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Vor wem oder vor was, Laura?«

      »Ich glaube, ich bin krank, Joachim. In meinem ganzen Leben bin ich noch nicht so erschöpft gewesen, nicht einmal nach Stephanies Geburt. Ich darf nicht krank werden.«

      »Weißt du, Laura«, er sagte es so leise, daß die beiden hinter dem Baum ihn nicht verstehen konnten. »Du bist krank an der Seele. Körper und Seele sind eins. Ist deine Seele krank, weil du unglücklich bist, macht sie auch deinen Körper krank.«

      »Vielleicht hattest du recht, Joachim. Vielleicht hätte ich nicht fortfahren sollen. Es war Feigheit. Ich hätte mit ihm reden müssen.«

      »Quäl dich nicht, Laura. Hab’ doch Vertrauen, es wird schon alles gut.«

      *

      Er ging leise davon, Zweige knacken unter seinen Füßen. Joachim fühlte sich ganz elend. Er konnte es nicht ertragen, wenn Laura traurig war. Er schickte ein stummes, verzweifeltes Bitten zum Himmel hinauf. Er erbat ja nichts für sich selbst. Er bat den Himmel für Lauras Glück.

      Julian ging nahe an ihm vorüber, blieb einen Augenblick neben ihm stehen und flüsterte in sein Ohr: »Drücken Sie mir den Daumen?«

      Das wollte er ganz sicher tun.

      Laura hielt die Augen geschlossen. Der Kopf ruhte am rauhen Stamm des Baumes. Ihre Ohren waren taub für die Geräusche ringsum. Sie war gefangen in ihrem Kummer.

      Wie so oft flogen ihre Gedanken in die Vergangenheit. Sie träumte von den glücklichen Stunden. Sie spürte Julians Nähe, sie spürte das Glück.

      »Ich habe mir ja selbst etwas vorgemacht«, flüsterte sie verzweifelt. »Wie kann ich mir einbilden, ihn vergessen zu haben? In Stephanie ist vieles von ihm.«

      Sie spürte erst jetzt den Schatten, der über sie fiel. Nur zögernd öffnete sie die Augen.

      War sie so krank, daß sie schon unter Halluzinationen litt? Ihre Träume hatten Gestalt angenommen, sie sah Julian vor sich stehen. Sie schloß die Augen und öffnete sie wieder. »Guten Tag, Laura.«

      Es war kein Traum. Sie war nicht verrückt. Sie schluckte. Es fiel ihr schwer zu sprechen. Wie konnte man sprechen, wenn das Herz hoch oben im Hals klopfte?

      »Wie… wieso… wieso bist du hier?«

      Und erst jetzt begriff sie, daß er leibhaftig vor ihr stand. Sie sprang auf, aber bevor sie nur einen Schritt laufen konnte, hielt er sie.

      Sehr fest umfaßte er sie, als hätte er Angst, sie könnte ihm davonrennen.

      »Willst du schon wieder fortlaufen, Laura? In welcher Ecke der Welt willst du dich jetzt verstecken? Zappele ruhig, du kannst mich auch mit deinen Fäusten traktieren. Ich lasse dich doch nicht los. Laura…«

      Es war schwer, sie nur im Arm zu halten. Wie ein Strom brach das Verlangen, sie zu küssen, in ihm auf. Erst in diesem Augenblick begriff er, wie sehr er sie liebte. Immer geliebt hatte. Alles andere hatte er sich selbst nur vorgemacht.

      »Bitte, laß mich los«, bat sie gepreßt.

      »Das ist zuviel verlangt, Laura. Dafür habe ich dich viel zu schmerzlich vermißt. Ich glaube, wir beide werden uns vieles zu erzählen haben.«

      »Nein«, schüttelte sie spröde den Kopf. Sie ließ sich auf die Bank fallen. Ihre Beine trugen sie gewiß nicht mehr lange. Es war so schwer, kühl und beherrscht zu sein. Sie hatte es ja gewußt, sie hatte doch nicht vergessen, welche Macht dieser Mann über sie besessen hatte und bis an ihr Lebensende besaß. So etwas macht die Liebe aus einem Menschen, dachte sie erschöpft.

      Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand zwischen seine Finger. Sie zitterte wie der Körper eines aus dem Nest gefallenen Vogels.

      »Wie woll ich das Nein verstehen? Willst du mir nicht erzählen, warum du fortgefahren bist?«

      Sie warf den Kopf zurück. Gott sei Dank vertrieb der Ärger auf ihn jetzt ihre Lethargie.

