Schrebergarten Blues. Jost Baum

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Schrebergarten Blues - Jost Baum


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verschwand wortlos in der Laube. Man hörte, wie eine Kühlschranktür zuschlug, das Scheppern eines Geschirrkastens und das Klappern von Tellern, die aufeinandergestapelt wurden. Bald darauf schleppte Rudi einen Campingtisch aus der Hütte und baute alles direkt vor Eddie auf. Auf dem Resopaltischchen türmten sich ein Sechserpack Bierdosen, eine Schüssel mit Kartoffelsalat und ein Frikadellenberg, so hoch wie der Mount Everest. Eddie schnappte sich ein Bier, riß die Blechlasche auf und ließ die Flüssigkeit in sich hineinplätschern. Dann widmete er sich den Frikadellen. Sie waren schwarz wie Eierkohlen und hart wie Bremsklötze. Ihm war das egal, er aß die Dinger mit wachsendem Vergnügen, nachdem er sie in eine ordentliche Portion Senf getunkt hatte.

      »Man müßte se alle umbringen«, begann der Rentner zwischen zwei Bissen und nahm einen kräftigen Schluck aus der Blechdose.

      »Spinnst du, Rudi? Gib mir lieber noch einen von deinem Aufgesetzten«, entgegnete Jablonski. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und kramte nach einer neuen Zigarette.

      »Nee wirklich, alle in einen Sack gesteckt und draufgehauen, triffste immer den Richtigen«, sagte Rudi.

      »Wovon redest du eigentlich?« erwiderte Eddie nach zwei tiefen Lungenzügen.

      »Dat weiß du do ganz genau, wo du doch vonne Presse bis. Ihr efahrt doch sowat als erstes, oder etwa nich?«

      »Mensch Rudi, jetzt erzähl doch mal von vorne, ich versteh’ kein Wort«, drängte Eddie gespannt.

      »Da müssen mer aber ers no einen drauf trinken«, verlangte der Rentner und goß die Likörgläser randvoll, ohne Jablonskis Antwort abzuwarten. Die Mittagssonne fing sich in den kleinen Gläsern und ließ den Schnaps glutrot wie einen Rubin leuchten. Sie prosteten sich zu und kippten den scharfen Aufgesetzten in einem Zug hinunter.

      »Also, die Stadt will aus unseren Gärten ’nen Golfplatz machen, un dat laß ich mir nich gefallen, da könnt ihr alle Gift drauf nehmen, un dat mein ich au so!« erregte sich Rudi, wobei sich auf seinem stoppeligen Gesicht und dem Hals rote Hitzepusteln bildeten, die ihn urplötzlich steinalt aussehen ließen.

      »Ja, und?« lachte Eddie und fuhr fort, »die Stadt stellt dir doch bestimmt eine neue Parzelle zur Verfügung, oder etwa nicht? Und für dein Gartenhäuschen kriegst du eine schöne Abfindung. Mit dem Geld fliegst du nach Mallorca und machst einen drauf! Mensch, Rudi, du hast die Rente durch. Warum gibst Du keine Ruhe und machst dir ’nen schönen Lebensabend? Tun die anderen doch auch!« Mein Gott, wie kann man nur so bescheuert sein, dachte Jablonski, der sich wie ein Sozialarbeiter wider Willen vorkam.

      »Pah, Malorka, geh mich wech!« schimpfte Rudi. »Meinse, ich fahr in so’n Rentnersilo? So’n Betonklotz mit Katzenklo? Jeden Abend Schwoof aufm Hof, Ringelpietz mit Anfassen un so? Nee, weisse, dafür hab ich mich nich mein Leben lang kaputtgemacht, damit se mich na Spanien abschieben! Nee, im Ernst! Wenn die dat machen, bring ich mich um!« Rudis Augen bekamen einen fiebrigen Glanz.

      »Du, Rudi? Du hängst doch am Leben wie kein anderer«, spottete Eddie.

      »Wartet mal ab!!! Ihr werdet euch alle noch wundern!« wütete Rudi.

