Im wilden Balkan. David Urquhart

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Im wilden Balkan - David Urquhart


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Erdwällen eingeschlossen, ohne eine andere Öffnung als eine Tür, und kaum hatte ich hin und wieder einmal Gelegenheit zu sehen, dass diese Türen auch wirklich Eigenschaften hatten, sich öffnen zu lassen. Das kleine Zimmer, das ich bewohnte, war passend so angelegt, dass es vor dem kalten Seewind, der durch das Tal blies, geschützt sein sollte. Dadurch aber war es bei Tag unbewohnbar, oder man musste nasse Kleider rund umher hängen und Wasser auf die Fußmatten gießen. Nur zwei Dorfangehörige sah ich für gewöhnlich. Der eine war mein albanischer Wirt, der zweimal des Tages seine Aufwartung machte, ein Stück Brett in der einen Hand mit einer Schüssel Yaurt und Pilaw1 darauf, und eine Melone in der andern, deren Größe nur ihre Vortrefflichkeit gleich kam. Der andere Mensch, den ich zu Zeiten einmal erblickte, war der einzige noch übrige Derwisch des Tekke, der, statt gleich anderen Menschenkindern sich ins Bett zu legen, auf einer schlanken Zypresse horstete, die im Hof des Tekke stand; abends und morgens war er sichtbar, wenn er auf seine Hühnerstange stieg oder herabkam.

      Zu diesem wie Pompeji aussehenden Orte war ich, wie auch der Zustand meiner Garderobe sein mochte, mit meiner Toilette nicht besonders sorgfältig, wie man sich leicht denken kann. Ich machte mir nichts daraus umherzuwandern in einem alten, grünseidenen Schlafrock, einem Paar gelber Pantoffeln und einer roten Mütze, und in Folge dieses Aufzuges fand eine wundergleiche Veränderung statt in meinem Verhältnis zu den Babánern, denn zu meinem Erstaunen wurde ich mit einem Besuch der fünf mächtigsten Honoratioren des Dorfes beehrt – des Agas, des horstenden Derwisches, eines Pferdeverleihers, des Hufschmieds und des Fährmanns. Ihnen allen war meine neue Tracht höchlichst aufgefallen, und sie bildeten sich ein, ich kleidete mich nach der allerneusten konstantinopolitanischen Mode. Nach diesem Ereignis nahm das Dorf ein ganz anderes Ansehen an; die Türen blieben offen stehen, Frauen und Kinder gingen auf die Straße und man brachte mir allerlei Peschkesche1 an Tabak und Melonen – zwei Produkte, deretwegen Tempe jetzt berühmt ist.

      Der Aga leistete mir mehr Gesellschaft, als zu meiner gegenwärtigen Laune und Beschäftigung passte, aber er war ein gelehrter Mann und besonders gut in der Erdbeschreibung bewandert, und seine Begriffe waren voll von der dichterischen Freiheit, die dem Beherrscher des Musentals von Rechts wegen zuzukommen schien. Als er eines Tages nebst seinen vier unzertrennlichen Genossen in meinem kleinen Kasten saß, unterhielt er uns mit seinen Ansichten über England, wovon die folgende Probe als ein Beweisstück dienen mag. „Alles Salzwasser in der Welt gehört England und alles süße Wasser der Türkei, weil das süße Wasser durch das Land fließt und nur nützt, das Vieh damit zu tränken und die Felder zu bewässern.“ „Aber“, bemerkte der Albaner, der am Türpfosten lehnte, „hat England denn keine Felder und keine Pferde, die Wasser brauchen, oder saufen die Pferde Seewasser?“ – „Bergmensch“, rief der Aga, dessen Überzeugung und Würde gleichzeitig beleidigt waren, „weißt du nicht, dass England weder Felder noch Pferde hat?“ Der Albaner sah mich an, ich sagte ihm: „Warum antwortest du dem Aga nicht?“ Der Anraut1 besann sich einen Augenblick, und dann, mit der Miene eines Schulexaminators, sah er dem Aga gerade ins Gesicht, strich sein Kinn und fragte: „Was ist England?“ Das war eine Frage geradezu, die den Aga völlig verwirrte. Er stotterte, sah umher, aber, seiner eigenen Hilfe ganz überlassen, verkündete er endlich, England sei – „eine Zahl – eine sehr große Zahl von – von Schiffen, von sehr großen Schiffen.“ Ich sagte ihm, er mache Babá Ehre und müsste ein Hadschi sein, das heißt, ein Hadschi Babá2. Er habe England ganz richtig begriffen, aber er scheine noch nicht erfahren zu haben, dass wir Fischherden hätten, wie sie Ziegenherden; ferner Seepferde zum Reiten und Seekälber zum Melken, obgleich wir von ihnen noch die herrliche Kunst, Fische zu schießen, lernen müssten.3

