Schrebergarten Blues. Jost Baum

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Schrebergarten Blues - Jost Baum


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Kurbelwellen zum Schrottplatz karrte. Dennoch erschien es Eddie, als habe ihm der Mechaniker seine liebste Freundin zum Geschenk gemacht.

      Jablonski entschloß sich deshalb, den Kuhhandel mit einem ordentlichen Schluck Bier und einem doppelten Cognac zu begießen. Zu diesem Zweck steuerte er das Treibhaus an, ein Schicki-Micki- Lokal im Jugendstil, das sich die Bochumer Journaille neuerdings als Treffpunkt auserkoren hatte. Eddie parkte den Benz neben einem knallroten Ford Camarro, auf dessen Motorhaube ein überdimensionaler weißer Playboyhase mit gewaltigen Schlappohren prangte. Die Chromfelgen mit den hyperbreiten Reifen blitzten im Sonnenlicht und ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Besitzer Dauerkunde in einem dieser Geschäfte für potenzsteigerndes Autozubehör war, die sich gewöhnlich neben einem Bodyshop für Supermänner breitmachten.

      Der Kerl, der gerade dem Sportflitzer entstieg, trug einen weißen Leinenanzug und weiche italienische Sportslipper. Die obersten Knöpfe seines fliederfarbenen Seidenhemds waren geöffnet und gaben den Blick auf ein schmales Goldkettchen frei. Der Mann nahm die schwarze Ray-Ban- Sonnenbrille ab und ließ sie an dem Lederbändchen baumeln, das er sich um den Hals gehängt hatte. »Winkelmann, altes Trüffelschwein!« begrüßte ihn Eddie, der ebenfalls ausgestiegen war und nun neben dem Camarro stand. »Gehört der etwa der Bank?« grinste Eddie, während er einen Blick in das Cockpit des Flitzers warf und belustigt die Augenbrauen hob.

      »Hey Eddie, der Dichter fürs Lokale, kein Hemd in der Hose, aber La Paloma pfeifen!« erwiderte Winkelmann etwas aufgebracht mit einem abschätzigen Blick auf den Benz. »Nachtanken?« fügte er hinzu.

      »Und du?«

      »Mal sehen«, schloß Winkelmann die Begrüßungsrunde. Sie setzten sich an den runden Tisch unter dem bunten Glasfenster, der immer für sie reserviert war, kramten nach ihren Zigaretten, ließen die Feuerzeuge wie Pistolen klicken und pafften einige Züge, bis Winkelmann das Duell wieder aufnahm.

      »Hast du diesen Mist verzapft?«

      »Welchen?«

      »Na hier!« Winkelmann deutete auf einen Artikel in einer Zeitung, die er aus der Seitentasche seines Sakkos gefischt hatte.

      »Laß mal sehen!«

      »Warte, ich les dir das mal eben vor: ›Bochumer Publizistikprofessor bricht Lanze für den kritischen Journalismus. Neue Medien, wie Lokalfunk und Kabelfernsehen müssen sich besonders den Sorgen und Nöten des Bürgers widmen …‹ Und hier: ›Gegen Hofberichterstattung zum Wohle der etablierten Parteien …‹ Jetzt kommt’s, Eddie: ›Studenten schreiben ihre Semesterarbeiten über heiße Themen aus der Region …‹ Wo sollen die denn herkommen? Da suchen doch schon Profis völlig vergebens«, schloß Winkelmann und biß die Zähne zusammen, so daß sich die Haut in seinem glattrasierten Gesicht fast zum Zerreißen spannte.

      Eddie schwieg. Er wartete, bis Luigi, der Wirt, einen doppelten Cognac und zwei Pils gebracht hatte. Er kippte den Weinbrand in einem Zug hinunter und widmete sich dann genüßlich seinem Bier, bevor er antwortete. »Wieso, heiße Themen gibt’s wie Sand am Meer, bloß die Finger will sich keiner verbrennen!«

      »Kritischer Journalismus, wenn ich das schon höre, da lachen ja die Hühner … Sex and Drugs and Rock ‘n’ Roll, daß ist es, was die Leute interessiert.«

      »Na ja, Titten gibt es doch reichlich auf Kanal 3 zu sehen!« sagte Eddie und gönnte sich einen großen Schluck Bier, von dem er leise rülpste.

      »Und wenn schon, dafür sind die Wortbeiträge auch nicht von Pappe!«

      »Meinst du etwa deine eigenen?«

      »Ach Quatsch … Klischees verkaufen sich eben gut, das weißt du selbst am besten! Jeder bekommt das, was er bestellt hat. Bezahlt wird später! Eddie, ist es nicht so? Du lebst doch auch vom großen Kuchen, gib’s doch zu. Aber nein, du spielst den großen Rührmichnichtan!« erregte sich Winkelmann, wobei seine Unterkiefer angriffslustig hervortraten.

      »Winkelmann, du nervst mich!« Eddie hob das Pilsglas und leerte es. »Ich hab noch einen Termin, also bis dann …«, verabschiedete er sich und verließ das Lokal. Erst auf der Straße fiel ihm ein, daß er nicht bezahlt hatte.

      Gerechtigkeit: Eigenschaft und Phantom der Deutschen.

