Porno im Kopf. Gary Wilson

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Porno im Kopf - Gary Wilson


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Kausalität verläuft, noch nicht zur Zufriedenheit einiger Wissenschaftler geklärt. Wie man so schön sagt, ist hier noch mehr Forschung nötig.

      Natürlich können diagnostische Handbücher nicht unbegrenzt warten, wenn Patienten leiden. Im Jahr 2013 wurde im Diagnostic and Statistical Manual keine spezifische Diagnose für Internetpornosucht hinzugefügt, was auf den Mangel an Forschung hinweist. Die Weltgesundheitsorganisation hat diese Position jedoch in ihrer neuen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) aktualisiert. Die ICD-11 enthält eine Diagnose für „zwanghaftes Sexualverhalten“1. Sie eignet sich für die Diagnose von Personen, die mit Pornografie zu kämpfen haben, und wird die Forschung und professionelle Ausbildung im Hinblick auf die Auswirkungen von Pornografie fördern.2

      Seit der ersten Ausgabe dieses Buches habe ich an zwei wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Internetpornografie mitgearbeitet. Beide können vollständig im Internet gelesen werden. Die erste, „Is Internet Pornography Causing Sexual Dysfunctions? A Review with Clinical Reports“ („Verursacht Internetpornografie sexuelle Funktionsstörungen? Eine Überprüfung mit klinischen Berichten“), wurde mit sieben Ärzten der US Navy geschrieben. Sie zeichnet den beispiellosen Anstieg sexueller Funktionsstörungen bei Männern unter 40 Jahren nach und erörtert mögliche zugrundeliegende Ursachen. Die zweite Arbeit, „Eliminate Chronic Internet Pornography Use to Reveal Its Effects“ („Chronische Internetpornografie eliminieren, um ihre Auswirkungen aufzudecken“), wurde auf Bitten der Herausgeber einer türkischen akademischen Fachzeitschrift über Sucht im Anschluss an einen Vortrag geschrieben, den ich auf einer internationalen Konferenz über Internetsucht in Istanbul gehalten hatte. Es ist offensichtlich, dass andere Kulturen über die möglichen Auswirkungen der Pornografie besorgt sind.

      Ein weiterer Beweis für die internationale Besorgnis war die Einladung, auf einer großen Tagung lateinamerikanischer Urologen und anderer Fachleute aus lateinamerikanischen Kliniken für sexuelle Gesundheit von Männern zum Thema „Internetpornografie und sexuelle Funktionsstörungen“ zu sprechen. Die Urologen stellen einen bedrohlichen Rückgang des Durchschnittsalters ihrer Patienten fest und gehen daher allen plausiblen Ursachen auf den Grund.

      Die Statistiken über den Pornokonsum bei Jugendlichen schließen nun endlich auch mit der Realität auf. „Young Australians‘ use of pornography and associations with sexual risk behaviour“ berichtete, dass sich 100 % der jungen Männer (im Alter von 15 bis 29 Jahren) und 82 % der jungen Frauen bereits einmal Pornos angesehen haben. Auch das Alter, in dem Pornos zum ersten Mal angesehen werden, ist weiter gesunken. 69 % der Jungen und 23 % der Mädchen schauen Pornos zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren oder jünger an.3

      Verschiedene Länder fordern mehr Forschung über die Auswirkungen von Pornografie. Einige Bundesstaaten in den USA haben Resolutionen verabschiedet, die die Nutzung von Internetpornografie zu einer Krise der öffentlichen Gesundheit erklären, und fordern weitere Maßnahmen. Auch wurde (in Großbritannien) damit begonnen, für den Zugang zu Pornoseiten eine unabhängige Altersüberprüfung zu verlangen. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass die potenziellen Schäden von Pornografie stärker ins Blickfeld gerückt sind und die Debatte an Intensität gewonnen hat. Ich hoffe, dass diese aktualisierte Ausgabe dazu beitragen wird, Fragen zu beantworten und nützliche Informationen für diese laufende Diskussion zu liefern.

       Gary Wilson, im August 2017

      EINLEITUNG

      ■ ■ ■

      Ich halte denjenigen, der sein Verlangen besiegt, als tapferer als denjenigen, der seine Feinde besiegt. Denn der schwerste Sieg ist der Sieg über sich selbst.

      Aristoteles

      Vielleicht lesen Sie dieses Buch, weil Sie neugierig sind, warum Hunderttausende von Porno-Usern rund um den Globus versuchen, den Pornokonsum aufzugeben.4

      Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Sie es lesen, weil Sie sich auf eine Art und Weise mit pornografischem Material beschäftigen, die Sie beunruhigend finden. Vielleicht haben Sie mehr Zeit online damit verbracht, nach Pornobildern Ausschau zu halten, als Ihnen lieb ist, obwohl Sie sich entschieden haben, den Konsum einzuschränken. Möglicherweise fällt es Ihnen schwer, beim Sex zum Höhepunkt zu kommen, oder Sie leiden unter unzuverlässigen Erektionen, für die Ihr Arzt keine organische Ursache finden kann. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass echte Partner Sie einfach nicht erregen, während Sie ständig von Online-Versuchungen heimgesucht werden. Oder aber Sie sind zu Fetischmaterial übergegangen, was Sie beunruhigend finden oder was nicht mit Ihren Werten oder sogar Ihrer sexuellen Orientierung übereinstimmt.

