Perry Rhodan Neo 218: Abstieg in die Zeit. Rainer Schorm
Читать онлайн книгу.fühlt man solche Dinge besser und genauer. Jede Falte, die die Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende hineingegraben haben, hilft. Gerade so, wie Tasthaare einem Tier Hinweise auf die Umwelt geben.
Ich verfolge durch die Finsternis Monde, Planeten, Sonnen ... ja sogar Galaxien. Sie tanzen einen Reigen, dessen Regeln ich sogar nach so langer Zeit nicht begreife. Eine Ahnung, ja. Aber nicht mehr.
Wieder ein Lächeln.
Ich recke mich ein wenig, aber die Tage, da man die Zeichen des Alters durch Bewegung verscheuchen konnte, sind lange vorbei. Es sitzt in den Knochen, in den Muskeln, in jedem verdammten Gelenk. Nichts davon hätte man sich in jüngeren Jahren vorstellen können, als Energie und Kraft im Überfluss vorhanden waren – aber diese Tage liegen in meinem Fall weit, weit zurück.
Ich bin älter als das meiste, was mich umgibt. Nicht dass das eine besondere Qualifikation wäre. Alter mag ein Synonym für Erfahrung sein, aber nicht automatisch für Erkenntnis oder gar Verstehen.
Ich war einmal jung. Daran erinnere ich mich nicht, aber ich habe eine unüberschaubar große Zahl von Lebewesen kennengelernt. Sie alle sind jung, zu Beginn. Sie alle werden ins Leben geworfen ohne das geringste Verständnis. Diejenigen, die ein Bewusstsein ausbilden, leben lange Jahre ihrer Existenz aus Idealvorstellungen. Idole, Ideen, die sie aus ihrer Kultur heraus nutzen, bis das Leben und die Zeit die Ideale durch Erfahrung ersetzt. Das ist in allen Fällen ein schmerzhafter Prozess. Energieüberschuss zu Beginn weicht Einschränkungen, Behinderungen. Zurück bleiben Trauer und Bitterkeit, wenn die Welt nicht das hält, was man sich von ihr versprach. Das Einzige, was davor schützt, ist Dummheit.
Das ist keine meiner Qualitäten, ganz gewiss nicht. Aber mein Leben ist sehr viel länger als das der meisten.
Rings um mich werfen Sonnen und Sterneninseln ihre Schatten. Ich kenne viele davon, und ihre Bilder stehen mir lebhaft vor Augen. In ihren glühenden Herzen entsteht der Stoff, aus dem wir alle geworden sind.
Ich bin ein bisschen neidisch. Der Prozess dauert an. Natürlich tut er das. Immer mehr Neues entsteht, Dinge, die ich nie gesehen habe, weil sie zuvor nicht vorhanden waren.
Der Neid weicht der Trauer. Nicht alles, was entsteht, ist schön oder angenehm. Aus dem Dunkel der Zeit erhebt sich seit Kurzem etwas, das es nicht geben sollte. Es ist eine Unsäglichkeit. Aus dem gewaltigen Schlund der Finsternis reckt etwas sein hässliches Haupt, das nicht hierhergehört.
War es zunächst nur ein Unfall, scheint es sich nun zu entwickeln. Obwohl ich das für unmöglich hielt, geschieht genau das. Es wird.
Wir waren die Ersten. Wir haben es geahnt, wenn auch viel zu spät. Nun stellt sich die Frage, ob die, die nach uns kamen, dem gewachsen sind.
Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus. Alles muss weichen, früher oder später. Aber nicht zu wissen, ob diese Katastrophe aufgehalten werden kann, macht es mir schwer. Ich will wissen, wie es endet. Obwohl selbstverständlich nichts wirklich zu Ende geht. Der Prozess ist ewig, aber geplant ist er keineswegs. Darauf haben wir nie Hinweise gefunden.
Die Finsternis könnte also weiterwachsen. Es ist nicht gut, wenn die Angst am Ende alles ist, was bleibt. Es liegt mir auf der Seele, aber lange Zeit haben wir den falschen Feind bekämpft, wie es scheint. Das Ringen war eine Farce. Dass ausgerechnet ich das zu spät erkannt habe, ist bedrückend, denn ich hätte es besser wissen können. Besser wissen müssen!
Das ist eine der bittersten Erkenntnisse überhaupt: Am Ende steht das Scheitern. Es ist so unausweichlich wie der Tod. Der große Prozess ist Veränderung, Entwicklung. Statische Zustände sind darin unmöglich, egal ob negativ oder positiv.
Man kann nichts »zu Ende bringen«.
