Das Ketzerdorf - Der Aufstieg des Inquisitors. Richard Rost

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Das Ketzerdorf - Der Aufstieg des Inquisitors - Richard  Rost


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rel="nofollow" href="#ulink_1f4fe684-3d82-5afb-b51d-28b627e74334">18 Grammatik, Rhetorik, Dialektik.

      9

      Leeder, 15. September 1560

      »Da können wir uns drehen und wenden, wie wir wollen, der sonntägliche Kirchgang muss als lutherischer Predigtgottesdienst durchgeführt werden.« Jacobus Rehlinger war etwas ungehalten.

      Anna hatte an diesem Abend die Frage in die versammelte Runde geworfen, ob man sich nicht den teuren Unterhalt der Kirche sparen könnte. »Es tut mir leid, wenn ich dich mit meinem Vorschlag erzürnt habe, Jacobus, aber die meisten von uns leben nach dem Vorbild Caspars und besuchen die Kirche nur als Vorwand«, versuchte sie, die Wogen zu glätten, und Georg nickte ihr bestätigend zu.

      »Um uns nicht auf dem eigenen Territorium angreifbar zu machen, ist es geradezu überlebenswichtig, den Augsburger Religionsfrieden umzusetzen. Nicht wenige der Altgläubigen laufen hinauf nach Denklingen, um ihre Sakramente zu empfangen. Wir stehen dadurch ständig unter Beobachtung.«

      Anna wurde durch ein Geräusch vor der Tür abgelenkt. Als sie nachschaute, stand Hieronymus vor ihr und umarmte sie innig.

      »Wach auf, mein Seel«, rief er in den Raum. »Ich wollte euch nicht stören.«

      Das »Lobsinge seinen Namen« schallte ihm vielfach zurück. Anna bat ihn herein und spürte sofort, dass ihn irgendetwas bedrückte. Jacobus, Georg und Emanuel begrüßten ihn.

      »Was führt dich zu uns, Oheim? Wir waren gerade dabei, über unsere protestantische Gottesdienstordnung zu beratschlagen, setz dich!«, lud Anna ihn ein.

      Hieronymus Rehlinger zögerte nicht lange und verkündete die Neuigkeit: »Anton Fugger ist gestern überraschend gestorben.«

      »Der Herr sei ihm gnädig. Ein großer Verlust für die Katholischen«, bemerkte Jacobus.

      »Ist es nicht so, dass sich die Katholiken mit ihrem Ablasshandel, der Unterdrückung der Bauern und der Förderung von Leibeigenschaft den Zorn Luthers und damit auf lange Sicht auch die Reformation selbst zuzuschreiben haben?«, mischte sich Anna in die Diskussion ein.

      »Dass sich Martin Luther auf dem falschen Weg befunden hat, beweist die Tatsache, dass er dazu aufgerufen hat, die Bauernaufstände niederzuschlagen, und seine Leute Kirchen geplündert, angezündet und geschändet haben«, fügte Emanuel hinzu.

      »Du darfst nicht vergessen, mein lieber Bruder, dass mit dem Beschluss des Reichstags, nur zwei Konfessionen zuzulassen, auch wir, zusammen mit Calvinisten, Täufern, Zwinglianern und Utraquisten, der Verfolgung ausgesetzt wurden«, ereiferte sich Jacobus.

      »Alle großen Städte des Reiches werden sich zumindest auf eine Parallelität der Konfessionen einstellen müssen. In den meisten wird dies bereits seit Jahren gelebt, nur in Augsburg tut man sich schwer mit dieser unausweichlichen Tatsache. In der Unfähigkeit, diesen Dualismus anzuerkennen, verfolgen sie alle anderen und stürzen sich auf uns, um von der eigenen Engstirnigkeit und Verblendung abzulenken. Die öffentliche Verbrennung unserer Bücher vor zwei Jahren war der sichtbare Beweis, dass es in Augsburg bis in die höchsten Kreise hinauf an der notwendigen religiösen Toleranz mangelt.« Hieronymus’ Miene hatte sich während seiner Erzählung verdüstert. Anna vernahm mit Betroffenheit die Schilderung des Onkels.

      »Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, und damit seid ihr, die junge Generation, gemeint, dass wir eigenständig bleiben müssen und wirtschaftlich gesund, um uns die katholischen Usurpatoren vom Leib zu halten. Auch der Herzog in München unternimmt alles, um uns das Leben schwer zu machen. Es kümmert ihn wenig, dass wir absolut konform mit den Augsburger Reichstagsbeschlüssen leben und handeln«, sagte Jacobus.

      »Was haltet ihr davon, wenn wir hinuntergehen und ich das Abendessen auftischen lasse? Hieronymus hat eine weite Reise hinter sich und bestimmt einen mächtigen Appetit mitgebracht.«

      »Dann tun wir der Schlossherrin den Gefallen und lassen uns nicht lange bitten.« Georg stand als Erster auf und Anna ertappte sich dabei, dass sie ihn – wie bei jeder sich bietenden Gelegenheit – beobachtete.

      10

      »Was meinte Oktavian eigentlich mit der Bemerkung Ad maiora mala vitanda?«, fragte Otto seinen neuen Freund Giacomo, als sie an diesem Feiertag zum Festgottesdienst in die Klosterkirche gingen. Es war ihm einfach nicht aus dem Kopf gegangen.

      »Ich weiß ja nicht, wie der Klerus bei euch darüber denkt. Im Kirchenstaat, zu dem Bologna gehört, nimmt man es mit dem Zölibat nicht ganz so streng. Die meisten Geistlichen leben mit Konkubinen oder leisten sich Kurtisanen. Die Kinder, die dadurch entstehen, fallen ihnen bald zur Last. Die Päpste selbst gehen ja mit leuchtendem Beispiel voran: Papst Julius II. hatte deren drei, Paul III. sogar vier, und der jetzige Papst Pius IV. soll mehrere Geliebte haben, die ihm jederzeit zur Verfügung stehen.«

      »Davon wird im Domkonvikt allenfalls gemunkelt. Dass sogar die Päpste eigene Kinder haben, wusste ich nicht«, bemerkte Otto und überspielte seine Überraschung.

      »Vor einigen Jahren, unter Julius III., ist man dazu übergegangen, quasi als Vorsorgemaßnahme, Häuser einzurichten, in denen die geistlichen Herren, die es sich nicht leisten können, eine eigene Bettgefährtin oder Haushälterin auszuhalten, unter kirchlicher Kontrolle ihrer Libido frönen können. Julius’ Nachfolger wollte, dass alle Bordelle, auch die katholischen im Kirchenstaat, geschlossen werden. Bisher hat sich aber niemand daran gehalten, denn inzwischen haben wir ja Pius IV. Hier in Bologna gibt es so ein Haus, genannt casa di tolleranza, wir nennen es ›Castello‹. Ein Badehaus ausschließlich für Kleriker mit einem angeschlossenen Bordell.«

      Otto kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Das sind ja aufregende Neuigkeiten«, entfuhr es ihm, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte.

      »Eisernes Stillschweigen darüber, Otto! Es gibt in der Stadt sehr aufmerksame Ohren, die begierig sind, alles, was jenseits der Legalität getrieben wird, bei den richtigen Stellen zu deponieren!«

      »Ad maiora mala vitanda bedeutet also, dass es der Kirche lieber ist, dass ihre Geistlichen in geordneten Verhältnissen Unzucht treiben, als dass unzählige Pfaffenkinder von der doppelten Moral ihrer


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