German Cop. Dieter Jandt
Читать онлайн книгу.du ein bisschen schüchtern bist«, antwortete Johann, der ihn eingeholt hatte. »Lass mal die 1000 Baht rüberwachsen. Das ist ja schließlich dein Freund. Eigentlich haben die Frauen das nicht so gern, mit Polizisten, weil die sich das ab und zu umsonst holen. Als potentielle Beschützer. Gibt ja immer wieder Farang, die ausrasten. Mann, ich glaube, du hast mir ein bisschen was zu erzählen. Diese Nok und der Bulle da und du, was ist mit euch? Sollen wir noch ein Bier?«
7.
Wagner versuchte ein Nickerchen. Das Schaukeln des Busses hatte ihn müde gemacht, aber zu mehr als dösen reichte es nicht. Die gewagten Überholmanöver des Fahrers ließen keinen Schlaf zu. Der Mann machte vor allem in den Kurven vom Recht des Stärkeren gegenüber den vielen Pickups Gebrauch. Am liebsten wäre Wagner mit dem Zug gefahren, das schien ihm sicherer, aber es gab keine Eisenbahnlinie in den hohen Norden. Also keine entspannte Nachtreise, zumal wieder eine kitschig-bunte Show aus einem Monitor über den Fahrgästen lärmte.
Neben Wagner hatte Johann es sich auf dem weichen, mit Velours bezogenen Sitz gemütlich gemacht. Es war ein so genannter VIP-Bus für etwas mehr als 1000 Baht. Das war immerhin eine Reise über fast 900 Kilometer. Johann hatte das linke Bein in den Gang zwischen den Sitzreihen ausgestreckt und blätterte in einer älteren Ausgabe der Bangkok Post, die in der Wartehalle des Busbahnhofes Mo Chit auf einem der Plastikstühle gelegen hatte. Wagner musste gelegentlich den Kopf ein wenig zur Seite nehmen, wenn Johann eine neue Seite aufschlug. Er war aber froh, dessen Mitteilungsdrang für eine Weile nicht ausgeliefert zu sein.
Johann war Frührentner, nachdem er sich als Postbote jahrzehntelang die Hacken krumm gelaufen hatte, und verbrachte seitdem die Monate zwischen September und März in Bangkok. Dort hatte er sich ein kleines Appartment zugelegt. Das Haus, das er seinerzeit in Nong Khai, einer Stadt im Nordosten des Landes, mit seiner Frau gebaut hatte, konnte er seit der Trennung abhaken. Das Grundstück war auf sie ausgeschrieben. Für Farang war es nicht möglich, in Thailand Land zu erwerben. Und egal, ob da nun eine Hütte oder ein großes Haus stand, Eigentümer war derjenige, dem das Grundstück gehörte, außer man hatte notariell eine Regelung gefunden, nach der explizit dem Farang das Haus gehörte. Johann hatte da anscheinend seinerzeit etwas fahrlässig gehandelt, womit er nicht der Einzige war. Es gab vermutlich Zigtausende von Farang, die ihre Lebensträume in irgendeinen Winkel des Landes versetzt hatten, um sich später in einer engen, überteuerten Wohnung wiederzufinden, wenn sie nicht ohnehin von Thailand die Nase voll hatten. Mit lauter solchen Geschichten hatte Johann gestern Abend auf Wagner eingeredet, der sich immer wieder genötigt sah, den Satz »Ja, aber die Nok, die ist nicht so« einzuflechten, nachdem er zuvor Johann über seine Absichten in Thailand aufgeklärt hatte, im Groben zumindest. Dennoch: Irgendwie wurde Wagner allmählich klar, dass Johann der Richtige war, Klischees abzuräumen, in diesem Land des Lächelns, den tiefgläubigen Menschen und ihrer bedauernswerten Lage in der Dritten Welt, wie es nicht zuletzt auch der Reiseführer vermittelte. Gleichzeitig spürte Wagner, dass es verdammt noch mal nicht leicht sein würde, andauernd dieser Versuchung weiblicher Reize zu widerstehen. Er beschloss, es dennoch zu tun. Er tat es für Nok.