      Goethe: Maximen und Reflexionen

       Zweites Kapitel

      KLEINGARTENANLAGE RUHRFRIEDEN E.V. war in das halbkreisförmige Holzbrett geschnitzt, das auf zwei Pfosten genagelt war, die rechts und links neben einem Treppenaufgang standen, so daß das Brett die Stufen wie ein Baldachin überspannte. Die Frühlingssonne hatte ihren Zenit erreicht. Eddie hatte das Jackett ausgezogen und über die Schultern gehängt. Ich hätte den Cognac und das Bier nicht auf nüchternen Magen trinken sollen, ärgerte er sich, als er mühsam die Stufen hinaufkeuchte. Schon nach wenigen Metern war ihm speiübel. Er hockte sich auf eine der Steinstufen und atmete kräftig durch. Der Geruch nach feuchter Erde und frisch geschnittenem Gras tat ihm gut. Langsam spürte er, wie das Gefühl von Übelkeit quälendem Hunger wich. Nach kurzem Zögern kramte er die Zigarettenpackung aus seiner Jackettasche, steckte sich eine Fluppe an und inhalierte mit tiefen Zügen. Er spuckte einen Tabakkrümel, der auf seinen Lippen klebte, zu Boden und betrachtete interessiert den badewannengroßen Teich, der mit einem Drahtzaun abgesichert war. Ein Gartenzwerg mit einer Schubkarre mühte sich ab, einen Hügel aus Kies zu erklimmen, während sein Kumpel, der neben ihm stand, fröhlich grinsend ein Pfeifchen schmauchte. Etwa zwei Fuß hinter den Jungs betrachtete ein zartes Rehlein das Ensemble. Typisch, dachte Eddie, einer rackert sich ab und zwei gucken zu. Fast wie im richtigen Leben. Er stand auf und kletterte schwitzend die Treppe hinauf. Je höher er stieg, umso dichter wurde die Wichtelmannpopulation. Gnome, die dicke Rechen in ihren unförmigen Händen hielten, Kerle, die wie Seeleute im hohen Bogen in irgendeinen Tümpel pinkelten, Zwerge, die säckeweise irgendwelchen Plunder auf ihren runden Rücken schleppten, oder Heinzelmännchen, die ihre Sicheln geschultert hatten, um nicht vorhandene Bergwiesen zu mähen. Jablonski fühlte sich von dieser Wichtelgarde regelrecht verfolgt. Er spürte, wie sie hinter seinem Rücken gackerten, kicherten und sich über ihn lustig machten, während er sich asthmatisch wie ein Tattergreis den Berg hinaufquälte. Er war heilfroh, als er endlich die Kuppel des Hügels erreicht und diese idiotische Bande schwindsüchtiger Wurzelseppel hinter sich gelassen hatte. Er kam an eine Kreuzung, deren Abzweigungen jeweils wieder bergab führten. Jablonski wählte den Rosenweg, wie man es ihm am Telefon erklärt hatte, und stapfte den mit Asche bestreuten rechts und links mit hohen Hecken umsäumten Pfad hinunter, bis er einige Meter hinter einer scharfen Biegung vor einem Gartentor stand. Das Tor war aus Stahlstreben zusammengeschweißt, die exakt parallel zueinander verliefen und in deren Mitte sich ein nachgebildeter kleiner Spaten mit einem Metallrechen kreuzte. Das Ganze wirkte auf Eddie wie die feierliche Monstranz einer längst untergegangenen Proletenkultur. Rechen und Spaten statt Hammer und Sichel, austauschbar und gestürzt wie die Marx- und Leninstatuen in der Ex-DDR. Ein kümmerlicher Hinweis auf die verblichene Größe einer inzwischen harmlos gewordenen Arbeiterbewegung, degenerierte Insignien einer einstmals gewaltigen Streitmacht, die, wenn sie den Hammer fallen ließ, jeden Fabrikbesitzer dazu veranlaßten, mit den Zähnen zu knirschen, dachte Eddie, als er das Tor aufstieß.

      Es waren höchstens zehn Schritte bis zu der Gartenlaube aus diesen rissigen, mit Teerfarbe gestrichenen Brettern, die für ein paar Mark in jedem Baumarkt zu kriegen waren. Der Schuppen stand zwischen einem frisch gejäteten Gemüsebeet und einer wie mit dem Lineal ausgemessenen rechtwinkligen Rasenfläche, auf der eine vergammelte Hollywoodschaukel still vor sich hinrostete. Rudi Vollmer, knorrig und kräftig wie ein Baumstamm, fuhr mit einer schnellen Handbewegung über sein verschwitztes, stoppelbärtiges Gesicht und die grauweißen, kurzgeschnittenen Haare, bevor er sich federnd wie ein Jüngling aus dem Gartenstuhl erhob, um Eddie die schwielige Pranke zu reichen.

      Jablonski mußte unwillkürlich lächeln, als er Rudi musterte. Der Rentner wirkte in seinen kurzen grünen Gummistiefeln, der verwaschenen Cordhose, die von breiten Hosenträgern gehalten wurde, und der ausgebeulten Strickjacke wie ein grau gewordener Schulbub auf dem Abenteuerspielplatz.

      »Ein Bier?« fragte Rudi, während sich Eddie auf der Schaukel niederließ.


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