      Wenn Sie, wie Tausende andere Menschen auch, bei sich feststellen mussten, dass sie Probleme haben, dann haben Sie wahrscheinlich eine Weile gebraucht, um diese Probleme mit Ihrem Pornokonsum in Verbindung zu bringen. Vielleicht nahmen Sie an, Sie hätten mit einer anderen Störung zu kämpfen. Möglicherweise dachten Sie, Sie hätten ungewohnte Depressionen oder soziale Ängste oder, wie ein Mann befürchtete, vorzeitige Demenz entwickelt. Oder vielleicht gingen Sie davon aus, dass bei Ihnen ein niedriger Testosteronspiegel vorliegt oder Sie einfach älter werden. Eventuell wurden Ihnen sogar Medikamente von einem wohlmeinenden Arzt verschrieben. Und vielleicht hat Ihnen Ihr Arzt versichert, dass es falsch war, sich über Ihren Pornokonsum Sorgen zu machen.

      Es gibt viele einflussreiche Menschen, die uns sagen, dass ein Interesse an pornografischen Darstellungen völlig normal und dass Internetpornografie daher harmlos ist. Während sich die erste Behauptung bewahrheitet, stimmt die zweite, wie wir sehen werden, nicht. Auch wenn nicht alle Porno-User Probleme entwickeln, so tun dies einige sehr wohl. Gegenwärtig geht die Mainstream-Kultur davon aus, dass der Gebrauch von Pornografie keine schweren Symptome verursachen kann. Und da die öffentlichkeitswirksame Kritik an Pornografie oft von religiösen und sozialkonservativen Organisationen ausgeht, ist es für liberal gesinnte Menschen leicht, sie ohne Prüfung abzutun.

      Aber in den letzten neun Jahren habe ich aufmerksam verfolgt, was Menschen über ihre Erfahrungen mit Pornografie sagen. Noch länger beschäftige ich mich damit, was Wissenschaftler über die Funktionsweise unseres Gehirns herausfinden. Und ich kann Ihnen sagen, dass es hier nicht um Liberale und Konservative geht. Es geht nicht um religiöse Scham oder sexuelle Freiheit.

      Es geht um die Natur unseres Gehirns und darum, wie es auf Hinweise aus einer radikal veränderten Umwelt reagiert. Es geht um die Auswirkungen eines chronischen Überkonsums sexueller Neuheiten, die bei Bedarf und in endlosem Umfang angeboten werden. Hier geht es um den Zugang von Jugendlichen zu unbegrenzten Hardcore-Streaming-Videos – ein Phänomen, das sich so schnell entwickelt, dass die Forscher nicht in der Lage sind, auf dem neuesten Stand zu bleiben. Zum Beispiel berichtete eine Studie aus dem Jahr 2008, dass 14,4 % der Jungen bereits vor dem Alter von 13,5 Jahren mit Pornos in Berührung gekommen sind.5

      Zum Zeitpunkt der Erfassung der Statistiken im Jahr 2011 war die frühe Exposition sprunghaft auf 48,7 % angestiegen.6 Eine 2017 durchgeführte Querschnittsstudie über Australier im Alter von 15 bis 29 Jahren berichtet, dass 69 % der Jungen und 23 % der Mädchen im Alter von 13 Jahren oder jünger zum ersten Mal Pornos anschauten.3

      Alle befragten Männer und 82 % der Frauen hatten sich zu irgendeinem Zeitpunkt schon einmal Pornografie angesehen.

      In ähnlicher Weise zeigte sich in der Studie von 2008, dass der tägliche Konsum von Pornos selten (5,2 %) vorkam, aber bis 2011 schauten bereits mehr als 13 % der Jugendlichen täglich oder fast täglich Pornos an. Im Jahr 2017 sahen 39 % der Männer und 4 % der Frauen (15–29 Jahre) täglich Pornos, oft auf ihren Smartphones.3 Bis vor etwa einem Jahrzehnt hatte ich keine Meinung zur Internetpornografie. Ich dachte, dass zweidimensionale Bilder von Frauen ein schlechter Ersatz für echte dreidimensionale Frauen seien. Aber ich war nie für ein Verbot von Pornos. Ich bin in einer nicht religiösen Familie in Seattle, im liberalen Nordwesten, aufgewachsen. „Leben und leben lassen“ war mein Motto.

      Als jedoch Männer im Forum der Website meiner Frau auftauchten und behaupteten, pornosüchtig zu sein, wurde mir klar, dass hier etwas Ernstes vor sich ging. Als


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