Münster - Was nicht im Stadtführer steht. Carsten Krystofiak
Читать онлайн книгу.floh ...« Münsters Gauleiter Meyer entkam zunächst in den Teutoburger Wald. Dort irrte er tagelang herum. Er wanderte bis ins Weserbergland. Aber sein Durchhaltewille war gebrochen. Er erschoss sich Anfang Mai im Wald.
Zur gleichen Zeit bekommt der brave Horstmöller seinen ersten Auftrag als Bürgermeister: Der britische Officer sagt: »Ich habe viel von Deutschland gesehen, kaputte Städte, Trümmer, Elend. Nur – keinen Nazi. Ich will wissen, wie die aussehen. Bring me one.« Tja – da muss Horstmöller passen: »Sorry Sir, aber Nazis haben wir hier nie gehabt ...«
(Erschienen 2005)
Anmerkung:
Die Naziführung traute den Münsterländern nicht: Wegen ihres Katholizismus hielt Goebbels die Westfalen politisch für unzuverlässig; Hitler schimpfte über Münster als »Pfaffenstadt« und wartete sehnsüchtig darauf, mit diesem »Typen Galen« nach dem Krieg »bis aufs i-Tüpfelchen« abrechnen zu können. Umso beflissener versuchte Münsters Gauleiter Meyer einen guten Eindruck zu machen. Als Stellvertreter des Ministers für den gesamten besetzten Osten, Chefideologe Rosenberg, war Meyer ein hohes Tier im Nazireich. Die zusammengesetzten Schilderungen stammen aus einem antiquarischen Buch des ehemaligen WN-Karikaturisten Helmut Müller.
Die Preußen-Hasser.
Katholen, Revoluzzer & die »Ems- republik«: Wie Münster sich vor 90 Jahren fast zum Freistaat erklärt hätte ...
Interessiert hat Deutschland in den letzten Wochen die Politik in Bayern verfolgt – gespannt, aber auch mit einer gewissen Distanz. Bayern gehört zwar irgendwie zur Bundesrepublik dazu, aber in der Wahrnehmung sind »die da unten in Bayern« doch ein anderer Staat, so ähnlich wie das gefühlte Verhältnis der Wessis zur früheren DDR. Die Bayern sehen das aus ihrer Perspektive genauso: Sie verschanzen ihre Folklore hinter dem »Weißwurscht-Äquator« und granteln, wenn sich die Berliner Regierung und andere Preußen in die Angelegenheiten ihres souveränen Freistaates einmischen. In dieser künstlichen Schutzsphäre hegen die Bayern ihre katholisch-konservative Kultur, die in dieser Laborsituation prächtig gedeiht. Kein Wunder, dass auch in anderen Regionen konservative Katholiken neidisch auf das Freitstaatmodell schauen. So dachte auch die schwarzchristliche Zentrumspartei im Münsterland und plante darum die Gründung eines eigenen Staates – die »Emsrepublik«! Aber der Reihe nach ...
Lange ist es her, da gehörte Westfalen zu Preußen. Das konnte nicht gutgehen: Hier die gemütlichen stockkatholischen Münsterländer (so schwarz, dass beim Niesen Ruß rauskommt, sagte man) – dort die preußischen liberalen Protestanten. Dauerknatsch verursachte vor allem die Frage, wer in der Schulerziehung das Sagen hat: Die Kirche (wie der Bischof meinte) oder der Staat (worauf Berlin pochte)? Der preußische Kanzler Bismarck ließ es auf eine Kraftprobe mit Westfalens Katholiken ankommen, die in Steinwürfen frommer Kirchenbesucher auf preußische Polizisten eskalierte. Letzten Endes gewann Münsters Bischof. Seit diesem Kapitel vom »Kulturkampf« blieb das Verhältnis zwischen Kirchenvolk und Reichsregierung dauerhaft gereizt.
Nach dem Ersten Weltkrieg flammte dieser Streit wieder auf. Auslöser war die Übernahme der deutschen Regierung durch die linken Sozialdemokraten. Diese zogen, kaum im Amt, auch schon ein Bündel liberaler Reformen aus der Schublade, die vor allem die Gleichberechtigung der Frauen sowie die Schulpolitik betrafen. Und dann zogen auch noch kommunistische Revolutionsräte durch Berlins Straßen! Den westfälischen Klerikern begannen die Soutanen zu flattern: Schlimm genug, dass die Berliner Regierung aus Protestanten bestand – nun kamen sie auch noch mit roten Revoluzzer-Ideen an! Für die Münsteraner Papsttreuen doppelt ketzerisch!
