Der Schützling. Dirk Koch

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Der Schützling - Dirk Koch


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sich solchen Unsinn aus den Fingern gesogen hat. Geheimdienste östlicher Provenienz kenne ich aus Filmen, Büchern und einschlägigen Fernsehserien. Mit anderen Worten: Die WELT scheint Opfer fremder Phantasien geworden zu sein.«

      Die Redaktion setzte ihre Entschuldigung darunter: »Unser Leser hat recht. Sein Name ist aufgrund eines Versehens in diesen Zusammenhang gebracht worden. Die WELT bedauert das.«

      Und es kam noch besser für Kanter, so Memoirenschreiber von Brauchitsch. Von CSU-Spranger verlangte der DDR-Agent eine »ehrenrechtliche Wiedergutmachung«. Aus dessen Bundesinnenministerium wären ihm schon öfters Kontakte zu Geheimdiensten nachgesagt worden; er bestehe auf Kenntnis sämtlicher Daten, die über ihn vorlägen. Spranger solle ihm mitteilen, welche Maßnahmen man ergreifen werde, »um meine durch die Verlautbarungen Ihres Hauses verletzte Ehre wiederherzustellen«. Andernfalls sehe er sich gezwungen, »die Rechtmäßigkeit Ihres behördlichen Verhaltens in diesem Punkt streitig überprüfen zu lassen«.

      Kanters Ehre sollte bald wieder glänzen, auch dank des furiosen Einsatzes von Helga, der Ehefrau des Kanter-Kumpels von Brauchitsch. Sie warf sich in gleichlautenden Briefen an Bundeskanzler Kohl und Bundesinnenminister Zimmerman für ihren Gemahl ins Zeug. Unter Anspielung auf gern angenommene Spendengelder schrieb sie am 28. Januar 1986: »[…] Wie ist es möglich, dass hinter dem Rücken eines Mannes, dessen Fähigkeiten und Tatkraft Sie so oft und gern zum Wohl der Allgemeinheit und des Staates in Anspruch genommen haben, der Verdacht ausgelöst wurde, er sei ein Agent eines ausländischen Geheimdienstes? Sie müssen mir erlauben, daß sich nun meinerseits der Verdacht aufdrängt, Sie hätten bei all diesem nur politische Macht im Sinn gehabt und die Verfassung unserer Republik sowie die Grundrechte seiner Bürger nicht geachtet, wie man es von Ihnen erwartet.«

      Kohl antwortete der »lieben Helga« noch am selben Tag »mit großer Betroffenheit«. Das Innenministerium habe klargestellt, »daß zu keinem Zeitpunkt irgendein Gedanke dergestalt existierte, daß gegen Deinen Mann Anhaltspunkte für Landesverrat oder Ähnliches bestanden haben«.

      Der für die Verdachtsan frage verantwortliche Spranger erinnert sich: »Da ist alles ganz schnell totgemacht worden.« Nicht nur von Brauchitsch, sondern auch Kanter bekam seine Ehrenerklärung.

      Der beamtete Staatssekretär des Innenministeriums, Hans Neusel, bescheinigte dem Stasi-Agenten am 11. März 1986 schriftlich, »ausnahmsweise«, denn der Verfassungsschutz gebe Privatpersonen grundsätzlich keine Auskünfte, »bin ich in Ihrem Falle jedoch bereit, Ihnen mitzuteilen, daß Ihre Person in den Unterlagen des Ministeriums und der Sicherheitsbehörden des Geschäftsbereichs lediglich im Zusammenhang mit Ihrer Zeugenschaft in einem auch Ihnen bekannten Ermittlungsverfahren gegen unbekannt vermerkt ist.«

      »Der Brief des Staatssekretärs«, schreibt von Brauchitsch weiter in seinen Erinnerungen, »war wahrscheinlich das schönste Geschenk, das Adolf Kanter je erhalten hat.«

      DRITTES KAPITEL

       Der Geheimprozess

      Die Bonner Redaktion des Spiegel hatte zu Zeiten des Kalten Krieges ihr Büro in einem viergeschossigen Zweckbau an der Ecke Dahlmannstraße/Welckerstraße, mitten im Regierungsviertel der Bundeshauptstadt am Rhein. Aus den Fenstern nach Westen ging der Blick auf das Nachbarhaus an der Welckerstraße, zweistöckig, gebaut in den 1950er-Jahren, die neonhellen Räume belegt von Fachverbänden und Informationsdiensten. Wer da ein- und ausging? Für uns vom Spiegel nicht interessant. Man beachtete die Leute gegenüber nicht und grüßte sich nicht.

      Das war ein Fehler. Wir haben uns um die Gelegenheit gebracht, den erfolgreichsten und einflussreichsten deutschen Spion jener Jahrzehnte der Teilung Deutschlands kennenzulernen. Wir hätten die Bekanntschaft eines stets oberflächlich freundlichen, unauffälligen Mannes machen können, nicht klein, nicht groß, dicklich, stattlich, das nach hinten gekämmte Haar gelichtet, Hornbrille, Typ Sachbearbeiter im grauen Anzug, immer mit Krawatte, leise und höflich. Das war Adolf Josef Kanter, 41 Jahre lang Agent Ostberlins, vorübergehend festgenommen erst nach dem Ende der DDR, gestorben 2004 in einem Altenheim in Vallendar am Rhein als 79-jähriger Pflegefall nach einem Treppensturz, eine der wichtigsten Quellen der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), von 1974 bis 1981 Prokurist und stellvertretender Leiter der Politischen Stabsstelle der Geschäft sführung des milliardenschweren Flick-Konzerns am Sitz der Bundesregierung in Bonn, Job: vertrauliche Informationen beschaffen, Politiker schmieren, politische Entscheidungen kaufen.

