Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus

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Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus


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er sie ungebraucht besitze und so die Frucht des Vortheils, der aus ihnen gehofft wird, in den bloßen Besitz der Instrumente lege, sondern damit er mit ihrer Hilfe die Kunde und den Endzweck jenes Faches, dessen Hilfsmittel sie sind, nachhaltig erlerne. So sind also Fasten, Nachtwachen, Betrachtung der Schrift, Blöße und Beraubung alles Vermögens nicht die Vollkommenheit, sondern die Mittel zur Vollkommenheit, weil nicht in ihnen der Endzweck jenes Lehrgegenstandes liegt, sondern weil man durch sie zum Endziel kommt. Vergebens also wird diese Übungen vornehmen, wer immer mit ihnen als dem letzten Gute zufrieden die Absicht seines Herzens gerade hier festgesetzt hat und nicht all’ sein Tugendstreben ausgedehnt hat auf die Erfassung des Zieles, um deßwillen diese Dinge zu begehren sind; er hat zwar die Instrumente dieser Wissenschaft, aber er kennt das Ziel nicht, in welchem alle Frucht enthalten ist. Was also immer diese Reinheit und Ruhe unseres Geistes stören könnte, ist als schädlich zu meiden, wenn es auch nützlich und nothwendig scheint. Nach dieser Norm nun können wir alle Reihen der Irrthümer und Ausschweifungen vermeiden und das ersehnte Ziel in der Linie der bestimmten Richtung erreichen.

       8. Von dem Hauptstreben nach Beschauung der göttlichen Dinge und von dem Gleichnisse der Maria und Martha.

      Das also muß unser Hauptringen, das die unveränderliche, immer angestrebte Absicht unsers Herzens sein, daß der Geist den göttlichen Dingen und Gott immer anhänge, und was davon verschieden ist, das muß, wie groß es auch sei, doch für das Zweite oder auch Letzte oder für gewiß schädlich gehalten werden. Ein Bild dieses Geistes oder Benehmens wird uns auch im Evangelium durch Martha und Maria ganz schön vorgestellt. Denn da Martha mit allerdings heiligen Dienstleistungen beschäftigt war, indem sie ja dem Herrn selbst und seinen Jüngern diente, während Maria nur auf die geistige Lehre achtete und zu den Füßen Jesu weilte, die sie küßte und mit dem Balsam eines aufrichtigen Bekenntnisses salbte: erhielt doch sie von dem Herrn den Vorzug, weil sie den bessern Theil erwählt habe, den, der von ihr nicht könne genommen werden. Denn als Martha sich abmühte in frommer Sorgfalt und vielseitiger Geschäftigkeit und sah, daß sie allein zu einer solchen Bedienung nicht hinreichen könne, da erbat sie von dem Herrn die Hilfe ihrer Schwester und sagte: „Sorgt es dich nicht, daß meine Schwester mich allein läßt bei der Aufwartung? Sag ihr doch, daß sie mir helfe!“ Wahrhaftig, sie rief sie nicht zu einem eitlen Werk, sondern zu einem lobenswerthen Dienst. Und doch, was hört sie vom Herrn? „Martha, Martha, du bist besorgt und kümmerst dich um Vieles; aber es ist Weniges oder auch nur Eines nothwendig; Maria hat den guten Theil erwählt, der nicht von ihr wird genommen werden.“ Ihr seht also, daß der Herr das größte Gut in die Beschauung allein, also in die göttliche Contemplation gesetzt bat. Deßhalb urtheilen wir, daß die übrigen Tugenden, obwohl wir sie für nothwendig und nützlich erklären, doch auf die zweite Stufe zu stellen seien, weil sie alle zur Erreichung dieser einzigen erworben werden. Denn indem der Herr sagt: „Du bist besorgt und kümmerst dich um Vieles; Weniges aber oder auch nur Eines ist nothwendig,“ — setzt er das höchste Gut nicht in die thätige Übung, so lobenswerth und reich an vielen Früchten sie auch ist, sondern in die Beschauung Seiner, die wahrhaft einfach und eine ist. So verkündet er, daß wenig nothwendig sei zur vollkommenen Glückseligkeit, d. i. zu jener Beschauung, die zuerst in der Betrachtung weniger Heiligen geübt wird, wovon aufsteigend der, welcher noch auf dem Wege ist, mit Gottes Hilfe zu dem kommt, was das Eine genannt wird. d. i. die Anschauung Gottes allein, so daß er nemlich, auch die Handlungen und wunderbaren Leistungen der Heiligen überschreitend, nur mehr an Gottes Schönheit und Wissenschaft sich weidet. Maria hat also den besten Theil erwählt, der nicht von ihr wird genommen werden. Das müssen wir uns genauer ansehen; denn wenn er sagt, Maria hat den guten Theil erwählt, so lehrt er doch, obwohl er von Martha schweigt und sie durchaus nicht zu tadeln scheint, durch das Lob Jener, daß Diese die Geringere sei. Wieder, wenn er sagt, der nicht von ihr wird genommen werden, zeigt er, daß Dieser ihr Theil genommen werden könne; denn die körperlichen Leistungen können nicht mit dem Menschen beständig dauern; aber über das Streben Jener lehrt er uns, daß es durchaus kein Ende haben könne.

