Unverarschbar. Martell Beigang

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Unverarschbar - Martell Beigang


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normalerweise ein Ding der Unmöglichkeit. Ben schifft erstmal an den nächstbesten Baum, denn er haßt es, irgendwo hinzukommen und erstmal aufs Klo zu verschwinden, bevor man sich richtig eingegroovt hat. Gastgeber Andreas ist Pianist und nach einigen gemeinsamen Projekten inzwischen ein guter Freund von Ben. Sein Tonstudio im Keller beherbergt eine respektable Sammlung antiker und kurioser „Schweineorgeln“. Gefeiert wird jedoch oben in der Wohnung, im zweiten Stock, wo er gemeinsam mit seiner Freundin Andrea wohnt. Die beiden sind schon ewig zusammen, und nach Bens Theorie liegt das nicht zuletzt an ihrer beider Namen, wodurch sie irgendwie schicksalhaft verkettet sind. Tatsächlich sind sie von allen Paaren, die Ben kennt, dasjenige, was am längsten zusammen ist.

      Ben geht durch ein gepflegtes Jugendstiltreppenhaus dem stetig lauter werdenden Partylärm entgegen. Die Party läßt sich eigentlich ganz gut an. Französische Freunde von Andreas haben echten Champagner aus der Champagne mitgebracht. Wie so oft fragt sich Ben, warum er damals in der Schule so blöd sein konnte, Latein statt Französisch zu wählen. Er traf seine Entscheidung, als bekannt wurde, welche Mädchen in den Lateinkurs gehen wollten. Bens Vater, der von diesen niederen Beweggründen natürlich nichts wußte, hat es damals sehr gefreut, daß sein Sohn sich für Caesar entschieden hatte. Für ihn war Latein keine Sprache, sondern eine Haltung.

      „Les Champagners, äh, tres bons, Mademoiselle!“

      „Qui, qui ...“ Scheiß Latein. Ben wendet sich dem Essen zu. Old Frank hat sich nicht lumpen lassen und für dreißig Personen provenzalische Hähnchenschenkel gezaubert. Ben geniert sich etwas mit seinen mitgebrachten Chipstüten. Egal. Der Champagner tut seine Wirkung, Sprachbarrieren werden eingerissen, die Schenkel schmecken einen Hammer, und schon kommt Ben mit Birte ins Gespräch. Nach seiner Schätzung ist sie Mitte zwanzig, und ihm gefällt besonders an ihr, wie sie ihre langen, blonden Haare mit schmalen Fingern beiläufig aus ihrem Gesicht streicht, während sie mit ihm redet. Ihr hellblauer, irrsinnig flauschig aussehender Pulli, schmiegt sich äußerst ansprechend um ihre BH-losen Brüste. Sie ist, wie Ben gerade erfährt, erst unlängst aus Norddeutschland nach Köln gezogen.

      „Köln ist wirklich die einzige echte Alternative zu Berlin“, schreit sie ihm ins Ohr, denn die Musik ist brüllend laut.

      „Hamburg vielleicht noch“, sagt er, „aber da ist immer so schlechtes Wetter.“ Keine Frage, Birte kommt extrem geschmeidig rüber, und Ben legt sich für seine Verhältnisse richtig ins Zeug. Bislang war er immer mit Mädchen zusammen, die ihn angemacht oder aufgegabelt haben, und er würde von sich sagen, daß er eigentlich gar keine Ahnung hat, wie man Mädchen klarmacht. Aber in seiner heutigen apokalyptischen Alles-Egal-Stimmung macht er auf Birte einen umwerfend coolen Eindruck, und er merkt und genießt das. Er bekommt richtiggehend gute Laune, wenn da nicht dieser nervige Sound wäre.

      „So eine Scheißmusik!“ sagt er zu Birte.

      Sie fragt nur: „Welche Musik?“

      „Na, was hier gerade so läuft.“

      „Hab gar nicht zugehört.“

      „Ich muß immer hinhören. Ich kann gar nicht anders.“

      „Ist doch egal.“

      „Mir nicht! Was hörst du denn gerne für ‘n Sound?“

      Birte denkt einen Moment nach. Dabei schaut sie nach oben und preßt ihre Lippen zusammen, wobei auf ihren Wangen zwei bezaubernde Grübchen entstehen. „Ach, alles querbeet.“ Ben denkt bereits: Auweia, das sind mir die liebsten, da gibt sich Birte selbst den Gnadenstoß: „Im Moment hör ich ganz gerne die Best of Modern Talking.“

      Danke für dieses Gespräch. Das war’s. Schade, Birte machte bis dahin auf Ben einen ganz vielversprechenden Eindruck. Aber diese Ansage entzieht ihm schlagartig die Basis weiterer Kommunikation. Alle Mädchen, die er bis dahin näher kannte, hatten einen exquisiten Musikgeschmack. Steffi war die härteste Punkrock-Expertin unter der Sonne, und Tine, seine Exfreundin, hatte er auf einem Konzert seiner eigenen Band, den SERVOKINGS, kennengelernt. Es gibt also durchaus Frauen mit passablem Musikgeschmack auf der Welt, denkt er bei sich und murmelt in Birtes Richtung: „Ich kümmer mich jetzt mal um bessere Musik“.