      Kanter gehörte zu den mächtigsten Wissenden von Bonn, er war einer der wenigen, die über sehr viele Leute in Parteien, Parlament und Regierung sehr viel wussten, das keinesfalls nach draußen dringen durfte. Er hatte viel Geld zur Verfügung. Er hatte einen guten Draht zu Helmut Kohl. Stasi-General Markus Wolf hat Kanter in den Rang Günter Guillaumes, des DDR-Spions an der Seite Willy Brandts, erhoben: »Seine Informationen waren kaum weniger wertvoll.« Und Kanter lieferte viel, viel mehr als Guillaume. Bei Enttarnung Guillaumes trat der SPD-Bundeskanzler zurück, der Stasi-Agent hatte zu viel Intimes mitbekommen, der westdeutsche Regierungschef hätte bloßgestellt werden können – für den späteren CDU-Kanzler Kohl ein abschreckendes Beispiel, ein Schicksal, das er sich in jedem Fall ersparen wollte.

      Dabei hatte »Hansen« – Guillaumes Deckname – in den Jahren zwischen 1969 und 1974 lediglich 45 Berichte nach Ostberlin geschickt. Kanter brachte es in vier Jahrzehnten auf eine vierstellige Zahl Dossiers. Seine – beim DDR-Zusammenbruch vernichtete – Akte bei der Stasi füllte 36 Ordner mit mehr als 14.400 Blatt. Kanter wurde von der Stasi-Spitze als dermaßen wichtig eingestuft , dass selbst im Kriegsfall die Verbindung zu ihm aufrechterhalten bleiben sollte. Eine Bedeutung, die nur wenigen Quellen im Ausland zugemessen wurde.

      Kanter sei sogar »wesentlich wichtiger« für den Osten in der Ära des Kalten Krieges gewesen als Guillaume. So das Urteil des Berliner Abwehrchefs Helmut Müller-Enbergs. Seine Fachkenntnis stellte der Stasi-Forscher wiederholt unter Beweis, so enttarnte er den Westberliner Polizisten Karl-Heinz Kurras (er erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg bei einer Schah-Demo) als Stasi-Agenten. Müller-Enbergs befand über den Kanzlerspion Guillaume: »Der war nicht mal Mittelklasse«, ein »Medienprodukt«, ohne hervorragende nachrichtendienstliche Qualitäten. Müller-Enbergs berichtete dem Autor aus langen Gesprächen mit dem HVA-Chef 2005, ein Jahr vor dessen Tod: Wolfs Erfahrung nach hätten seine Späher im Durchschnitt zehn Jahre durchgehalten, dann wären sie vom Doppelleben zermürbt gewesen. Kanter alias »Fichtel« aber hätte vier Jahrzehnte lang geliefert, kaltblütig, diszipliniert. Besonders geschätzt habe Wolf, wie genau dieser Agent zu steuern gewesen sei. Erst habe Ostberlin ihn als A-Quelle, als Abschöpfungsquelle, auf die sich herausbildende Europaszene in Westdeutschland angesetzt, danach dann auch noch auf die CDU um Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz, in beiden Bereichen mit immensem Ertrag an aufschlussreichen Informationen aus seinen zielstrebig auf- und ausgebauten Netzwerken von auszuhorchenden Kontaktpersonen.

      Wie aus Ostberlin aufgetragen, brachte sich Kanter in die nach Kriegsende aufblühende Europa-Bewegung ein, verschaffte sich Zugang sogar zu Walter Hallstein, dem deutschen ersten Vorsitzenden der Brüsseler Kommission der Europäischen Wirtschaft sgemeinschaft (EWG). Zugleich gelang es »Fichtel«, sich an Kohl und seinen Unterstützerkreis heranzumachen. Kohls Herz für Kanter ließ sich mit einem Wort erklären: Geld. In den frühen Kampfjahren gegen die CDU-Altvorderen im Bundesland Rheinland-Pfalz hat Kanter dem Jungmachtmenschen Spenden aus dubioser Quelle zugeschoben, auch damals schon aus Kassen, die dem neu gewonnenen Kanter-Freund Eberhard von Brauchitsch, dem späteren Flick-Generalbevollmächtigten, offenstanden. Kohl, zum Mainzer Ministerpräsidenten aufgestiegen, zeigte sich erkenntlich, bewahrte über seinen Justizminister und durch Eingriff in das Rechtssystem den Geldbeschaffer Kanter vor Ungemach, als dem Schützling ein scharfer Staatsanwalt auf den Fersen war. Erst recht galt es, den Goldjungen Kanter pfleglich zu behandeln, als der von 1974 an im Bonner Flick-Büro saß, das wesentlich beim Verteilen der Schmiergelder in Millionenhöhe – bar natürlich, ohne Quittung – mitzureden hatte. Von Anbeginn an berichtete Kanter auf das Genaueste der Stasi-Zentrale, wie und was da lief in der BRD zwischen Kapital und Politik und wie sich westdeutsche Politiker mit ihrer Käuflichkeit unter Druck setzen ließen.

      Sein Haus in der Lindenstraße


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