Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Markus Väth

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Feierabend hab ich, wenn ich tot bin - Markus Väth


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Perfektionismus und Sozialkompetenz als Bestandteile des Organisationstalents von Burnout-Betroffenen führen oft dazu, dass diese ihre Familien zusammenhalten. Nicht selten sind Burnoutler die Manager ihrer Familie, halten die Generationen zusammen, sind die Nabe im Rad des Familienalltags. Es gibt Fälle von Betroffenen, die als Vermittler die Scheidung ihrer Eltern organisieren oder als diplomatisches Bindeglied zwischen Eltern und Großeltern pendeln, weil sich diese beiden Generationen nicht mehr vertragen. So schnappt die Beziehungsfalle zu: Die Selbstaufopferung von Burnoutlern und ihr Bestreben, ihre Familie im Gleichgewicht zu halten, gründet auf der irrigen Annahme, sich durch diese Leistung eine wie auch immer geartete Harmonie erkaufen zu können. Die Nabe in der Radmitte hat stark zu sein.

      Wenn diese Nabe im Zuge des Burnouts bricht, fängt das Rad gefährlich an zu eiern und ist in Gefahr, gänzlich auseinanderzufallen. Denn jeder in der Familie hat seinen Platz gefunden rund um den Lonesome Ranger, der alle Probleme in den Griff kriegt und das System Familie managt. Und der einsame Held in der Mitte wiederum hat seinen Platz liebgewonnen, hat aus dem Funktionieren heraus eine gewisse Befriedigung erhalten, die erst durch das erzwungene Hinterfragen der Lebenssituation ins Wanken kommt. So implodiert eine Familie im Burnout nach zwei Seiten: Das Lebensgebäude des Betroffenen stürzt in sich zusammen. Und die Familie muss erkennen, wie sehr sie sich in all den Jahren einen Manager herangezüchtet hat, der ihre scheinbar heile Welt in der Balance gehalten hat. Bis jetzt.

      Dazu noch ein Beispielfall: In meiner Praxis saß eine erfolgreiche, attraktive Frau Mitte 30 mit Doktortitel, die eigentlich wegen einer beruflichen Beratung gekommen war. Sie hatte gleich mehrere Karriereoptionen, unter denen sie wählen konnte. Und genau das war das Problem – sie konnte sich nicht entscheiden. Wie so oft in solchen Fällen kamen wir von einem offensichtlichen Businessthema schnell auf ein Problem auf der persönlichen Ebene zu sprechen. Im Coaching wurde der Klientin klar, warum sie sich nicht entscheiden konnte: In allen bisherigen Lebensphasen und beruflichen Stationen war sie immer die »kleine, brave Tochter« gewesen, die die Leistungsansprüche ihrer Eltern erfüllt und dafür Zuneigung geerntet hatte. Das hatte sie gründlich satt, konnte aber nichts dagegen tun, weil sie bislang diesen Mechanismus nicht durchschaut hatte. Im Coaching platzte dieser Knoten. Sie führte einige durchaus sehr emotionale, aber heilende Gespräche mit ihren Eltern und hatte schließlich die Kraft und Klarheit für eine Karriereentscheidung.

      Schlimm genug also, wenn Eltern auf den Trichter der unbewussten Leistungsdressur verfallen. Immer häufiger jedoch kommt es gar nicht mehr dazu, weil keine Eltern mehr da sind, die diesen Druck ausüben könnten. Der Trend zur Ein-Elternteil-Familie nimmt zu; Großfamilien sind höchstens noch ein Thema für nostalgische Retro-Soaps im Privatfernsehen. So lebten 2006 in Deutschland 2,7 Millionen alleinerziehende Mütter und Väter mit Kindern – eine Zunahme von 24 Prozent innerhalb von zehn Jahren.17 Auch die Zahl Alleinstehender – Ledige, verheiratet getrennt Lebende, Verwitwete und Geschiedene – nimmt zu: 2006 waren in Deutschland 16,5 Millionen Menschen ohne Lebenspartner und ohne Kinder alleinstehend. Das sind 16 Prozent mehr als noch 1996.18 Selbst in traditionellen Familien arbeiten immer mehr Eltern gleichzeitig (bei Ehepaaren: 19 Prozent, bei ehelichen Lebensgemeinschaften: 38 Prozent).19

      Insgesamt also fragmentiert unsere Gesellschaft zusehends. Für das aufwachsende Kind bedeutet das eine mangelhafte Orientierung an Rollenbildern in der Kindheit und wenig Zeit mit den Eltern. Vom Luxus eines Großfamilienverbundes ganz zu schweigen. Wir haben in Mitteleuropa eine familienpolitische Situation geschaffen, die für Kinder wenig erfreulich ist.

      Hier schließt sich der Kreis: Je weniger Eltern korrigierend eingreifen können, desto größer wird der Einfluss dominanter gesellschaftlicher Strömungen. Und das sind bei uns nun mal die bereits ausgiebig diskutierte übermächtige Stellung der Erwerbsarbeit für das eigene Selbstbild, ein dominantes Streben nach Erfolg in allen menschlichen Bereichen und die fehlende Orientierung an intellektuellen, religiösen, philosophischen und politischen Größen. Die alltägliche Überforderung wirft die Netze nach uns allen aus, doch der Burnout-Gefährdete reagiert darauf in seiner ganz spezifischen, selbstzerstörerischen Weise. Daher muss sich der Schwerpunkt zur Prävention und Behandlung von Burnout verschieben: hin zu einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Debatte und weg von einer rein nachsorgenden Burnout-Industrie.

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