Über das Priestertum. Johannes Chrysostomus

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Über das Priestertum - Johannes Chrysostomus


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sich in der Kirchengeschichte des Sokrates159 eine Notiz, laut der Chrysostomus seinen Dialog „Über das Priestertumet als Diakon niedergeschrieben hat. Das wäre also zwischen 381—386 gewesen160. Aber die Zuverlässigkeit des Sokrates ist nicht über allen Zweifel erhaben161, so daß infolgedessen manche glaubten, von seinem Zeugnis vollständig absehen zu sollen und unsere Schrift verfaßt sein lassen kurz nach den in ihr niedergelegten, als historisch vorausgesetzten Ereignissen, also in unmittelbarem Anschluß an die vermeintlich abgelehnte Berufung zum Bischofsamte und an die durch sie verursachte Auseinandersetzung zwischen den beiden Freunden. Die Niederschrift verlegen sie sodann in die Zeit der völligen Zurückgezogenheit des Heiligen während der Jahre 375—381162, wobei manche diese Periode schon mit 373 beginnen lassen. Unter den für eine derartige zweite Hypothese eintretenden Autoren sind zu nennen neben dem unkritischen Hagiographen Symeon Metaphrastes aus dem zehnten Jahrhundert163, dem kritischen Cäsar Baronius164 und Savile165 insbesondere der Bollandist Stilting166, der allerdings seine Aufstellungen nur als „sehr wahrscheinlich“ bezeichnete. Ihm folgten in neuerer und neuester Zeit Zöckler167, Martin168, Volk169, Batiffol170, Nägele171, Kihn172. Man berief sich hierfür gerne auf das Zeugnis des ältesten Chrysostomusbiographen Palladius, dem aber um dessentwillen keine Bedeutung zukommen kann, weil es nicht im griechischen Text des Palladius, sondern erst in der von Ambrosius Camaldulensis besorgten lateinischen Übersetzung desselben steht173, sodann als auf ein inneres Moment auf die ohne weiteres als hinfällig zu bezeichnende Annahme174, Chrysostomus hätte den genauen Verlauf und Wortlaut des von ihm mitgeteilten Zwiegespräches nicht viele Jahre unversehrt im Gedächtnis behalten können.

      Sachlich muß gegen eine solche Verlegung der Niederschrift in die Zeit des mönchischen Einsiedlerlebens unseres Heiligen geltend gemacht werden, daß sich hiermit unter gar keinen Umständen vereinbaren ließe die Art und Weise, wie Chrysostomus an nicht wenigen Stellen gerade der Abhandlung „Über das Priestertum“ das Einsiedlertum der Mönche beurteilt und einschätzt, wie er davor warnt, dasselbe allzu sehr zu bewundern und wie er das Einsiedler- und Mönchsleben überhaupt mit schärfster Pointierung auf eine bei weitem niedrigere Stufe stellt als das mitten in der Welt wirkende Priestertum. Und dermaßen sollte Chrysostomus sich mit altem Vorbedacht ausgesprochen haben, just nachdem er kaum die Welt verlassen, das ihm angebotene Priester- und Bischofsamt geflohen und selbst das Leben eines Mönches und Einsiedlers jedenfalls mit der ganzen glühenden Begeisterung seiner jugendlichen Seele ergriffen hatte?175 Das ist psychologisch so gut wie ausgeschlossen, ja rein unmöglich; man lese insbesondere das 5.—7. Kapitel des sechsten Buches. Auch offenbart sich in der ganzen Abhandlung, namentlich in der prinzipiellen Auseinandersetzung über Priester- und Bi-schofstum, eine solche Reife des Urteils, ein solcher Reichtum an Erfahrungen und Beobachtungen, wie aus dem weltlichen so auch aus dem geistlichen Leben, eine solche Kenntnis all der vielseitigen Beschwernisse und Schwierigkeiten, wie sie mit der Verwaltung des Priester- und Bischofsamtes verbunden sind, daß es nicht denkbar ist, Chrysostomus habe die hierzu nötigen Voraussetzungen, kaum daß er dem eitlen Getriebe der Welt entsagt hatte, ohne weiteres schon im höchsten Maße besessen. Auch ist, wie äußerlich Form und Aufbau des ganzen Dialogs, so auch inhaltlich, ich möchte fast sagen, jeder Satz so sorgfältig überlegt und tief durchdacht, daß es sich keineswegs um eine Gelegenheitsschrift, sondern sicherlich nur um eine mühsame und langwierige Arbeit handeln kann.