      Er läßt sie ratlos zurück und geht ins Wohnzimmer, wo er eine Zeitlang das Treiben auf der durch weggerückte Stühle entstandenen Tanzfläche beobachtet. Eine bunte Mischung verschiedener Spezies bewegt sich auf Socken zu Dr. Motte, denn man war angehalten, sich im Flur die Schuhe auszuziehen. Hemdsärmelige Normalos, die sich ärgern, daß es damals in der Tanzschule noch kein Techno gab, Kinder alleinerziehender Mütter, Kölschrocker und vereinzelt alternativ gewandete Ausdruckstänzer (kaum zu glauben, es gibt sie immer noch!). Ben lehnt im Türrahmen und sieht sich nach dem DJ, respektive den Plattentellern um. Fehlanzeige. Quelle der geschmacklosen Musik ist ein stark nach BWL-Student aussehender junger Mann, der feist auf einem Ledersessel sitzt und mit einem Laptop auf dem Schoß gnadenlos die Top 40 der letzten Jahre raufund runternudelt.

      Stilloser kann die Welt nicht untergehen, läßt es Ben erschaudern, und er verläßt, einem plötzlichen Impuls folgend, die Party. Im Hausflur sucht er den Sicherungskasten. Mit Umlegen eines einzigen Schalters gehen alle Lichter aus, und das morbide Treiben findet ein jähes Ende. Die gräßliche Musik verstummt, und man hört teils heiter überraschte, teils panische Schreie aus der stockfinsteren Wohnung. Ben muß unwillkürlich an die letzten Minuten der Titanic denken. Irgendwie ist er ein bißchen stolz auf sich und nimmt sich für das anbrechende Jahr nur eines vor:

      In Sachen Musik wird er in Zukunft keine Kompromisse mehr machen!

      (Ich frage mich): „Wann endlich wirst du eine Idee haben,

      die auch anderen Menschen einleuchtet?“

      aus Wilhelm Genazino: Ein Regenschirm für diesen Tag

      Dieser Winter ist definitiv eine Krankheit. Es ist einfach nicht kalt genug.

      OK, daß weiße Weihnacht ein Märchen ist, das man nur noch aus Kinderbüchern kennt, daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Aber so ein pißwarmes Neujahr wie dieses Mal geht einfach nicht. Man ist versucht zu glauben, daß an den pessimistischen Prognosen paranoider Wetterfrösche tatsächlich etwas dran sei. Und wenn es dann doch mal schneit, verwandelt sich Köln binnen einer Viertelstunde in eine apokalyptische Wüste aus braunem Schneematsch.

      Heute morgen ist weit und breit kein Schnee in Sicht, trotzdem friert sich Ben kaputt. In seinem Loft zieht es wie Hechtsuppe, und seine Ex hatte mal wieder recht, als sie sagte: „Im Winter ist hier, genau hier der kälteste Punkt südlich des Nordpols!“ wobei sie mit ihrem Finger auf den grauen Industrieboden seiner Wohnung zeigte. In eine dicke Strickjacke gehüllt, hat Ben gerade auf seinem Sofa seine Lieblingshaltung eingenommen: mit angewinkelten Beinen, auf dem Rücken liegend, quer zur Fahrtrichtung, hört er seine Lieblingsplatte (Joni Mitchell: Hejira) und denkt an den vergangenen Abend. Die Party war eigentlich nicht verkehrt, aber die Musik ging gar nicht. So etwas kann man nicht ungestraft lassen. Ich hatte einfach keine andere Wahl, denkt Ben, ich habe nun mal Ideale. Für ihn war es immer schon das Wichtigste, mit seiner Musik ein Statement abzugeben, der Welt seine Sicht der Dinge zu präsentieren, sie womöglich zu verbessern. Aber mal ehrlich, fragt er sich: Will die Welt meine Sicht der Dinge überhaupt hören? Gab es nicht unzählige Konzerte der SERVOKINGS, wo wir nur um die zwanzig zahlende Zuschauer hatten?

      Und wenn schon, gibt er sich selbst die Antwort, immerhin habe ich mit diesen zwanzig Menschen etwas geteilt, als ich ihnen meine Songs vortrug.

      Sein Gespräch mit Birte kommt ihm in den Sinn. Wollte sie seine Ansicht über Musik überhaupt hören? Wahrscheinlich ist anderen Menschen Musik einfach nicht so wichtig wie mir, resümiert er. Das war gestern sicher eine Art Übersprungshandlung. Ich habe keine Band, kein Sprachrohr mehr, und jetzt fange ich an, andere Menschen zu missionieren. Es wird Zeit, daß ich mich um etwas Neues kümmere.

      Ben fragt sich, warum die drei SERVOS letztes Jahr nach immerhin sieben gemeinsamen Jahren getrennte Wege gegangen sind. Obwohl sehr unterschiedlich, waren sie stets ein super Team. Matze, der Gitarrist, war Schreiner, bevor er anfing,


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