Doch der Herrgott schien einen Ausweg zu weisen! In Köln hatten sich katholische Regionalpatrioten öffentlich dafür ausgesprochen, das Rheinland aus Deutschland auszugliedern und zu einer eigenständigen Republik zu erheben. Die Nachricht schlug in Münster – und vor allem im Dom – wie eine Bombe ein! Der »Münstersche Anzeiger« brachte das Thema am 25. November 1918 unter der Überschrift »Los von Berlin!« auf der Titelseite und rief die Leser auf, sich »Anarchie und kommunistische Experimente der Diktatur Berlins nicht länger gefallen (zu) lassen!« Weiter argumentierte der Artikel, die Münsterländer gehörten seit jeher zum selben Volksstamm wie die Rheinländer, während sie mit den eher slawischen Berlinern kaum verwandt seien. Darum wäre es nur natürlich, wenn sich einem rheinischen Freistaat auch die Westfalen anschließen dürften. Der Ruf war unüberhörbar: Nehmt uns mit!
Doch die Kölner kamen nicht zu Potte: Ein gewisser Konrad Adenauer bremste die rheinische Begeisterung durch skeptische Kritik (und nahm damit seinen dreißig Jahre späteren Kanzlerslogan »Keine Experimente« vorweg). Die Münsterländer suchten also neue Gründungspartner: Ein Leserbriefschreiber schlug vor, sich stattdessen mit Hannover und Minden zu einem neuen Staat Niedersachsen zu verbinden (Begründung: Die Ruhrindustrie erdrücke die Landwirtschaft und im Übrigen seien die Rheinländer eigentlich ethnisch fremde Franken ...). Der »Münstersche Anzeiger« brachte eine weitere Option ins Spiel: »Sollen Bürger, Bauern und Kirche in Münster, Coesfeld, Warendorf, Ahaus und Meppen weiter unter dem Berliner Terror dastehen? Sollten wir uns nicht darauf besinnen, dass das Land zu beiden Seiten der Ems einmal eine blühende Geschichte hatte? Sollten wir uns nicht dem ostelbischen Großstadtpöbel entziehen und unsere Bestimmung selbst in die Hand nehmen? Sollte nicht in Münster und nördlich längs der holländischen Grenze eine Emsrepublik entstehen?« Das »befreundete Holland«, so visionierte der Redakteur weiter, sollte »dieser Gründung seinen Schutz leihen«.
Westfälische Mentalität braucht einen eigenen Staat! So hätte er ausgesehen – mit Münster als Hauptstadt. Wer braucht da noch einen Livcom Award?
Die Idee wurde begeistert gefeiert und als Slogan das Motto »Unterm Krummstab ist gut wohnen!« präsentiert. Zentrumspartei und DNVP gründeten in Münster ein gemeinsames »Aktionskomitee«. Auf den Sitzungen wurde den Separationsbestrebungen an Rhein und Ems »lebhaftes Interesse entgegengebracht« und diskutiert, wie man den Holländern das Projekt als »westdeutschen Pufferstaat« schmackhaft machen könne. Ein paar kleinliche Spießer meldeten zwar Bedenken an, ob die Region zwischen Münster und Oldenburg denn für einen Staat groß genug sei und wohl wirtschaftlich bestehen könne, doch die in große Fahrt gekommenen Fans der Münster-Nation veröffentlichten schon mal eine Resolution mit einer unverhohlenen Drohung in Richtung Berlin: »Sollte die Regierung nicht in kürzester Zeit die Herbeiführung geordneter Zustände erwirken, wird die Volksbewegung zur Gründung einer westlichen Republik als deutschem Bundesstaat führen!«
Ein praktisches Kriterium der Eingemeindung hatte man auch schon gefunden: »Die niederdeutsche Sprache« sollte »das gemeinsame Band« der neuen Emsländer sein. Die Amtssprache wäre somit Plattdeutsch gewesen. Vielleicht hätte es zweisprachige Verkehrsschilder gegeben: Mönster/Münster. Der Bischof wäre als Kirchenoberhaupt seines eigenen Ministaates sogar zum Westfalen-Papst aufgestiegen!
Doch dieser Traum zerplatzte jäh schon wenige Tage später: Am 12. Dezember 1919 bekamen die Zentrumspolitiker auf einer Sitzung in Hamm plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Dazu trug der Dortmunder Verleger Lambert Lensing (!) bei, der eine Ablehnung der westfälischen Industrie signalisierte. Als den Delegierten zudem klar wurde, dass eine Ablehnung der Staatsgründung durch die Berliner Nationalversammlung ein Spiel mit dem Bürgerkrieg bedeutete, wurde das abenteuerliche Unternehmen kurzerhand auf unbestimmte Zeit vertagt – und schnell von der Geschichte vergessen.
Ist auch besser. Eine Weiterverfolgung hätte womöglich zu einem endlosen Separatisten-Terror nach Art der IRA oder ETA geführt. Stellt Euch das mal vor: »... Und hier die Nachrichten aus dem Münsterland: Bei einem Bombenanschlag in Ostbevern explodierte heute früh ein Trecker. Zu dem Attentat bekannte sich ein »Kommando Schwester Euthymia« der katholischen Untergrundbewegung Freies Emsland ...« Na, da haben wir aber nochmal Glück gehabt!
(Erschienen 2008)
Anmerkung:
Auf diese bizarre Story stieß ich zufällig durch wenige magere Zeilen in einem Münster-Buch. Seltsamerweise fand ich nirgends eine ausführliche Schilderung,