»Scheiße!«, entfuhr es Johann, als der Bus geschmeidig eine Rechtskurve nahm. »Sag mal, bist du bekloppt? Das bist du doch«, schnauzte er und tippte mit dem Zeigefinger auf ein Foto der Seite vier. »Was hast du mir denn da für einen Mist erzählt? Nette Bekannte, mit der du ein paar kleinere Missverständnisse aus dem Weg räumen willst. Geht’s noch? Überredet mich mitzukommen, damit ich ihm mit meiner Erfahrung erst mal weiterhelfe. Du kannst froh sein, dass es gerade dunkel wird und niemand deine komische Visage erkennt.«
»Du wolltest doch unbedingt mit! Weil du nichts Besseres zu tun hast. Weil du schon länger nicht mehr da warst in – wie heißt der Ort?«
»Mae Sai!« Johann schrie fast, nicht nur, weil der Fernseher immer noch lärmte. »Weißt du überhaupt, dass es hinter Chiang Rai morgen früh mindestens zwei Kontrollen der Armee und der Polizei geben wird? Meine Fresse, hast du ein Gemüt! Ist in einen Mord und was nicht alles verwickelt und lässt sich hier im Land herumkutschieren. Und ich? Eh, ich steig aus. In Ayutthaya ist für mich Ende. Halbe Stunde noch.«
Johann nahm sein Bein aus dem Gang, setzte sich aufrecht und drückte energisch mit den Knien gegen den Vordersitz. Wagner versuchte zu deeskalieren. »Nun mach doch mal langsam. Und schrei nicht so. Tu vor allen Dingen die Zeitung weg. Wenn das einer sieht! Ich erkläre dir ja alles.«
»Ja, so wie gestern, was? Deine Nok, die nicht so ist wie alle anderen! Meine Frau hat immerhin niemanden erschossen! Ist doch auch was, oder?«
Johann knüllte die Bangkok Post zusammen und stopfte sie in das kleine Gepäcknetz vor ihm. Eine Viertelstunde später war er immerhin so weit beruhigt, dass er nicht in Ayutthaya, der ehemaligen Königsstadt hundert Kilometer nördlich von Bankgok, aussteigen wollte. »Aber bevor wir morgen früh an die Kontrollposten kommen, setze ich mich woanders hin. Und wenn die uns doch irgendwie miteinander in Verbindung bringen, weil die Fahrgäste petzen oder was weiß ich, dann sagst du gefälligst, wir hätten uns hier im Bus kennengelernt, alles klar?«
»Mach dir keine Sorgen, Johann. Nok hat mir erzählt, dass für Thailänder alle Farang zunächst mal gleich aussehen und –«
»So ein Quatsch! Und dein Name? Im Reisepass?«
»Ist doch ein anderer als im Dienstausweis. Die haben doch nur den Namen aus dem Dienstausweis. Und den habe ich ja auch geändert.«
»Wie geändert?« Johann rutschte unruhig in seinem Sitz hin und her.
»Ja nun, ich lasse doch nicht meinen Spezi vom BKA unnötig auflaufen. Dass der da womöglich mit reingezogen wird. Verliert er doch seinen Job. Also da ein bisschen am Namen rumdoktern, ist nun wirklich kein Problem.«
»Na Mann! Aber in Mae Sai lässt du mich in Ruhe! Du bringst es fertig und gehst zur Polizei, um die genaue Adresse von Noks Eltern rauszukriegen. Wenn ich du wäre, würde ich in Mae Sai über die grüne Grenze verduften, dann wärst du schon mal in Burma.«
»Burma? Warst du da auch schon mal?«
»Ja. Aber nicht mir dir, Jens.« Johann wandte sein Gesicht zur anderen Seite und lehnte den Kopf ans Nackenpolster. Schlaf würde jetzt gut tun.
8.
Die Krathongs mit ihren Kerzen schaukelten wie kleine, runde Boote übers Wasser und trieben flussabwärts. Immer wieder kamen neue Krathongs um die Flussbiegung herum. Nur das unablässige Schrillen der Zikaden und die Rufe der Frösche hallten in die Nacht.
Es war Loy Krathong, das Lichterfest, und Nok schaute nervös zu, wie die Kerzen in den kleinen Booten aus Styropor flackerten und Räucherstäbchen Funken sprühten. Sie stand untätig herum, und sah zu, wie der junge Akha zwei Rucksäcke, die neben einem Motorrad standen, vom Boden aufnahm, sie schulterte und die Böschung hinabstieg, um sie in ein schmales Ruderboot zu legen, das am Ufer im seichten Wasser dümpelte.
»Du bist wahnsinnig«, maulte sie zu ihrem Bruder hin, der auf der Böschung auf und ab ging und die Uferstraße entlangschaute. »Ausgerechnet jetzt, bei all diesen Lichtern. Hattest du nicht etwas von Schleichwegen gesagt?«
»Gerade jetzt«, rief Ton herüber. »Da feiern die Grenzer, auf beiden Seiten. Nur einer nicht«, fügte er lachend hinzu.
»Du hast dein Versprechen gebrochen. Das war das letzte Mal, dass ich …« Nok verstummte. Von der nahen Grenze her kamen zwei Scheinwerfer schnell näher, und Nok erkannte bald, dass es ein Armeefahrzeug war, das auf sie zusteuerte.
»Bleib ruhig, Nok. Ich weiß, was ich tue.« Ton blieb gelassen stehen.
Auch der Akha schaute nur kurz auf und warf die Rucksäcke ins Boot. Er war ein stämmiger junger Mann mit großen, hellen Augen. Er lachte, als er Noks Aufregung bemerkte, und zeigte seine starken Zähne, die weiß im Dunkel leuchteten. Nok sprang über die Ufersteine an ihm vorbei ins Boot. Wenn das hier schiefgehen sollte, würde sie sich das Ruder schnappen und versuchen, schnell zum anderen Ufer zu gelangen. Oder lieber durchs Wasser waten? Das waren ja nur zehn, zwölf Meter bis an die thailändische Seite. Nok blieb unschlüssig im leicht schaukelnden Boot stehen. Sie suchte Balance zu halten