Über das Priestertum. Johannes Chrysostomus

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Über das Priestertum - Johannes Chrysostomus


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Chrysostomus etwa dem Basilius nach Raphanea nachgezogen sein sollte, davon ist nirgends eine Andeutung zu finden, ebensowenig, wie es anderseits sicher ist, daß für den in Frage kommenden Zeitpunkt für Antiochien kein Bischof mit Namen „Basilius“ nachgewiesen werden kann.

      Es darf also noch ein Schritt weiter gegangen und die Behauptung aufgestellt werden, daß bis heute die Historizität des dem Chrysostomus innigst befreundeten Basilius auf keinen Fall kritisch einwandfrei erwiesen werden konnte und daß in Konsequenz dessen auch gegenüber der Tatsächlichkeit des ganzen Vorganges, wie er der Einleitung unserer Schrift „Über das Priestertum„ zugrunde liegt, Bedenken von vornherein gerechtfertigt sind[^73]. Denn es ist doch zum mindesten ungemein auffallend, daß Chrysostomus selbst weder in seinen übrigen bekanntermaßen äußerst zahlreichen Schriften und Reden, noch in einem seiner überlieferten etwa zweihundertvierzig Briefe mit irgendeiner Andeutung seiner vertrauten Beziehungen zu Basilius, der daran geknüpften beiderseitigen Berufung zur Bischofswürde und seiner eigenen Flucht Erwähnung tut, ja dieses seines besten Freundes nirgendwo zum zweitenmal irgendwie gedenkt und dies, obwohl er oft in seinen Reden auf die unermeßlich hohe Würde des Priestertums zu sprechen kommt, bisweilen sogar mit Worten, die ganz und gar selbst in ihrer Ausdrucksweise an die Schrift „Über das Priestertum“[^74] erinnern, und obwohl er nach Art der vielbeschäftigten Volksredner gerne und mit Vorliebe gerade persönliche Verhältnisse immer und immer wieder auf der Kanzel und am Schreibtische in den Kreis seiner Ausführungen und Betrachtungen einfließen läßt. Desgleichen hat auch weder sein ältester und für uns als Quelle wichtigster Biograph, Palladius, der schon kurz nach des Kirchenvaters Hinscheiden, spätestens im Jahre 425 schrieb[^75], noch ein anderer der Chrysostomus zeitlich am nächsten stehenden Kirchenhistoriker, Sokrates, Sozomenus und Theodoret, die uns über sein Leben ziemlich ausführlich unterrichteten[^76], über irgendein Moment der fraglichen Episode irgend etwas berichtet[^77], so daß der gesamte Vorgang jeder anderweitigen

      quellenmäßigen Beglaubigung entbehrt.

      Bezüglich der Frage, wann die betreffenden Ereignisse, die wir also ausschließlich aus des Chrysostomus eigener Erzählung kennen, d. i. seine und des Basilius Berufung zur Bischofswürde, die wirkliche Weihe des letzteren, dessen Beschwerde über die ihm widerfahrene Täuschung und die daran sich anschließende mündliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Freunden, vor sich gegangen seien, hält man von jeher an dem Termin „nicht lange vor 375„ fest[^78]. Denn in letzterem Jahre zog sich Chrysostomus, wie sich auf Grund einer einfachen Berechnung nach der von Palladius verfaßten Biographie[^79] ergibt, aus Antiochien in die Berge zurück[^80] und weilte dort vier Jahre gemeinsam mit einem Greise unbekannten Namens, sodann zwei Jahre ganz allein in einer Höhle, aszetischen Übungen und dem Studium der Hl. Schrift obliegend. Daß jedoch in diese Periode völliger Einsamkeit und Weltabgeschiedenheit die geschilderten Vorgänge nicht verlegt werden können, bezeugt klar und unzweideutig die unmittelbare Darstellung der persönlichen Situation und des Schauplatzes selber in Buch I, Kap. 3—6 unserer Schrift „Über das Priestertum“.

      Aber auch der nach allgemeiner Auffassung allein mögliche Zeitpunkt, „nicht lange vor dem Jahre 375", bereitet bei näherem Hinsehen mancherlei Schwierigkeiten.

