Unverarschbar. Martell Beigang

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Unverarschbar - Martell Beigang


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an das potentielle Publikum, an „Norman, den Normalverbraucher“, was an sich nicht verkehrt ist, aber in der Band immer zu endlosen Diskussionen über das Thema Kommerzialität führte. Das ist das Schlimme und Schreckliche an echten Bands: Sie sind die letzte Bastion wahrer Demokratie und dadurch hoffnungslos anachronistisch. Greg und Ben nannten Matze, wenn er nicht dabei war, immer zärtlich „das Äffchen“, denn seine Arme sind ein Stückchen zu lang, und er hat einen etwas zu großen, kahlgeschorenen Kopf. Außerdem kann er herrlich cholerisch ausrasten, wenn mal etwas nicht in seinem Sinne läuft. Immer schon diffizil war das Thema Style. Matze und Ben haben da ein komplett konträres Empfinden. Matze ist es einfach völlig egal, was er anhat. Einmal hat er es eiskalt fertiggebracht, einen orangefarbigen No-Name-Jeans-Short zu einem gelben T-Shirt anzuziehen. Und das auf der Bühne. Als Ben versucht hat, vorsichtig etwas dazu zu sagen, hat Matze ihn direkt als „Geschmacks-Nazi“ beschimpft. Solche Situationen wären mit Sicherheit öfter eskaliert, wenn Greg nicht dabeigewesen wäre. Der strohblonde Schlagzeuger war das Wasser zwischen den Brennstäben, das moderierende Element. Seine ruhige Art wirkte oftmals Wunder auf die beiden Kindsköpfe. Seit der Auflösung der Band ist er Bens bester Freund. Wenn es nach ihm ginge, hätten die SERVOKINGS bis in alle Ewigkeit weitergemacht. Er liebte es, auf Tour zu gehen, und bei ihren gemeinsamen Fahrten in Bens VW-Bus waren seine gute Laune und positive Energie unbezahlbar. Seine Freude darüber, wenn es wieder losging, war ansteckend. Vor zwei Jahren blickte die Band plötzlich durch Matzes Augen dem wahren Leben mitten ins Gesicht: Matze heiratete seine Freundin Maria, und sie bekamen postwendend ein Kind. Plötzlich reichte es nicht mehr, ausschließlich bei den SERVOKINGS zu spielen. So ein Kind will auch ernährt werden. Statt neuer Songs mußte Matze erstmal lernen, seinen kleinen Hosenscheißer zu wickeln. Außerdem brauchte er plötzlich deutlich mehr Kohle. Zum Beispiel für Babynahrung aus dem Bioladen, die man ja bekanntermaßen nicht gerade geschenkt bekommt. Ben fand, Matze sei irgendwie „echt geschäftsmäßig“ draufgekommen. Kurz und gut, nach zwei veröffentlichten CDs und ein paar hundert Konzerten war die Luft einfach raus. Die Band lag platt am Boden wie eine geplatzte Pausenbrottüte.

      Heinz lenkt seinen günstig geleasten 911er über die seltsam leere A1. Irgendwie wirkt er darin wie ein Fremdkörper, als sei er von Aliens in einem Raumschiff entführt worden. So ein nagelneuer, nachtschwarzer Porsche Targa ist einfach eine Nummer zu groß für ihn, was sich keineswegs auf sein Körpervolumen bezieht, denn Heinz’ fetter Arsch läßt sich nur unter Schmerzen in den sportlichen Schalensitz klemmen. So ne Rakete kann einfach nicht jeder fahren, jedenfalls keiner, der nicht ordentlich mit der Schaltung umgehen kann. Vor einer Baustelle schaltet Heinz viel zu früh runter in den dritten Gang, so daß der Motor ungesund aufheult, was selbst die brüllend laute Musik aus dem Radio übertönt. Eine norddeutsche Countryband besingt gerade das Leben in der Prärie, die man neben dem Seitenstreifen der Autobahn vergeblich sucht. Ja, Heinz und sein ewiges Zufrühkommen. Selbst seine eigene Geburt konnte er nicht abwarten und kam zu früh. Als er gerade in den verengten Fahrstreifen der Baustelle einfährt, wird er von einem Renault Twingo rechts überholt. Er schaut rüber und sieht einen platinblonden Zahn am Steuer. „S-C-H-L-A-M-P-E“, schreit er mit sich überschlagender Stimme, bis sein Gesicht die Farbe eines Produktes einer Firma angenommen hat, die denselben Namen trägt wie er. Mensch Heinz, sollte er sich endlich einmal eingestehen, so eine Frau ist mindestens zwei Nummern zu groß für dich. Aus den Dr. Boom Aktivboxen dringt weiterhin süße Countrymusik. Die Cowboys von der Waterkant heben gerade an zum Refrain, irgend etwas mit Love is everywhere ...

      So geht es einfach nicht mehr weiter. Ich werde mich in der nächsten Zeit mal gezielt nach einem neuen Gitarristen umsehen, beschließt Ben. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?

