Der moderne Mann in unsicheren Zeiten. Thomas Tuma

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Der moderne Mann in unsicheren Zeiten - Thomas Tuma


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      HÖRT DOCH EH

      NIEMAND ZU

      Neulich war Herr K. bei einem geschäftlichen Empfang, als ihm plötzlich ein alter Schulfreund gegenüberstand: »Möönsch, dich hab ich ja eeewig nicht gesehen!«, patschte ihm der andere auf die Schulter. Er war schon früher so ein Anfasser. Nicht bei Frauen, nur bei »Buddys«, was die Sache nicht besser macht.

      Dann fragte der andere: »Wie geht’s dir denn?« Und weil Herr K. wusste, dass der Typ noch nie zuhören konnte, antwortete er: »Neulich hab ich mir zwei Finger abgerissen, und meine Tochter ist heroinsüchtig, aber sonst ist alles paletti.« »Mensch, super, du!« Und dann noch: »The best is yet to come, gell?!« Sein Schulfreund patschte ihm erneut auf die Schulter und war schon weitergezogen.

      Diese Erfahrung moderner Kommunikationsdefizite war für Herrn K. so aufwühlend, dass er sie am nächsten Tag auch an seiner Sekretärin austesten musste, als die abends fragte: »Ich würd’ dann gern gehen. Kann ich noch was machen?« Er antwortete: »Können Sie bitte in der Kaffeeküche einen Scheiterhaufen anzünden und Schmitt-Scheckenbach aus dem Controlling auf kleiner Flamme rösten! Für mich reicht ein Strick.«

      »Alles klar, dann noch ’n schönen Abend«, grüßte sie fröhlich und entschwand in die oktoberschwarze Nacht. Es erübrigt sich zu sagen, dass weder da noch an den darauffolgenden Tagen irgendwelche Feuerwehreinsätze in der Kaffeeküche zwingend geworden wären. Die Schlussfolgerung, dass man einander nicht mehr zuhört, lag für Herrn K. zu nahe. Eigentlich. Deshalb wollte er am nächsten Mittag in der Kantine noch mal sichergehen.

      Dort ging es irgendwann um die Frage nach dem »Und-was-machen-Sie-so-am-nächsten-Wochenende?«. Als nach eintönigstem Allerlei die Reihe an ihn kam, sagte Herr K.: »Meine Frau kommt für zwei Tage aus der Entzugsklinik, um sich von mir zu verabschieden … ich hab ja nur noch zwei Wochen. Aber der künstliche Darmausgang ist schon praktisch!«

      Koslowski murmelte abwesend: »Cool.« Berger stand bereits auf und wünschte »viel Spaß!«. Nur Frau Stibbenbrook aus der Rechtsabteilung sah ihn aschfahl an. Er hatte einige Mühe, ihr den experimentellen Charakter seiner Versuchsanordnung zu erklären.

      Als er an jenem Abend nach Hause kam, fragte Herr K. seine Frau, was so war, und sie sagte: »Mit deinem Sohn musste ich zum Notarzt, weil er bei einer Schulhofschlägerei eine Gehirnerschütterung abbekommen hat. In der Zeit haben Diebe das Haus auf den Kopf gestellt und das Robbe-&-Berking-Silber mitgenommen. Und deine Mutter ist wegen einer Thrombose ins Krankenhaus eingeliefert worden.«

      »Super, Schatz!«, sagte er. »Morgen muss ich dir mal erzählen, wie total aneinander vorbei man im Büro lebt.« Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und legte sich schlafen.

      Was lernen wir daraus? Meine Güte, was soll man schon aus Kolumnen lernen! Vielleicht das: Wenigstens Sie, liebe Leser, hören noch genau zu. Print wirkt!

      4.

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      WEICHEIER

      AUF »WOLKE VIER«

      Wann ist man als Mann heutzutage ein richtig moderner Mann? Wenn man mit seinem Sohn auf dem abgefressenen StadtteilSpielplatz Fußball spielt? Wenn man eine Waschmaschine installieren kann? Oder doch eher, wenn man seiner Gattin ohne Thermomix ein dreigängiges Abendmenü zaubert, nachdem der eigene Büro-Tag auch nur so semi-spaßig war? Herr K. fragt sich das immer dann, wenn er moderne Männer Musik machen hört.

      Was in den deutschen Charts momentan ganz oben steht, hat inhaltlich etwas seltsam Verheultes, findet er. »Cro« zum Beispiel macht ja ganz gefällige Musik, aber seine Texte!? »Mein Kopf ist voller Wörter, doch es kommt nichts raus«, ist so ein typischer Cro-Satz. Da denkt sich Herr K., dass Mund-Aufmachen vielleicht mal helfen würde. Und dazu trägt Herr Cro immer eine Panda-Maske. Entschuldigung, was verrät das über einen auch nicht mehr ganz jungen Menschen, und juckt die Maske nicht sehr, wenn man schwitzt?

