Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Markus Väth

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Feierabend hab ich, wenn ich tot bin - Markus Väth


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hat nur, wer etwas tut, während er auf den Erfolg wartet.‹ Thomas Edison«, »Wir zeigen Ihnen Wege zu Ihrem Erfolg, die tatsächlich funktionieren!« und ähnliche Sprüche. Man kann solch schräge Selbstdarstellungsshows, wie sie mittlerweile in sozialen Netzwerken Alltag sind, für die Auswüchse einiger stilloser Freaks halten. Ich glaube jedoch, sie sind nur die sichtbare Spitze eines Sehnsuchts-Eisbergs, endlich allen zu zeigen (und zu erzählen), wie toll man durchstartet. Wir sind besoffen vom Lockmittel Erfolg, das vom Fernseher zuerst ins Hirn und von da ins Herz sickert und wie Efeu andere Lebensmotivationen erstickt. Deshalb schnappen wir gierig nach der Luft der Personality-Shows, wollen teilhaben an der Welt der Promis und schönen Menschen, von denen wir glauben, dass sie es »geschafft haben«.

       Wir sind besoffen vom Erfolg!

      Inzwischen muss alles und jeder erfolgreich sein: man selbst sowieso, das Unternehmen, demnächst auch der Besuch der Katze auf dem eigenen Klosett. Vieles dreht sich nur noch um Selbstdarstellung, um Durchsetzung und Erfolg. Dafür nimmt man sogar größte Opfer in Kauf. Ein Freund von mir, der in München wohnt, erzählte mir kürzlich von dem Phänomen No rent, but car. Weil sich Münchner mit einem Durchschnittsgehalt ihre Wohnung nicht mehr leisten können, geben sie diese auf und investieren ihr Geld in ein Auto, das richtig was hermacht – BMW, Audi, Mercedes oder Porsche. Jede Nacht schlafen sie im Auto. Morgens machen sie sich dann zurecht und fahren zum Geschäftstermin, als ob nichts wäre. Einige halten eine solche Maskerade Monate, manchmal Jahre durch. Gibt es ein verzweifelteres Beispiel für unsere panikartige Angst, unseren gesellschaftlichen Status zu verlieren und zu »versagen«?

       Das permanente Lechzen nach Erfolg saugt uns aus.

      Was aber ist, wenn ich lieber zufrieden oder einsam oder Mönch wäre? Wenn ich nicht (nur) erfolgreich sein will? Das permanente Lechzen nach Erfolg saugt uns aus. Erfolg ist die Droge, auf die in unserer ökonomisierten Welt jeder anspringt. Bist du nicht »erfolgreich«, hast du nichts, bist du nichts, und das alles ist deine Schuld. Deswegen wollen viele so verzweifelt erfolgreich sein. Manche schaffen es, andere nicht. Bei den Schreihälsen jedoch, die uns ihren angeblichen Erfolg bei XING und Twitter um die Ohren hauen, fällt mir vor allem der alte Spruch ein: Hunde, die bellen, beißen nicht.

      Aber ist Erfolg immer negativ zu sehen? Immerhin bestehen unser Leben und Lernen zu einem nicht unerheblichen Teil aus Trial and error, also dem Lernen aus Versuch und Irrtum. Was nichts anderes heißt, als dass wir »erfolgreiche« Handlungen wiederholen und »erfolglose« Handlungen sein lassen. Wie lösen wir den Widerspruch auf, dass Menschen zu allen Zeiten aus Erfolg und Misserfolg lernen (müssen), ohne dass sie sich gleichzeitig in unrealistische Ansprüche und naive Erfolgskriterien verstricken?

      Für den Anfang wären wir gut beraten, das Wort »Erfolg« auf seine Grundbedeutung zurückzuführen, und diese ist: neutral. Auf eine Aktion folgt eine Reaktion, ein Feedback. Wenn ich einen Apfel fallen lasse, zieht ihn die Gravitation nach unten. Das ist weder gut noch schlecht. Es ist eine schlichte Konsequenz, es »erfolgt« zwangsläufig. Beim Apfel-Beispiel fragt sich wahrscheinlich niemand, ob der Apfel nun »Erfolg hat«, weil er auf die Erde fällt. Er tut es einfach. Ohne Bewertung, ohne Ärger, ohne Euphorie.

       Erfolg ist etwas Individuelles und muss individuell bewertet werden.

      Anders bei uns Menschen. Stellen Sie sich einen Projektleiter vor, der aufgrund guter Leistung befördert wird. Wir sind so konditioniert, dass wir dieses Ereignis sofort als »gut«, als positiv, bewerten: »Wow, super, endlich hat sich die Anstrengung gelohnt! Glückwunsch!« Auf eine Aktion (gute Arbeit, erfolgreiche Projekte) folgt eine Reaktion (Beförderung, mehr Geld). Und wir haben als Kollektiv gelernt, dass so etwas gut ist, also ein Erfolg im umgangssprachlichen Sinn. Wenn nun der Projektleiter durch die Beförderung von Stuttgart nach Hamburg ziehen muss und dadurch seine Frau und seine zwei kleinen Kinder nur noch an den Wochenenden sieht, trübt sich das Bild schon ein. Aus dem Erfolg wird ein Erfolg mit Fragezeichen. Wenn wir uns nun weiter vorstellen, dass die Stelle in Hamburg sich als sehr stressig herausstellt, mit nervigen Kollegen und undankbaren Aufgaben, müssen wir uns vollends fragen, ob in diesem Fall der Begriff »Erfolg« noch angemessen ist.