       9. Frage, wie die Tugendübungen mit den Menschen nicht fortdauern.

      Germanus: Darauf sagten wir sehr ergriffen: Wie also, die Beschwerde des Fastens, der Fleiß in der Lesung, die Werke der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Menschenliebe sollen von uns genommen werden und nicht mit ihren Trägern fortdauern? Und Das, während der Herr selbst diesen Werken den Lohn des Himmelreiches verspricht mit den Worten: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmet das Reich in Besitz, das euch seit Gründung der Welt bereitet war; denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich dürstete und ihr gabt mir Trank“ &c. Wie wird also das hinweggenommen werden, was Diejenigen, die es gethan, in das Himmelreich führt?

       10. Antwort: Nicht der Lohn, sondern die Handlung werde aufhören.

      Moyses: Ich habe auch nicht gesagt, daß der Lohn des guten Werkes hinweggenommen werde, da ja derselbe Herr sagt: 10 „Wer Einem der Geringsten von Diesen nur einen Becher kalten Wassers zum Tranke gegeben haben wird auf den Jüngernamen hin, wahrlich sage ich Euch, nicht verlieren wird er seinen Lohn.“ Aber ich sage, daß die Handlung, welche körperliches Bedürfniß oder die Bedrängniß des Fleisches oder die Ungleichheit dieser Welt zu thun fordert, aufhören werde. Denn die anhaltende Lesung oder die Beschwerde des Fastens werden nur in der Gegenwart zur Reinigung des Herzens und zur Zähmung des Fleisches mit Nutzen geübt, solange das Fleisch begehrt wider den Geist. Wir sehen, daß dergleichen Dinge zuweilen auch in der Gegenwart bei Seite gethan werden von Denen, die durch zu viele Arbeit oder Krankheit des Körpers oder Alter ermattet sind, und daß sie also von dem Menschen nicht beständig geübt werden können. Um wie viel mehr werden sie also im zukünftigen Leben aufhören, wenn dieß Verwesliche die Unverweslichkeit angezogen haben wird und dieser Körper, der jetzt thierisch ist, als geistiger auferstanden sein und das Fleisch angefangen haben wird, nicht mehr so zu sein, daß es gegen den Geist gelüstet? Davon lehrt auch der Apostel offenbar, indem er sagt: 11 „Die körperliche Übung ist zu wenig nütze, die Frömmigkeit aber, unter welcher ohne Zweifel die Liebe verstanden wird, ist nützlich zu Allem, da sie die Verheissung hat für das gegenwärtige und zukünftige Leben.“ Die also für Weniges nützlich erklärt wird, von der wird auch offenbar gelehrt, daß sie nicht durch alle Zeit geübt werde, und daß sie nicht für sich allein dem Strebenden die höchste Vollkommenheit verschaffen könne. Denn das „Wenig“ kann auf Beides bezogen werden, d. i. entweder auf die Kürze der Zeit, daß nemlich die körperliche Übung dem Menschen sowohl in der Gegenwart als in der Zukunft nicht gleich sein könne an Dauer; oder sicher auf die Kleinheit des Nutzens, der von der leiblichen Übung erlangt wird, deßhalb weil das leibliche Dulden zwar einige Anfänge des Fortschrittes erzeugt, aber nicht die Vollkommenheit der Liebe selbst, welche die Verheissung hat für das gegenwärtige und zukünftige Leben.

      Und deßhalb halten wir die Übung der genannten Werke für nöthig, weil man ohne sie nicht zum Gipfel der Liebe aufsteigen kann. Auch die, welche ihr Werte der Liebe und Barmherzigkeit nennt, sind nothwendig in dieser Zeit, da noch unbillige Verschiedenheit herrscht, und es würde deren Ausübung nicht einmal hier erwartet werden, wenn nicht die Zahl der Hilflosen, Dürftigen und Kranken übergroß wäre. Diese ist so geworden durch die Ungerechtigkeit der Menschen, nemlich derjenigen, welche Das, was von dem gemeinsamen Schöpfer Allen zugestanden wurde, nur zu ihrem Gebrauch in Besitz nehmen und nicht einmal zum Gebrauche verwenden! 12 So lange also in dieser Welt solche Ungleichheit herrscht, wird solches Handeln nothwendig sein und nützlich Dem, der es übt; denn es wird allerdings der Gutmüthigkeit und dem liebevollen Willen den Lohn des ewigen Erbes zubringen, selbst aber im zukünftigen Leben, wo die Gleichheit herrscht, aufhören, da nun keine Unbilligkeit mehr da ist, wegen deren diese Dinge geübt werden müßten, sondern Alle von dieser vielfachen, d. i. thätigen Übung zur Liebe Gottes und zur Beschauung der göttlichen Dinge übergehen werden durch die beständige Reinheit des Herzens. Dieser haben sich nun Jene, welchen daran liegt, sich entweder der Wissenschaft oder der Reinigung des Geistes zu befleissen, schon in dieser Zeit mit aller Anstrengung und Kraft nach freier Wahl hingegeben. Diese haben sich nemlich, während sie noch im verweslichen Fleische sind, jener Beschäftigung geweiht, in welcher sie nach Ablegung der Verweslichkeit immer sein


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