Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

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Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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er wol­le nun und nim­mer­mehr einen Habs­bur­ger auf den Kni­en se­hen, son­dern wer­de Ma­xi­mi­li­an auf­he­ben, so­bald er die Knie zu beu­gen be­gon­nen ha­ben wer­de. Dies führ­te er auch aus, reich­te bei­den Erz­her­zö­gen die Hand und sprach sie freund­lich an, in­dem er sich nach Fer­di­n­ands Frau und Kin­dern er­kun­dig­te.

      Nach­dem die­se An­ge­le­gen­heit er­le­digt war, be­sprach sich der Kai­ser mit den Fürs­ten noch über die Nach­fol­ge im Reich, die er kei­nes­wegs Matt­hi­as, son­dern sei­nem Nef­fen Leo­pold zu­wen­den woll­te. Die Kur­fürs­ten wi­der­spra­chen ihm nicht, son­dern er­klär­ten sich be­reit, Leo­pold die Stim­me zu ge­ben; Tri­er und Köln woll­ten Matt­hi­as we­gen sei­ner An­zet­te­lun­gen mit den Pro­tes­tan­ten nicht wohl und wa­ren es des­we­gen zu­frie­den, ihn zu über­ge­hen. Um die Stim­men der pro­tes­tan­ti­schen Kur­fürs­ten zu ge­win­nen, knüpf­te Ru­dolf ein­ge­hen­de Ver­hand­lun­gen mit Pfalz an, wo­bei er sich auf den Ma­je­stäts­brief be­rief und auch im Rei­che den For­de­run­gen der Evan­ge­li­schen Rech­nung zu tra­gen ver­hieß. In­des­sen wur­de die­se Übe­rein­kunft durch den Tod des Pfalz­gra­fen, der im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res 1610 er­folg­te, ab­ge­ris­sen.

      Nach­dem die Fes­tung Jü­lich von den Unier­ten er­obert war, kehr­te Leo­pold ruhm­los nach Prag zu­rück, dop­pelt auf große Un­ter­neh­mun­gen er­picht, durch die er sei­ne Nie­der­la­ge wett­ma­chen woll­te. Er flö­ßte sei­nem Oheim Mut ein, mit den in Passau ge­wor­be­nen Trup­pen Matt­hi­as Un­garn und Ös­ter­reich wie­der ab­zu­neh­men, was denn auch in ge­hei­mer Übe­rein­kunft be­schlos­sen wur­de. Als nun Matt­hi­as, der in­zwi­schen sein Heer, dem ge­ge­be­nen Ver­spre­chen ge­mäß, ent­las­sen hat­te, auf die Ent­las­sung der Pas­sau­er drang und der Her­zog von Braun­schweig des­we­gen beim Kai­ser vor­stel­lig wur­de, ent­schul­dig­te sich die­ser, er habe kein Geld, den Pas­sau­ern ih­ren Sold, näm­lich 400.000 Gul­den, aus­zu­zah­len, ohne wel­chen sie nicht aus­ein­an­der­ge­hen woll­ten. Der Sold müs­se auf­ge­bracht wer­den, sag­te der Her­zog eif­rig, er ma­che sich dazu an­hei­schig, wenn es nicht an­ders sei. Die Sa­che wur­de näm­lich da­durch drin­gen­der und ge­fähr­li­cher, dass die Pas­sau­er er­klär­ten, das Bis­tum sei jetzt gänz­lich er­schöpft und er­näh­re sie nicht mehr, sie müss­ten wohl oder übel nach Böh­men zie­hen und sich dort er­ho­len. Die Angst vor die­sem Heuschre­cken­schwarm be­wog die böh­mi­schen Stän­de, dem Her­zo­ge, der sie dar­um an­ging, 300.000 Gul­den zu ver­spre­chen, wor­auf er ei­ni­ge ver­mö­gen­de Pra­ger Bür­ger über­re­de­te, das üb­ri­ge da­zu­zu­steu­ern. Froh über das Er­reich­te, er­bot sich der Her­zog selbst, nach Passau zu ei­len und die Ent­loh­nung des Hee­res zu be­trei­ben, das mit dem Ein­fall in Böh­men droh­te; das Geld ver­sprach der Kai­ser, so­wie es flüs­sig ge­macht wäre, nebst ei­ner Voll­macht dem Her­zog durch einen Zahl­meis­ter nach­zu­schi­cken.