      »Ich bin fortgefahren? Ich habe dich nicht für einen Lügner gehalten.«

      »Das bin ich auch nicht. Ich habe von deiner Mutter alles erfahren. Das Wichtigste ist natürlich die Tatsache, daß ich eine kleine Tochter habe. Sag mir bitte eines, Laura, hattest du die Absicht, sie mir für immer vorzuenthalten? Hätte ich nie davon erfahren?«

      »Nein, du brauchst nicht zu antworten.« Ihr Gesicht mit den riesengroßen Augen sah erbarmungswürdig aus.

      »Meine Mutter? Woher kennst du meine Mutter?«

      »Ich kenne sie nicht nur, wir mögen uns sogar. Seit ich das Bild gesehen habe, segele ich auf einer Glückssträhne. Ich habe dich gefunden. Laura, bitte, hör mir nur einen Augenblick zu. Das, was uns trennte, was uns viele Jahre Kummer brachte, ist mit wenigen Sätzen erzählt. Erinnerst du dich an den dicken Mann in meinem Hotel, der meinen Namen trug? Hartinger hieß er, wie ich. Weißt du noch, daß ich seine Zeche bezahlen sollte?

      Siehst du, jetzt dämmert dir etwas.«

      Es waren dann nicht nur wenige Worte. Er beschrieb seinen Kummer, seine Enttäuschung sehr anschaulich auch seine Angst, sie könnte verheiratet sein, und je mehr er darüber gegrübelt hatte, desto sicherer wurde er.

      »Ich fiel von einem Extrem in das andere.« Längst hatte er den Arm um sie gelegt. Anfangs war sie steif darin gewesen, aber jetzt gab sie ihrer Sehnsucht nach, obwohl sie das alles noch immer nicht glauben konnte.

      »Ich habe mir eingebildet, dich zu hassen«, erzählte er und rückte noch näher an sie heran. Welch ein Geschenk, daß sie es sich gefallen ließ. »Ich habe dich mit Schimpfnamen belegt und wußte doch, daß du mir etwas gestohlen hattest. Etwas wichtiges, ohne das ein Mensch nicht leben kann.«

      »Du hast in meinem Herzen auch genug Unheil angerichtet«, behauptet sie. Plötzlich überfiel ein Zittern ihren Körper und Julian erschrak. »Was ist denn? Was hast du denn? Sag es mir doch, Liebste.«

      »Das kann doch gar nicht sein. Solche Dinge können doch höchstens in einem Roman passieren. Julian, kneif mich, ich glaube, ich träume nur.«

      »Mit Vergnügen. Aber ich weiß etwas besseres als kneifen.«

      Er legte ihren Kopf in seine Armbeuge, er strich mit den Lippen über ihre Stirn, ihre Augen und fand endlich ihren Mund.

      Wieviel Zeit vergangen war, hätten sie später beide nicht zu sagen gewußt.

      Ein kleines Stimmchen brachte sie in die Wirklichkeit zurück.

      »Tust du meiner Mami weh?«

      Laura wollte sich aus seinen Armen befreien, aber das ließ er nicht zu, er erlaubte ihr nur, sich höher aufzusetzen.

      »Nein, Stephanie, ich werde ihr doch nicht weh tun, ich hab’ sie doch lieb.«

      Die Kleine legte das Köpfchen schief und musterte den Mann gründlich. Der schwarze Hund stand neben ihr, sie hatte ihre Hand in seinem seidigen Fell vergraben.

      »Mami, kennen wir den Mann?«

      »Du wirst es vergessen haben, Herzchen«, behauptete Lauras Mutter. Joachim und sie hatten das Warten nicht länger ertragen können. »Ich jedenfalls kenn ihn sehr gut.«

      »Ich auch.« Herr Poppel räusperte sich die Enge aus der Kehle. »Ich darf sagen, ich schätze ihn sehr«, behauptete er in seiner altmodischen Art.

      »Dann mögen wir ihn auch«, entschied das selbstbewußte Persönchen. »Omi, meinst du, ich sollte ihm einen Kuß geben?« Erst jetzt fiel ihr auf, daß plötzlich ihre Omi da war.

      »Omi, wo kommst du denn her? Bist du vom Himmel gefallen?«

      »Nein, dahin will ich noch lange nicht. Willst du deiner Omi nicht guten Tag sagen, Herzchen?«

      »Zuerst mein Kuß«, verlangte Julian. Als sich die Kinderarme um ihn legten, schämte er sich nicht, daß Tränen über seine Wangen liefen. Zum Glück bemerkte Stephanie das nicht.

      »Jetzt mußt


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