Gespräche. Konfuzius
Читать онлайн книгу.des Individuums und somit auch für individuelle Religion und individuelle Moral gegeben. Ganz anders in China. Hier steht nicht kriegerische Eroberung, sondern friedliche Durchdringung am Anfang. Schon frühe hören wir von der Einteilung des Landes in Felder, die den einzelnen Familien zur Bebauung übergeben wurden. Die Feldbebauung setzt aber in der Familie ganz von selbst eine kollektivistische Wirtschaftsform voraus. So ergibt sich als Grundzelle des chinesischen gesellschaftlichen Organismus nicht das Individuum, sondern die kommunistische Familie. Es verdient hier hervorgehoben zu werden, daß sich Spuren eines Zustandes der Mutterfolge noch nachweisen lassen, doch scheint die Familie unter der Herrschaft des Vaters schon ziemlich weit zurückzugehen, wenn auch in der fast religiösen Betonung der väterlichen Autorität noch der Einfluß der Umwandlung der Sippe in die Familie durchklingt. Da aber zur Sicherung und Regelung des Lebens gemeinsame Unternehmungen unter einheitlicher Leitung, wie z. B. die schon erwähnte Flußregulation, notwendig waren, so bildet sich das Familienpatriarchat zum gesellschaftlichen Patriarchat mit dem Fürsten an der Spitze weiter. Wir finden die ethischen, religiösen und naturwissenschaftlichen Verhältnisse des vorkonfuzianischen China durchaus in Übereinstimmung mit den theoretischen Folgerungen, die sich aus diesen Zuständen ziehen lassen. Während in der Ethik des Westens die kriegerische Tugend des Muts und die damit zusammenhängenden Tugenden des Forschungstriebes und Wahrheitssinnes die Keimzelle für die ethische Entwicklung bilden, steht in China die gewißenhafte Einordnung in den Familienorganismus und durch ihn in den Gesellschaftsorganismus obenan, eben weil das die Tugend war, die innerhalb der gegebenen sozialen Verhältnisse am nötigsten und wertvollsten sich erwies. Von hier aus wird uns die Rolle, welche in China die Pietät spielt, ohne weiteres klar, und ebenso klar ist, wie ungerecht eine Beurteilung der chinesischen Kultur sein muß, die, wie das immer wieder geschieht, als Maßstab die auf ganz anderem Boden erwachsenen Prämissen unserer Kultur anlegt.
Dieselben Folgerungen ergeben sich auf religiösem Gebiet. Die Religion hat in China niemals die individuell-selbständige Entwicklung gefunden wie im Westen. Das Altertum kennt Zauber und Divination als wesentliche Züge des Lebens. Namentlich scheint auch die Schrift, die die Bilder der Gegenstände festzuhalten vermochte, als Zaubermittel hoch bewertet worden zu sein. Noch bis auf den heutigen Tag gelten geschriebene Zeichen für etwas einigermaßen Heiliges. Ebenso finden sich Spuren der Zaubermacht des Namens, in dem man Gewalt über das zugehörige Ding besitzt. Aus einer späteren Schicht stammen die Opfer, deren Vollzug als geheimnisvoll mit dem Weltlauf in Zusammenhang stehend betrachtet wurde. Verehrt wird der Gott des Himmels, ferner die Erde, und zwar die Erde (di) als Mutter im Gegensatz zum Himmelsvater, aber auch der männlich gedachte Gott der Ackerkrume (Hou Tu); außerdem die wichtigsten Naturgottheiten, die dem höchsten Gott beim Opfer beigeordnet werden. Daß auch der Ahnenkult in ältere Zeit zurückgeht, ist wohl selbstverständlich. Immerhin dürfte die feste Ordnung des Ahnenkultes erst mit der Dschoudynastie ihren Anfang genommen haben. Die Beschränkung des Kultes des höchsten Gottes auf den Altar bei der Hauptstadt und die Reservierung seines Vollzugs für den Herrscher hat sich, ähnlich wie das Opfer für Jahwe allein in Jerusalem, im Laufe der Zeit immer strenger durchgesetzt. Die Tempel des höchsten Gottes auf den Höhen im Land umher sanken mit der Zeit im Rang. Heute wird der »Nephritherr« darin verehrt, ein für das Volk zurechtgemachtes Surrogat des »lieben Gottes».
Die Begrenzung auf den Gebrauch der staatlich organisierten menschlichen Gesellschaft gibt der Wissenschaft der vorkonfuzianischen Periode ihren bestimmten Charakter. Interesselose Forschung aus bloßer Wißbegier kennt das chinesische Altertum so gut wie gar nicht. Auch das Wissen ist praktisch orientiert. Es ist für die Menschen, die Ackerbau treiben, ein unabweisbares Bedürfnis, daß sie den Verlauf ihrer Tätigkeiten dem Naturverlauf und seinen Gesetzen anpassen, daß die menschlichen Ordnungen sich einfügen in die Weltordnung.