      Es war ein kal­ter Nach­mit­tag im De­zem­ber, als der Wa­gen des Her­zogs, sich der Bi­schofs­stadt nä­hernd, plötz­lich an­ge­hal­ten wur­de. Als der Her­zog, um zu se­hen, was es gäbe, sich aus dem Kut­schen­fens­ter beug­te, er­blick­te er einen Hau­fen zer­lump­ter Män­ner, die Al­mo­sen heisch­ten, und er er­kann­te nun wohl, dass er mit­ten in das La­ger der Pas­sau­er ge­ra­ten war. Vie­le von den Leu­ten gli­chen mehr Bett­lern als Sol­da­ten, hat­ten Wei­ber­rö­cke und Tü­cher um­ge­bun­den, um sich vor der Käl­te zu schüt­zen, und die blo­ßen Füße, auf de­nen sie müh­sam forthink­ten, in alte Fli­cken ge­wi­ckelt. Ver­dutzt und er­schreckt über die­sen er­bärm­li­chen An­blick, ver­teil­te der Her­zog, was er an Mün­ze bei sich hat­te, und frag­te, ob kein Leut­nant oder Haupt­mann da sei; denn die­sem dach­te er zu er­öff­nen, wer er sei, und ihn mit der bal­di­gen An­kunft des Sol­des zu ver­trös­ten. Der Leut­nant lie­ge be­sof­fen in sei­nem Zel­te, wur­de ihm mit­ge­teilt, er habe mit drei oder vier Sol­da­ten einen Aus­zug in die nächs­ten Dör­fer un­ter­nom­men und ein Fäß­lein Wein heim­ge­bracht, jetzt müs­se er den Rausch aus­schla­fen.

      Hie und da brann­te ein Holz­feu­er, von dem fei­ner, bläu­li­cher Rauch steil in die graue Schnee­luft hin­auf­klet­ter­te. Über einen großen, von Wei­den und Er­len um­stan­de­nen Sumpf hat­te sich eine Frost­haut ge­zo­gen, un­ter der es lei­se glucks­te und pol­ter­te. Nach­dem er sich auf­merk­sam um­ge­se­hen hat­te, gab der Her­zog dem Kut­scher ein Zei­chen, schnell wei­ter­zu­fah­ren und sich durch­aus nicht von den Hei­schen­den oder Dro­hen­den auf­hal­ten zu las­sen. In der bi­schöf­li­chen Re­si­denz fand er den Erz­her­zog Leo­pold mit den an­de­ren ho­hen Of­fi­zie­ren, näm­lich den Gra­fen Sulz und Al­than, den Her­ren Trautt­mans­dorff und Ramée, die ihn höf­lich auf­nah­men und be­wir­te­ten. Er hät­te nicht ge­dacht, sag­te der Her­zog, dass es so böse im La­ger aus­se­he; er kön­ne den elen­den An­blick nicht aus den Ge­dan­ken schla­gen und sei froh, dass er das nahe Ende die­ses kläg­li­chen Zu­stan­des an­kün­di­gen kön­ne. Der Zahl­meis­ter des Kai­sers kam je­doch we­der am nächs­ten noch an den fol­gen­den Ta­gen, wor­auf der Erz­her­zog mit Sulz, Al­than und Trautt­mans­dorff nach Prag ab­reis­te, um, wie er sag­te, sich nach dem Ver­bleib des Gel­des zu er­kun­di­gen. Also blieb Hein­rich Ju­li­us mit Ramée al­lein zu­rück, der ein wort­kar­ger Ge­sell­schaf­ter und dem Her­zo­ge schon durch sein Äu­ße­res un­heim­lich war. Es ging näm­lich durch sein ei­nes Auge eine Nar­be und ver­ur­sach­te, dass es von un­ten her aus ei­nem Hin­ter­halt zu lau­ern schi­en, un­ab­hän­gig von der Blick­rich­tung des an­de­ren; in­fol­ge­des­sen war es un­mög­lich, aus sei­ner Mie­ne et­was ab­zu­le­sen, ab­ge­se­hen da­von, dass er auch ab­sicht­lich sei­ne Ge­dan­ken ver­ber­gen zu wol­len schi­en. Um sich das Zu­sam­men­sein mit ihm zu ver­kür­zen, schlug der Her­zog ein Kar­ten­spiel vor, wor­auf Ramée auch ein­ging und wo­bei er fort­wäh­rend ge­wann. Er spiel­te schweig­sam, rasch und si­cher, strich schwei­gend das Geld ein und ver­teil­te die Kar­ten un­auf­halt­sam, wo­bei er den Her­zog mit sei­nem hei­len Auge un­ver­wandt an­sah. Ob­wohl die­sen der an­dau­ern­de Ver­lust wurm­te, hielt er doch an sich und sag­te nur ein­mal wie im Scher­ze, Ramée ver­ste­he wohl die Kunst, die Kar­ten mit den Fin­gern zu se­hen. Nein, sag­te Ramée, wäh­rend ein dia­bo­li­sches Lä­cheln um sei­nen Mund lau­er­te, er habe nur die Ge­wohn­heit, vor dem Spiel drei­mal auf die Kar­ten zu klop­fen und da­bei für sich zu spre­chen: ›Im Na­men der hei­li­gen Jung­frau‹; das hel­fe zum Ge­win­nen, der Her­zog kön­ne es auch ver­su­chen. Der Her­zog spiel­te und ver­lor dar­auf­hin wei­ter, ohne et­was zu sa­gen, und sehn­te den Tag her­bei, wo der Zahl­meis­ter aus Prag ein­trä­fe.


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