow und die anderen sich fortan mit Werken unterschiedlichster Provenienz überboten. Russische Neo-Dadaisten. Videokunst aus Island. Kadaver-Art einer Abspaltung der flämischen Op-Art-Gruppe »Flghngdh«, die »übrigens Breughel als ihren gedanklichen Vater begreift«, wie Dr. Schwielow bei einem abendlichen »Art-Workshop« vor elf Kolleginnen aus den unteren Rängen in der Kantine erklärte. Herr K. war der einzige Mann. Es gab Pinot Grigio und Zuchtlachs-Canapés.
Kunst ist der neue Weinkeller, verstand Herr K. Geldanlage mit Esprit. Wo man früher über die Kalkböden piemontesischer Südwest-Steilhanglagen fachsimpelte, kann man nun die Lebensläufe 22-jähriger Kunstakademie-Anfänger referieren, die vielleicht die nächsten Richters oder Gurskys werden – oder auch nur als verkrachte Bohemiens auf Flohmärkten enden. Man weiß es ja nie. Aber Geld ist zurzeit ja genug da.
Als Herr K. zwei Wochen später seinen neu erworbenen zwölfteiligen Aquarell-Zyklus »burningaleppo« vorstellte, wusste er, dass er damit auf lange Zeit die innerbetriebliche Benchmark gesetzt haben würde. »Die Künstlerin ist von Syrien zu Fuß bis Ruhpolding gelaufen«, erklärte er. »Die Bilder trug sie in einer mit Wachs abgedichteten Flak-Patronenhülse bei sich.« Selbst Koslowski erschauderte, bevor Frau Dr. Schwielow ihre Sprache wiederfand: »Wahnsinn, diese Farbintensität! Diese pastose Kraft!« Auch Berger aus dem Marketing flankierte: »Und diese abgründige Hoffnung.« »Aber auch in Neon gegossene Melancholie, irgendwie«, fand Frau Stibbenbrook aus der Rechtsabteilung.
An diesem Abend kam Herr K. sehr glücklich nach Hause. Nach dem Essen zog er seinen sechsjährigen Sohn beiseite: »Sag mal, kannst du mir noch ein paar so schöne Bilder zu unserem letzten Urlaub malen wie neulich? Darf ruhig ähnlich depri sein.«
2.
IN HOTLINE-LABYRINTHEN
Herr K. ist von der Kundenorientierung der deutschen Wirtschaft überzeugt – bis bei ihm zu Hause der Router kaputtgeht. Der was? »Das is’ das Ding, das dein WLAN am Laufen hält«, erklärt ihm seine augenrollende Tochter, was ja schon peinlich genug ist. Zur Strafe muss er bei der Hotline anrufen, die diese Router offenbar vertreibt.
»Herzlich willkommen bei Ihrem Anbieter für Internet, Telefon und TV«, begrüßt ihn eine Automatenstimme, die in solchen Fällen immer weiblich ist. »Sie interessieren sich für ein neues Produkt, dann wählen Sie bitte die Eins, bei technischen Fragen oder Störungen die Zwei und für unseren Kundenservice die Drei.« Herr K. kann sich schon an dieser Stelle nicht entscheiden – wer, wenn nicht der Kundenservice, ist denn wohl für Störungen zuständig?
»Um Sie mit dem richtigen Ansprechpartner verbinden zu können, geben Sie bitte Ihre 14-stellige Kundennummer ein.« Er legt wieder auf. Wählt erneut. »Um herauszufinden, ob Sie von einer Störung betroffen sind, geben Sie bitte jetzt Ihre Postleitzahl und das achtstellige Passwort Ihres …« Herr K. fängt an, sich sehr analoge Entscheidungsbäume auf ein DIN-A3-Blatt zu malen. Da heißt es auf einmal zur Abwechslung: »Das Gespräch kann zu Schulungszwecken aufgenommen werden. Wenn Sie damit einverstanden sind, drücken Sie die …«
Minuten, Stunden, Tage – alles verrinnt. »Für HDTV wählen Sie die Eins … für Fritzbox die Zwei … für alle sonstigen Themen legen Sie sich gehackt oder kalte Kompressen auf die Stirn …« Herr K. fängt offenkundig an zu halluzinieren. Er war schon froh, dass er den Begriff »Router« unfallfrei hätte stammeln können, aber es fragt ihn ja niemand.
»Um Ihre Smartcard zu aktivieren, wählen Sie bitte die Sechs, für die Selbstinstallation von Blutdruckmessgeräten und Herzschrittmachern …« Herr K. legt wieder auf, denn er hört mittlerweile schon Stimmen. Absurde Stimmen. »Wenn Sie in das vorherige Auswahlmenü zurückkehren wollen, wählen Sie …« Dann ist Herr K. plötzlich ganz nah dran, denn zu einer Großhirn-zerquirlenden Pausenmelodie-Variante von Helene Fischers »Atemlos« heißt es in den nächsten Stunden: »Sie werden mit unserem nächsten freien Service-Mitarbeiter verbunden.« Manchmal bringt ihm seine Frau Essen ans Telefon.
Irgendwann startet Herr K. einen allerletzten Anlauf und hört: »Sie rufen leider außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Für Informationen rund um unsere Kunden-Hotline drücken Sie bitte …« Aber das erreicht ihn schon nicht mehr. Er legt langsam auf und sieht seine Frau, deren Haar grau geworden ist.
Sie erzählt, wie er im Jahr 2017 einen Router bestellen wollte und dass ihre Tochter mittlerweile verheiratet sei und drei Kinder habe. Ihr Sohn studiere in München Maschinenbau. Er müsse jetzt nicht weiter anrufen. Zum einen sei er seit drei Monaten in Rente, zum anderen sei WLAN eine völlig veraltete Technologie. Herr K. umarmt sie müde, aber erleichtert.