      Ein Blick in die Stadtrevue kann nicht schaden. Was wird denn heute gegeben? Oh no, der ewige Wolf Maahn im Primeclub. Der ist nicht kaputtzukriegen. Der hätte nach Rosen im Asphalt einfach aufhören sollen, denkt Ben. Damals war er, allein wegen der Tatsache, daß er auf Deutsch sang, ganz weit vorne. Tja damals, vor zwanzig Jahren. Aber danach? Schwamm drüber. Ben sucht ja eh nach neuen, unverbrauchten Talenten. Die findet er vielleicht eher im Underground – Kölns Gitarrenrock-Bude. Da spielen heute die Silverfucker: Emocore aus Spanien. Nicht schlecht, geiles Photo. Wie haben die das wohl hingekriegt? fragt sich Ben. Das Trio schwebt schwerelos mit seinen Instrumenten in der Luft. Unter ihnen eine gigantische Müllkippe aus Elektronikschrott. Ach nee, das ist auch kontraproduktiv, denn angenommen, Ben sieht dort heute abend seinen Mann an der Gitarre, ist dieser am nächsten Tag schon wieder über alle Berge. Die Live Music Hall kommt auch nicht wirklich in Frage. Bands, die dort spielen, sind einfach schon zu fett.

      Was ist das? Get her spielen im Naturfreundehaus Kalk. Ben wundert sich: Kann man da spielen? Sofort geht in seinem Kopf die Datenbank fürs Booking auf. Das ist ein Reflex, denn jahrelang hat er die Konzerte für die SERVOKINGS selbst gebucht, und ein neuer Spielort in Köln will sofort abgespeichert werden. Aber der Computer fährt sofort wieder runter, als er liest: „... spielen Acoustic Blues.“

      Das ist nichts für Ben. Immer dieselben verdammten zwölf Takte. Langweilig. Aber irgend etwas Interessantes muß es doch heute abend geben. Guck, das klingt doch super: Um 21 Uhr spielen die Crazy Lolitas im MTC. Der Autor der Ankündigung kriegt sich gar nicht mehr ein und spricht von Kölns neuer Indie-Hoffnung: „Hamburger Schule trifft auf Industrial.“ Warum eigentlich nicht? denkt Ben, schlägt das Heft zu und geht duschen.

      Das MTC ist ein ranziger Kellerladen mitten im Kwartier Latäng, dem Studentenviertel Kölns. Ben fährt mit der U-Bahn zum Zülpicher Platz und legt erstmal einen Zwischenstop beim Eurogrill 2000 ein. Hier gibt es die besten Pommes der Stadt, und vor allem nimmt man sich hier noch die Zeit, die Dinger richtig durchzubraten. Ben bestellt wie immer „einmal Spezial bitte“, den Klassiker vom Eurogrill: Pommes rotweiß mit rohen Zwiebeln obendrauf. Ab und zu braucht er das zum Glücklichsein. Sein Kumpel Tom kann gar nicht mehr ohne. Er ist pommesabhängig, und sein Körper schreit mindestens einmal am Tag nach einer adäquaten Dosis Hüftgold. Erstaunlicherweise ist Tom keineswegs dick, ganz im Gegenteil. Vielleicht ist er ja gleich auch im MTC, denkt Ben und stellt sich mit seinen Fritten an einen der leeren Tische. Die klebrige Tischdecke flüstert: Besser nicht aufstützen!

      Ben ist guter Dinge und ventiliert in einem Anflug von Anfang-des-Jahres-Euphorie seine Absicht, heute abend den Gitarristen seiner neuen, noch zu gründenden Band zu finden. Zunächst versucht er sich darüber klarzuwerden, wonach er eigentlich Ausschau hält. Schließlich ist das gemeinsame Spielen in einer Band so etwas ähnliches, wie verheiratet zu sein. Dementsprechend muß der Kandidat extrem hohen Anforderungen genügen. Vor Bens Augen entsteht eine Checkliste. Unter der Überschrift „Der ideale Gitarrist muß ...“ stehen fett gedruckt folgende Punkte:

      1. cool aussehen

      2. super spielen können

      3. abrocken wie eine Drecksau und ganz wichtig

      4. die Gitarre auf Sackhöhe hängen haben und natürlich

      5. dabei auch noch tierisch nett sein.

      Zwei dieser Anforderungen, nämlich 2. und 4., widersprechen sich diametral: Wenn man nämlich alles spielen kann, hat man irgendwann mal in seinem Leben richtig geübt. Und wenn man übt, fällt einem auf, daß es viel schwieriger ist, Gitarre zu spielen, wenn sie einem auf den Knien hängt. Und genau in diesem Dilemma befindet sich Ben, seit er Musik macht. Schon immer fragt er sich: Wie kann es sein, daß es nur zwei Arten von Musikern zu geben scheint: Die, die üben und zu musikalischen Klugscheißern werden, oder diejenigen, die ihr Instrument nicht einmal richtig stimmen können, aber coolen Sound machen? Gibt es – verdammt noch mal – nicht irgend etwas dazwischen? Ben unternimmt an diesem Abend den Versuch der Quadratur des Kreises. Er sucht einen insgeheim versierten, potentiellen Indie-Rockstar, mit dem er seine musikalische Vision teilen kann. Entschlossen wischt er sich den Ketchup aus den Mundwinkeln und läuft die Zülpicher runter. Am Eingang des MTC macht er etwas, was er schon lange nicht mehr bei einem Konzert gemacht hat. Normalerweise wird er alle naselang eingeladen und auf die Gästeliste geschrieben. Von der Band, die spielt oder von ihrem Manager, ihrem Busfahrer, ihrem Lichttechniker oder Mischer. Oder von der Plattenfirma, die ein bestimmtes Kontingent an Karten kaufen muß, damit ihre Band in einem


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