      Ist es ohne weiteres glaublich, daß Chrysostomus, kaum daß er nach seiner eigenen Versicherung die zu seiner Zeit auch unter Laien übliche aszetisch zurückgezogene Lebensweise, was damals in erster Linie als Anzeichen besonders ernster, echt christlicher Lebensauffassung galt, aufgenommen hatte, plötzlich und unerwartet zur Bischofswürde begehrt wurde, ohne bereits bis dahin die Vorstufen der Diakons- und Priesterweihe erlangt zu haben?[^81]Hatte er sich doch kurz vorher noch, wie er selbst erzählt[^82], auf dem Forum herumgetrieben und den Vergnügungen der Schaubühne sich hingegeben. Die Konsekration eines solchen war nach Kanon X[^83] des Konzils von Sardika aus dem Jahre 343/44 der eines „Neophyten“ gleichzuachten. Auch hatte der nämliche Kanon bestimmt, daß die Bischofsweihe erst nach Erlangung des Lektorats, der Diakons- und Priesterweihe gespendet werden sollte und daß alle diese Weihen bloß innerhalb nicht allzu kurzer Zwischenräume zu erteilen seien[^84]. Desgleichen muß das jugendliche Alter, in welchem Chrysostomus im damaligen Zeitpunkte stand, Bedenken erregen. Das Jahr seiner Geburt ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Gewöhnlich schwankt die Festsetzung zwischen 344—347[^85]. Ich halte unter Berücksichtigung der nicht wenigen bei Tillemont[^86], Stilting[^87], Martin[^88] u. a. zum Zwecke möglichst genauer Berechnung angezogenen Momente 346 für den geeignetsten und wahrscheinlichsten Termin als Geburtsjahr, dem an sich auch Martin lieber beipflichten würde. Wenn dieser trotzdem, sich Stilting anschließend, für 344 sich entscheidet, so gehen beide von der von ihnen als historisches Faktum festgehaltenen Berufung zur Bischofswürde im Jahre 374 aus, indem gemäß der Bestimmung des Konzils von Neo-Cäsarea Chrysostomus damals unbedingt das dreißigste Lebensjahr überschritten haben müßte, also 344 geboren sei, eine Schlußweise, die doch eher einem versteckten circulus vitiosus gleichsieht. Allerdings war im Kanon X der genannten Synode vom Jahre 314/35 es zum kirchlichen Gesetz erhoben worden, daß niemand vor dreißig Jahren, nicht einmal zum Priester, geweiht werden solle, auch wenn er ein ganz würdiger Mann sei[^89]. Trotzdem kann an und für sich zugestanden werden, daß ungeachtet dieser Bestimmung Chrysostomus schon im Alter von achtundzwanzig Jahren zum Bischof gewählt worden sein konnte, daß auch der obengenannte Kanon X des Konzils von Sardika kein unbedingtes Hindernis bildete, da gleichgeartete Beispiele aus der damaligen und späteren Zeit zur Verfügung stehen[^90]. Aber um so mehr muß dann auch das bereits erwähnte Schweigen des Palladius und der übrigen Chrysostomus zeitlich am nächsten stehenden Kirchenhistoriker Bedenken erregen und die Zweifel an der Historizität des Faktums selbst erhöhen, da doch sonst kein ausführlich erzählender Schriftsteller sich bei seiner Berichterstattung ein so auffallendes und bemerkenswertes Ereignis entgehen läßt, wie es die Berufung gleich zweier jugendlicher Männer, die noch nicht das kanonisch vorgeschriebene Alter, noch nicht die erforderlichen Weihevorstufen erreicht und sich auch sonst noch nicht ausgezeichnet hatten, unmittelbar zur Bischofswürde ohne Zweifel ist. Das Argumentum ex silentio gewinnt durch diese Momente sicherlich an Wert und Beweiskraft.

      Auch noch in anderer Beziehung waren bei der von Chrysostomus in seiner Schrift „De sacerdotio„ mitgeteilten Bischofswahl und -weihe die kanonischen Satzungen wohl nicht zur vollen Geltung gekommen. Es soll kein Gewicht darauf gelegt werden, daß es althergebrachte kirchliche Gewohnheit war[^91], den Bischof speziell aus der Geistlichkeit der Kirche zu küren, für welche er eingesetzt werden sollte. Wurde doch Chrysostomus selbst später in eine andere Kirche, auf den Patriarchenstuhl nach Konstantinopel, berufen. Auffallender ist es, daß wir in „De sacerdotio“, Buch I, Kap. 6[^92] ausdrücklich lesen, es sei bloß E i n Abgeordneter nach Antiochien gekommen, um die bischöfliche Konsekration vorzunehmen. Das wäre aber in offensichtlichem Widerspruch gestanden mit der Bestimmung des vierten Kanons des Konzils von Nicäa (325)[^93] und des neunzehnten Kanons der Synode von Antiochien (341)[^94], die verordnen, daß wenigstens drei Bischöfe sich versammeln sollen, um die Cheirotonie eines neuen Bischofs vorzunehmen, eine allgemein feststehende kirchliche Norm, die auch Aufnahme gefunden hat in die sogenannten Apostolischen Kanones[^95] und in die Apostolischen Konstitutionen[^96].

      Es begegnen uns ferner in der Darstellung eine Reihe von Unwahrscheinlichkeiten, die wohl innerhalb einer literarischen Arbeit in der Eile oder aus Versehen oder aus Unachtsamkeit unterlaufen können, die aber in Wirklichkeit sich kaum tatsächlich so zugetragen haben dürften. Um nur ein Moment noch anzuführen, so ist es z. B. völlig unverständlich, ja unmöglich, bei Basilius die Annahme vorauszusetzen, daß ihm die Tatsache und der Tag der vermeintlichen Bischofskonsekration seines vertrautesten Freundes, auf deren nachträgliche Mitteilung hin er selbst sich hätte weihen lassen, innerhalb der Mauern Antiochiens hätte verborgen bleiben oder vielmehr fälschlich berichtet werden können[^97]. Die Gründe, durch welche Chrysostomus seine Flucht vor der Bischofswürde zu rechtfertigen sucht, erscheinen nicht so recht aus dem frischen Leben gegriffen, sondern machen einen offensichtlich gekünstelten Eindruck, sind ganz und gar schon im voraus gewissermaßen zugestutzt auf die spätere prinzipielle Auseinandersetzung über das Priestertum, die der Verfasser in der Schrift überhaupt zu geben gedenkt[^98].

      d’histoire et de géographie, Paris 1889, S. 1859. [^60]: Diese Einteilung stammt aus dem fünften Jahrhundert. (Siehe Mannert VI, 1, S. 445.) [^61]: Band II, S. 424, Lipsiae 1706.


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