      Während meines Aufenthaltes hierselbst fiel ein schlimmes Missgeschick auf die Einwohner und beschäftigte alle Zungen und Gedanken, fast so viel wie das Protokoll im Süden1. Dies war nämlich ein Firman, welcher Kontributionen ausschrieb, um die Kriegsentschädigung an Russland zu beschaffen. Der Bezirk, zu dem Babá gehörte, war mit einer halben Million Piaster angesetzt. Da aber diese Ausschreibung ausschließlich auf islamische Grundeigentümer in wohlhabender Lage fallen sollte, so verursachte sie eine mit Worten nicht zu beschreibende Entrüstung. Der Betrag der Summe war ganz unbedeutend im Verhältnis zum Grundeigentum des Landes, aber wenigstens drei Vierteile dieses Grundeigentums waren griechisch, und von dem Rest war wirklich nur ein kleiner Teil im Besitz von Eigentümern, die man zu den Steuerpflichtigen zählen konnte. Die Koniarbewohner2 der Ebene sind allesamt kleine Eigentümer, aber ihr Eigentum war, jedes einzeln genommen, unter dem Betrag, der sie der Abgabe unterworfen hätte. Die natürliche Folge war, dass die angesehenen Leute an ihrem Geldbeutel hart angegriffen wurden und am erbittertsten darüber waren, dass sie es als eine Ungerechtigkeit in der Verteilung der Taxe ansahen. In Babá gab die Sache Anlass zu mancher heftigen Verhandlung, und die Türken schalten den Sultan einen Griechen. Die türkische Bevölkerung trägt ausschließlich die Kriegslasten, sie sind der Konskription unterworfen, die Griechen nicht. Wenn die Griechen Kriegsdienste nehmen, so geschieht es aus freier Wahl und dann, außer der Befreiung von der Kopfsteuer, die für den Kriegsdienst gerechnet wird, erhalten sie obendrein Gold, während die Türken nur besoldet werden, wenn sie in den regulären Dienst treten. Um dieselbe Zeit erschien überdies eine Ausschreibung von 1200 jungen Leuten für den Nizzam (das reguläre Militär). Das war der erste Versuch einer Konskription und erzeugte allgemeinen Unmut. Die Türken beklagten sich bitter darüber, erstens als über einen Akt des Despotismus, den sie für unerträglich hielten, und zweitens, weil die Griechen von diesem Aufruf frei blieben, wodurch er um so schwerer auf die Türken fiel. Zu allem Übermaß kam nun noch die Kontribution zur Entschädigung an Russland, die die Griechen nicht zu bezahlen brauchten, obgleich sie wie die Türken behaupteten, die Ursache des Krieges und des russischen Sieges gewesen zu sein.

      1 Der Mönchspfeffer, der u. a. auch zur Senkung der sexuellen Libido verwendet wurde. Urquhart spielt nicht nur hier gerade auf diesen Gebrauch an [Red.],

      1 Hinweis auf ein Derwisch-Kloster, das sich in Babá befand [Red.].

      2 Antike Stadt am Eingang der thessalischen Ebene. Dort nahm der Weg nach Epiros seinen Anfang [Red.].

      1 Baumgeister der altgriechischen Mythologie [Red.].

      2 Altgriechische Fluss- und Gewässergeister [Red.].

      1 Eine Schüssel Dick- oder Sauermilch und das klassische balkanische Reisgericht [Red.].

      1 Dieses türkische Wort ist hier im Sinn von „Gastgeschenke“ zu verstehen [Red.].

      1 Hier ein anderer Begriff für die Bewohner Albaniens [Red.].

      2 Anspielung auf einen Roman Moriers, der die Abenteuer eines persischen Bilblas erzählt, den er Hadschi Babá nennt. Hadschi bedeutet übrigens einen Pilger, der die heiligen Orte besucht hat, wie weiter unten im zwölften Kapitel vorkommen wird [Anm. d. Übers.].

      3 Die Bewohner von Babá hängen ein Stück Brot so auf, dass es eben den Strom berührt. Die kleinen Fische sammeln sich umher, um daran zu picken, und größere Fische machen dann Jagd auf die kleinen. Der Jäger sitzt im Baum, das Gewehr auf die Stelle gerichtet. Seine Kunst besteht darin, den Weg des großen Fisches hinlänglich zu kennen, um ihn in dem Augenblick zu treffen, in dem er ein Maul voll Elritzen packt.

      1 Urquhart wiederholte hier seine grundsätzliche Kritik am sogenannten Londoner Protokoll vom 3. Februar 1830, in dem die bis 1922 bestehende Teilung Griechenlands vereinbart worden war [Red.].

      2 Hier Bewohner der landwirtschaftlichen Güter, also der Konaks [Red.].

      VIERTES KAPITEL

      GEGENSÄTZE ZWISCHEN ENGLAND UND DER TÜRKEI

      Die auffallende Veränderung im Verhalten der Bewohner von Babá mir gegenüber, nachdem ich eine blaue Jacke mit einem Schlafrock vertauscht hatte, einen Strohhut mit einer roten Mütze und schwarze Stiefel mit gelben Pantoffeln, führte mich zu manchen Betrachtungen über die gewichtigen Prinzipien, die in der Verteilung langer Kleider und des Kalbsleders liegen. Ich hatte lange schon den Eindruck, dass die Würde eines Europäers verloren wäre, wenn er sich über den Einfluss der gesteiften Wäsche und der Schuhwichse hinwegsetzt. Seine Kleidung


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