Die Welt ist durch göttliche Vernunft (das Tao) regiert, und diese Prinzipien gilt es zu erforschen, damit der Kreis der menschlichen Tätigkeiten entsprechend gestaltet werden kann. So findet sich schon in ältesten Zeiten eine verhältnismäßig hohe Stufe der astronomischen Beobachtung, um mit ihrer Hilfe den Gang der Jahreszeiten und die entsprechenden Arbeiten des Ackerbaus festzulegen. Die Sorge für den Kalender war denn auch zu allen Zeiten eine wichtige Pflicht der kaiserlichen Regierung; es gab ein kaiserliches Hofamt, dem es oblag, jährlich den Kalender herauszugeben, in dem die geeigneten Tage für alle möglichen Unternehmungen des Lebens angegeben wurden. So suchte man seit urältester Zeit den Naturkräften und ihrer Ordnung durch eine an pythagoräische Lehre erinnernde Zahlensymbolik beizukommen. Der Dualismus der Urkräfte (Licht – Finsternis, männlich – weiblich usw., chinesisch yang yin) sowie die an die Fünfzahl sich anschließende Einteilung alles Bestehenden in Natur- und Menschenwelt (es gibt fünf Farben, fünf geographische Punkte – nämlich Mitte, Süden, Norden, Osten, Westen – fünf Tugenden usw., die alle in einem geheimnisvollen Zusammenhang stehen) bilden einen Hauptbestandteil dieser primitiven Naturphilosophie. Wie nun das chinesische Denken der Welt durch die Kategorie der Zahl beizukommen suchte, so war es andererseits von überaus großer Wichtigkeit, das Erkannte durch Begriffssymbole festzuhalten. Die Schrift, die sich der Sage nach aus geknoteten Stricken und primitiven Bildern der Gegenstände entwickelt hat, galt als etwas Heiliges und ist es, wie schon erwähnt, bis auf diesen Tag geblieben. Ihr Hauptzweck ist ebenfalls der, die rechten religiösen Riten und Gesetze festzuhalten und zu verbreiten. Auch sie war in erster Linie Mittel zur Staatsordnung. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Errungenschaften der Zivilisation, welche die chinesische Überlieferung ins höchste Altertum zurückprojiziert: die Erfindung der Kleidung, des Hausbaus, des Ackerbaus, der Seidenkultur usw. Alles sind technische Errungenschaften, für den unmittelbaren praktischen Gebrauch bestimmt. Daß die Überlieferung als Hüterin dieser Kulturgüter gerade in jenen ältesten Zeiten eine besonders wichtige Rolle spielte, damit das mühsam Erworbene nicht wieder verloren gehe, versteht sich von selbst, ebenso daß sich im Lauf einer jahrhundertelangen Entwicklung viel unzuverlässiges und minderwertiges Material in diese Überlieferung eingeschlichen hatte.
Die Kulturentwicklung hatte es im Wechsel der Dynastien schon damals zur Folge gehabt, daß kein einheitliches Volksbewußtsein mehr existierte, sondern verschiedene Linien geistiger Strömungen sich herausgebildet hatten. Während die eine Linie, die sich im späteren Taoismus fortsetzte, sich mehr an die Traditionen der Schangdynastie hielt, deren bedeutende Männer im Lauf der Jahrhunderte vom Taoismus fast alle deifiziert wurden, zeigen sich ums erste Jahrtausend zu Beginn der Dschoudynastie bereits gewisse Anfänge strafferer Organisation der Gesellschaftsordnung, die in Kung und seiner Lehre ihren Abschluß und ihre Vollendung fanden.
Mit der Dschoudynastie kommen wir auf Einflüsse aus dem Westen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Dynastie, die Generationen lang mit großer Umsicht an der Befestigung und Ausbreitung ihrer Macht gearbeitet hat, nicht chinesischen Ursprungs ist, sondern von außen her in China eindrang. Noch Menzius nennt – allerdings in bewußtem Paradox – den König Wen, den tatsächlichen Gründer dieser Dynastie, einen Barbaren aus dem Westen. Natürlich weiß die Tradition einen genealogischen Zusammenhang dieser neuen Dynastie mit dem »Ackerbauminister« Hou Dsi, der dem göttlichen Yau und Schun zur Seite stand, herzustellen. Seine Nachkommen seien zu den Barbaren ausgewandert und von dort später wieder nach China zurückgekehrt. Es erübrigt sich auf diese Tradition einzugehen, um so mehr als wir noch ziemlich gut die einzelnen Etappen verfolgen können, die die neue Dynastie bei ihrem allmählichen Eindringen in China zurückgelegt hat. Es muß eine Art Völkerwanderung gewesen sein, und die Art, wie die eindringenden Barbaren allmählich sich Kultur und Macht in China verschafften, hat ihre Parallele in der Übernahme des römischen Imperiums durch die einrückenden Germanen.
Abgesehen von den früheren Häuptlingen dieser Stämme, von denen einer geschildert wird, wie er zu Pferd – von seiner Frau begleitet – die neuen Wohnsitze für die Seinen aussucht, sind es hauptsächlich drei Männer, die in der konfuzianischen Tradition die Siebenzahl der berufenen Heiligen voll machen: der König Wen, der moralisch den Einfluß der Familie im Reiche durchgesetzt hat, ohne den letzten Schritt der Usurpation zu tun, der König Wu, sein Sohn, der in hohem Alter die kriegerische Aktion gegen den Tyrannen Schou Sin unternommen, und dessen jüngerer Bruder Dan, der Fürst von Dschou, der für seinen unmündigen Neffen die Regierung führte, und dessen Familie mit dem Heimatstaat des Kung, dem Fürstentum Lu, belehnt wurde.
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