      Es verdient deshalb viel eher die Notiz des Kirchenhistorikers Sokrates Glauben, zumal zugestanden werden muß, daß neben seiner allerdings manchmal zu beanstandenden Unzuverlässigkeit176 eine ansehnliche Reihe seiner Mitteilungen über das Leben unseres Heiligen bis zum heutigen Tage ohne weiteres von der Kritik akzeptiert wird177. Tatsächlich haben auch in vorliegender Frage die gewichtigsten Stimmen sich dem Berichte des Sokrates angeschlossen, so z.B., abgesehen von der sonst eine konfuse Anhäufung von Legenden und Wundererzählungen enthaltenden, fälschlich dem Patriarchen Georgios II von Alexandrien (621—631) zugeschriebenen, aber von einem jüngeren Träger des Namens Georg verfaßten Chrysostomus-Biographie178, insbesondere Tillemont179, Cramer180, in neuer and neuester Zeit Neander181, Böhringer182, Seltmann183, Preuschen184, Rauschen185, Wohlenberg186, Bardenhewer187, Jordan188, Puech189, Cognet190. Der neueste kritische Herausgeber des griechischen Textes unserer Schrift, A. Nairn, will jedoch die Abfassung derselben auf einen noch späteren Zeitpunkt verlegen während des Presbyterats des Heiligen, und zwar genauer zwischen 386—390191, am wahrscheinlichsten in das Jahr 387. Als äußerster Termin muß überhaupt 392 angenommen werden, da aus diesem Jahre192 des hl. Hieronymus literaturgeschichtliches Werk stammt „De viris illustribus„, in welchem auch des Chrysostomus -Dialogs Erwähnung geschieht193. Nairn fährt für seine Hypothese äußere und innere Gründe an194. So weist er auf eine Stelle aus der fünften Homilie „In Oziam“ oder „In illud vidi Dominum" (Isaias VI, 1) hin, wo Chrysostomus, nachdem er kurz das Priestertum mit dem Königtum verglichen und dem ersteren den Vorrang zuerkannt hat, seine Ausführungen mit den Worten schließt: „Über das Priestertum jedoch und was es mit der Größe seiner Würde für eine Bewandtnis hat, werde ich mich bei einer anderen Gelegenheit [an einem anderen Zeitpunkte) verbreiten“195.

      Es ist nun meines Erachtens mehr als gewagt, aus dieser Bemerkung den Schluß zu ziehen, „es könne gar kein Zweifel obwalten“196, daß das Versprechen des Heiligen in seinen uns vorliegenden sechs Büchern „Über das Priestertum„ Erfüllung gefunden habe und, da die genannte fünfte Homilie zu Beginn des Presbyterats des großen Homileten gehalten worden sei, müsse die Schrift „De sacetdotio“ am wahrscheinlichsten in das Jahr 387 verlegt werden. Obige Worte können jedoch, wie schon Hasselbach197 und Feßler198 gegen Bengel geltend machten, viel ansprechender und leichter anders gedeutet werden. Daß Chrysostomus auf der Kanzel die Tausende von Zuhörern, die, wie er selbst gerade in unserer Abhandlung „Über das Priestertum„ (V, 6) hervorhebt, der Mehrzahl nach aus ungebildeten Elementen sich zusammensetzten, auf eine spätere schriftliche Darlegung über das Priestertum vertröstet haben sollte, ist doch sehr unwahrscheinlich. Vielmehr liegt eher die Vermutung nahe, daß er von der Kanzel herab wieder mündlich ein anderes Mal sich eingehender über das abgebrochene Thema verbreiten wollte. Ob tatsächlich in seinen späteren Äußerungen über das Priestertum, die hie und da zerstreut sich in seinen Homilien vorfinden, eine Erfüllung dieses Versprechens bzw. Vorhabens zu erblicken ist, da es, wie ersichtlich, leichthin in rednerischem Tone hingeworfen, ganz gut unerfüllt geblieben sein kann, tut in unserer Frage nichts zur Sache. Zudem verlegt Rauschen199, der eine genaue chronologische, mit allgemeinem Beifall aufgenommene Verteilung der einzelnen Chrysostomus-Homilien durchgeführt hat, obige fünfte Homilie „In Oziam“ erst in das Jahr 388200, event. sogar zwischen 388—396, so daß unter Zugrundelegung der Voraussetzungen Nairns der Dialog „Über das Priestertum“ zu einem noch späteren Termine verfaßt sein müßte. Ja, wenn die von Rauschen in zweiter Linie proponierte Eventualität, auch noch die Jahre 392—396 als Abfassungszeit der Homilie in Betracht zu ziehen, Berechtigung haben sollte, müßte die Hypothese Nairns vollständig in sich zusammenbrechen um dessentwillen, da „De sacerdotio” bereits 392 dem hl. Hieronymus bekannt war. Und wenn, um mit einem weiteren Argument Nairns zu reden, in der Homilie bei Kennzeichnung der erhabenen Würde des Priesteramtes sich einzelne Ausdrücke und Wendungen finden, die mit gleichlautenden unseres Dialogs übereinstimmen, so ist nicht einzusehen, warum dieselben nicht ebensogut aus letzterem in erstere herüber genommen sein könnten201, wie nach Nairns Auffassung umgekehrt, abgesehen davon, daß sie wohl auch, wie noch eine ganze Reihe anderer Ausdrücke, Wendungen, ja vollständiger Satzgebilde, die in den Homilien unseres Heiligen bei jedesmaliger Behandlung eines und desselben Themas immer wiederkehren, gewissermaßen als fester, eiserner Wortschatz des gewandten Redners zu betrachten sind.

      Was Nairn als inneres Beweismoment für die Verlegung der Abfassung in die Priesterzeit des Chrysostomus vorbringt, nämlich die in der Schrift sich offenbarende geistige Reife, so darf solche wohl auch schon für den Verfasser als Diakon beansprucht werden, zumal Nairn den allerersten Abschnitt des Presbyterats (387) im Auge hat, also eine bedeutende oder wesentliche


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