Auch ich konnte das nicht. Ohnehin war ich nur ein kleiner Spieler. Mit der Zeit verliert man nicht nur Kraft, auch die Hybris schwindet. Was mir bleibt, ist, zu warten. Auf jemanden. Das tue ich seit geraumer Zeit, obwohl ich weiß, dass es schwierig werden wird. Denn der Weg ist versperrt. Genau diesen Weg wird er aber nehmen müssen. Der Widerspruch ist nicht auflösbar. Eine neue Paradoxie. Vielleicht warte ich umsonst.
Es wäre nicht das erste Mal.
2.
Conrad Deringhouse: Sprünge ohne Ende
Es war jedes Mal dasselbe. Conrad Deringhouse hätte es niemals zugegeben, aber sein Vertrauen in die FANTASY schwand. Er war kein Techniker oder Ingenieur. Er konnte, was die Spezifikationen anging, nicht mit dem Technischen Stab mithalten, aber er kannte sein Schiff.
Das ist eine Gabe, dachte er. Ein Fluch leider ebenso.
Er spürte die Beschädigungen des Schiffs, als seien es eigene Wunden. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Mentro Kosum. Die Fähigkeiten des Emotionauten, das Schiff zu seinem Körper zu machen, war Deringhouse unheimlich, aber sein eigenes Gespür für die FANTASY glich Kosums Talent auf gewisse Weise.
Darüber sprach er nicht mal mit Montoya. Dass die Erste Offizierin gleichzeitig seine Frau war, änderte daran nichts. Sie war für solche Dinge nicht empfänglich.
Gut so, dachte er. Zwei von der Sorte wären nicht auszuhalten.
In einer spiegelnden Fläche sah er sich selbst: hager, eine lange Narbe am Hals und so viele graue Bartstoppeln, dass ihn ein fiktiver Vorgesetzter sofort zusammengestaucht hätte. Er grinste. Es hatte eindeutig Vorteile, der Kommandant zu sein.
»Mister Kosum, wie sieht's aus?«, fragte er laut.
Der rothaarige und rotbärtige Cyboraner unter der SERT-Haube hob den Daumen. »Die FANTASY schnurrt wie ein Kätzchen, verehrter Kommandant. Wollen Sie sie mal streicheln?«
Deringhouse schnaubte. Kosum gab sich gern betont respektlos, als wolle er der ganzen Welt beweisen, dass er unabhängig war. »Kein Bedarf«, lehnte Deringhouse ab. »Streicheln Sie gefälligst allein. Das ist Ihr Job. Oder wollen Sie sich drücken?«
»Ich mich drücken?«, protestierte Kosum. »Nicht doch!«
»Also los!«, befahl Deringhouse. Er wusste, dass Kosums Optimismus bis zu einem gewissen Grad gespielt war. Aber das war in Ordnung, denn wenn ein Schiffskommandant bei der Besatzung eins nicht gebrauchen konnte, war das Misstrauen oder die Befürchtung, man würde nicht überleben.
Also sollen alle anderen gefälligst anders ticken als ich. Es war ein armseliges Resümee, aber es ging nicht anders. Kommandant zu sein, hieß auch, Psychologe zu sein.
Die FANTASY beschleunigte bereits. Der heikle Punkt war die Eintauchgeschwindigkeit. Je niedriger sie angesetzt wurde, desto belastender war die Transition. Die Strukturfelder rissen das Raumschiff aus dem Normalraum, und der Rücksturz aus dem Hyperraum war kein bisschen harmloser. Es war eine Tortur für das Material. Die FANTASY hatte während ihrer Reise sehr viel mehr ausgehalten, als jede Prognose ihr zugetraut hatte. Die Refraktionszeiten, bei denen ein Kommandant unter normalen Umständen gern mal ein Auge zudrückte, waren im Fall der FANTASY bitterste Notwendigkeit.
»Hoffentlich klappt das«, murmelte Deringhouse und behielt gleichzeitig das Außenbordbeobachtungsholo und die grafischen Schemata im Blick, die ihm die dreidimensionale Trajektorie des Raumschiffs zeigten.
Das Notemesystem war nah, der Sprung somit vergleichsweise anspruchslos, aber Deringhouse vergaß keine Sekunde lang, in welchem Schiff er saß. Der Linearantrieb war ein Erfolg gewesen – zunächst. Alle waren begeistert gewesen und hatten bereits das Heraufdämmern einer neuen Ära der menschlichen Raumfahrt vor sich gesehen. Er selbst war da keine Ausnahme. Aber wie so häufig bedeutete der gelungene Start nicht automatisch eine gute Landung.
Es war vermessen, vom ersten Moment an. Deringhouse bemerkte bitter, dass sich in ihm Selbstmitleid breitmachte.
»Es wird gut gehen!«, sagte Gabrielle Montoya leise. Es erstaunte Deringhouse immer wieder, wie empathisch seine Frau war, trotz ihres sachlich-nüchternen Charakters.
»Wenn du das sagst«, murmelte er kaum hörbar.
Die Zentrale der FANTASY wirkte größer, als