      Authentizität scheint andererseits wichtig, deshalb heißen die Sänger heute nicht mehr Costa Cordalis oder Roy Black, sondern Andreas Bourani, Tim Bendzko oder Philipp Dittberner, der eine Weile in jedem Kaufhaus-Aufzug seine »Wolke vier« besang. Herr K. ahnt, dass diese Wolke vier repräsentativ sein könnte für eine ganze Generation von unentschlossenen Weicheiern, Beckenrandschwimmern und Jasmintee-Trinkern, die dann mit unförmiger Strickmütze durchs 17. Semester ihres Sozialpsychologie-Studiums Sitzfahrrad fahren.

      Er muss das mal so böse formulieren, denn in dem Song heißt es: »Lass uns die Wolke vier bitte nie mehr verlassen. Weil wir auf Wolke sieben viel zu viel verpassen. Ich war da schon einmal, bin zu tief gefallen. Lieber Wolke vier mit dir als unten wieder ganz allein.«

      Mit anderen Worten: Die Besungene ist als Wolke vier eine Notlösung, das Prinzip »Kannste nix verkehrt machen«. Quasi das Billy-Regal unter den Frauen: eher praktisch und preiswert. Auf jeden Fall besser als echte, große, mitunter schmerzhafte Gefühle. Und dazu heult Herr Dittberner seiner bemitleidenswerten Freundin auch noch von seiner Verflossenen vor, die ja drei Wolken-Kategorien besser war, aber sein »kleines Herz zerbombt« hat.

      Geht’s noch uncharmanter? Also lieber gar kein Risiko mehr eingehen im Leben? »Und aussehen tut er wie ein Tofu-Taler, dieser Herr Dittberner«, schimpft sich Herr K. vor seiner Frau in Rage. Sie stehen im Supermarkt bei den Tütensuppen, »Wolke vier« tropft sämig aus den Deckenlautsprechern. »Na ja, die Helden deiner Kindheit waren auch eher dubiose Kerle«, wirft sie ein. Er schaut sie fragend an, worauf sie antwortet: »Der Gitarrist von AC/DC rannte schon vor 30 Jahren in kurzen Schulhosen über die Bühne. Und die Jungs von Kiss sahen aus wie eine Mischung aus Billig-Geishas und Ruhrpott-Drag-Queens.« Ach, wie recht sie wieder hat!

      5.

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      ANGRY BIRDS

      IM SALES FUNNEL

      Es ist Abend, die Sonne schiebt sich blutrot hinter den Horizont, als Herr K. nach Hause kommt und von seinem sechsjährigen Sohn an der Tür empfangen wird: »Hi, Vati, wie war’s im Büro?« Schon klar, dass der Junior keine weitschweifige Antwort verlangt, denkt sich Herr K. Aber nur mal angenommen, er wäre jetzt mal richtig ehrlich – was würde er antworten?

      Dass er morgens schon in der Tiefgarage Frau Dr. Schwielow aus dem Vorstand vollschleimte, indem er ihr Gender-Projekt »Frau. Macht. Unterschied« enthusiastisch feierte, aber ihre zwischen Henna und Hornhaut changierende neue Haarfarbe lieber ignorierte, weil ein Kompliment da möglicherweise missverstanden worden wäre. Und für sexistische Ausfälle ist in seiner Abteilung definitiv Koslowski zuständig. Dann müsste er seinem Sohn aber auch erzählen, dass danach gleich ein Workshop anstand, bei dem ein Mittzwanziger aus dem digitalen Marketing viel über Adwords, Prerolls und Targeting-Kriterien erzählte. Und dass Herr K. nicht einmal ansatzweise verstand, wovon überhaupt die Rede war, als es auch noch um seinen »Sales Funnel« ging. Er wusste gar nicht, dass er einen hat. Den jungen Typen zu belächeln hätte er sich aber auch nur leisten können, wenn sein CEO dabei gewesen wäre, ein Endfünfziger, der seine drei Assistentinnen sogar die E-Mails ausdrucken lässt. Der Alte ist der Einzige, bei dem man mit digitaler Ignoranz noch Bonuspunkte sammeln kann.

      Apropos Bonuspunkte: Würde Herrn K.s Sohn es nicht endgültig missverstehen, wenn er seinen Vater während der nächsten Konferenz dann auf dem iPad »Angry Birds 2« spielen sähe? Es waren ja nur ein paar Runden beim strunzlangweiligen Vertriebs-Jour-fixe, und Herr K. kann sich wahnsinnig darüber aufregen, dass man das neue Spiel zwar umsonst bekommt, dann aber für irgendwelche virtuellen Kristalle dauernd Geld zahlen muss für Extraleben und …

      Nein, nein, das würde sein Sohn alles völlig


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