      Was bedeutet das? Erfolg ist etwas Individuelles und erfordert darum auch eine individuelle Bewertung. Insofern wäre es ein guter Anfang, wenn Menschen erst einmal für sich Erfolg definieren würden, ohne die Einflüsterung der Medien oder die Angstmache durch die Politik. Dazu benötigen wir eine gewisse Souveränität. Nur als souveräne Wesen, die ihre Werte, ihr Können, ihre Ziele sowie ihre Stärken und Schwächen kennen, sind wir in der Lage, über Ereignisse in unserem Leben zu urteilen: Ist beispielsweise eine Beförderung nach Betrachtung aller Fakten tatsächlich ein Erfolg? Oder eher ein neutrales Ereignis, vielleicht gar ein Misserfolg? Wenn wir die Reflexionsfähigkeit, die Souveränität und den Willen haben, unseren eigenen Erfolgsweg zu gehen, kann Erfolg etwas sehr Beglückendes sein.

      Doch weder billige Marktschreier noch durch die Gesellschaft transportierte Stereotype bringen uns hier weiter. Erst wenn wir unseren eigenen Erfolgsweg gefunden haben, bekommt Erfolg den rechten Platz in unserem Leben, wird zu einem Baustein nicht nur einer wie auch immer gearteten »Karriere«, sondern tatsächlich zum Sinnbestandteil unserer Existenz – was uns letztendlich auch vor einer überzogenen Erfolgsgeilheit bewahrt. Denn das rechte Maß ist wichtig im Leben – nicht nur im Beruf.

      Neben der Überhöhung der Arbeit und der Gefahr des Erfolgswahns gibt es eine dritte Kraft, die Burnout als kollektivem Phänomen in der Gesellschaft den Boden bereitet: der Verlust ethischer Institutionen und das Austrocknen ehemals vermittelter allgemeingültiger Werte.

      Von alters her gab es in allen Kulturen Institutionen, die gesellschaftliche Werte beziehungsweise Moral vermittelten: bei den Germanen den Thing, die Versammlung der Ältesten, bei den sogenannten Naturvölkern Medizinmänner und Stammesälteste. Im heutigen Deutschland könnte man noch den Ethikrat der Bundesregierung nennen (allerdings scheinen dessen Debatten und Entscheidungen eher abstrakt und sind für eine individuelle moralische Stilbildung eher ungeeignet). Über alle Zeiten und Zonen hinweg bildete sich allerorten ein in der jeweiligen Gesellschaft gültiger moralischer Kompass heraus, an dem der Einzelne sich orientieren konnte.

       Wir erleben eine Erosion moralischer Autoritäten.

      In unseren Breiten haben grundsätzlich einige Institutionen das Potenzial, in einer gesellschaftlichen Dimension ethische Richtlinien zu entwickeln und als Standard zu etablieren: die Kirchen, die Familie als Schutz und Stütze, die Politik, Wirtschaftsführer, sogar stilprägende Einzelpersonen. Von allen diesen Institutionen ist heute nicht eine übrig geblieben, die in einer gesellschaftlichen Debatte über Werte oder Phänomene, die alle Menschen betreffen, für den Großteil ebendieser Menschen sprechen könnte. Dies zeigt beispielsweise die Debatte um eine Schrumpfung der sogenannten Volksparteien, die inzwischen von so wenigen Menschen gewählt werden, dass selbst parteiintern die Bezeichnung »Volkspartei« diskutiert wird.

      Warum ist das so? Als Beispiel für die moralische Erosion möchte ich auf drei der obigen Gruppen eingehen: die Kirchen, die Politik und das wirtschaftliche Establishment:

       Die Kirchen

      Sie sind im Moment auf dem Tiefpunkt ihrer moralischen Glaubwürdigkeit angelangt. Pädophile Priester – katholisch wie evangelisch –, die sich an Knaben vergehen, Bischöfe, die solche Fälle vertuschen, eine unzeitgemäße Kommunikation, die weite Teile der Bevölkerung nicht mehr erreicht – das sind die Höhepunkte einer Negativ-Karriere, die die Kirchen nachhaltig diskreditiert haben. Neuesten Zählungen des Statistischen Bundesamtes zufolge hat in Deutschland die Zahl der amtlichen Atheisten, auf deren Lohnsteuerkarte unter »Religionszugehörigkeit« eine Leerstelle prangt (28 Millionen), erstmals die der Katholiken (25 Millionen) und die der evangelischen Christen (25 Millionen, ohne Freikirchen) überholt.

      Natürlich sagt das nichts über einen »Atheismus des Herzens« aus. Immerhin können auch wahre Atheisten aus den christlichen Zehn Geboten eine Soziallehre


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