      »Na, was hast Du denn vor?« fragte Jablonski, der nun doch etwas besorgt schien.

      »Ers müssen mer no einen trinken, bevor ich dir dat sach!« triumphierte der Rentner, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte entschlossen die Arme vor seiner Brust.

      »Nur zu«, nickte Eddie, der froh war, daß sich die Lage wieder etwas zu entspannen schien.

      »Auf Dein Wohl, Eddie!« rief der Rentner und hob das Glas.

      »Und?« hustete Eddie, der sich an dem Schnaps verschluckt hatte. Er kam sich vor, als sei er durch Zufall in den ersten Akt einer schlechten Komödie geraten.

      »Ich sach nur eins: Hungerstreik!« ergänzte Rudi nach einer bedeutungsschwangeren Pause.

      »Im Leben nicht!« staunte Jablonski. Das hatte er nicht erwartet.

      »Doch!«

      »Du? … Na, das kann ja heiter werden!«

      »Ja, ich … und ich sach dir au, wieso!« wütete Rudi, der nun nicht mehr auf seinem Hocker zu halten war und deshalb aufstand, um eine Runde in seinem Schloßpark zu drehen.

      »Paß auf! Nich nur, dat die Stadt uns die Gärten wechnimmt. Nee, dat is noch nich alles! Wenn wir auf dem anderen Gründstück, wat uns der Heini vonne Stadt, der Müller, angeboten hat, unsere Gartenhäuschen wieder aufbauen wollen, müssen mer da Trockenklos einbauen.« Der Rentner zog mit jedem Satz immer hektischer seine Runden. Er gestikulierte mit seinen großen Pranken, als stünde er vor einem Orchestergraben oder wolle eine Horde wilder Kleingärtner zur Attacke auf die Stadt zwingen. »Eher verreck ich, bevor ich mich auf so nen Bottich setz!« schloß er erschöpft.

      »Und was hab ich damit zu tun?« fragte Eddie gelangweilt.

      »Du machst die Werbung für uns, Pressekampagne oder wie dat heißt!«

      O Gott, da vorne steht Don Quichotte, und ich soll bei seinem Ritt gegen die Windmühlen den Sancho Pansa spielen! Scheißjob, dachte Eddie entsetzt.

      »Auf den Schreck brauch ich aber noch einen Schnaps. Rudi, du bist total verrückt. Wie kommst du nur auf so einen Blödsinn?« antwortete er schließlich mit einem besorgten Blick auf den Rentner, der ihn aufgebracht anstarrte.

      Eddie fühlte sich plötzlich tausend Jahre alt. Der Alkohol war ihm zu Kopf gestiegen, daran hatten auch die versalzenen Frikadellen nichts geändert. Im Gegenteil, von diesen Dingern hatte er nur noch mehr Durst bekommen. Er hielt sich krampfhaft an seiner dritten Dose Bier fest. Er war todmüde, und die Zeit drängte. Es war bereits früher Nachmittag, und er saß hier, angetrunken und ohne die leiseste Idee für eine Story, die er täglich für den Stadtanzeiger abzuliefern hatte. Ihm schien es, als habe jemand einen Haufen Watte in seinen Schädel gepackt. Das Zwitschern der Amsel, die seit geraumer Zeit auf einem Ast eines Pflaumenbaumes hockte, donnerte in seinen Ohren wie ein tosender Wasserfall. Er setzte das Likörglas an die gespitzten Lippen und kippte das Zeug mit geschlossenen Augen hinunter, als wäre es die reine Medizin.

      Ach! Sie neigt das Haupt, die holde Knospe.

       Wer gießet eilig erquickendes Naß

       neben die Wurzel ihr hin, daß sie

       froh sich entfalte, die schönen

       Stunden der Blüte nicht zu früh

       vergehen, endlich auch reife die

       Frucht?

       Aber auch mir, mir sinket das Haupt

      von Sorgen und Mühe.

       Liebes Mädchen!

      Ein Glas schäumenden Weines herbei.

      Goethe: Epigramme

       Drittes Kapitel

      Einige Tage später, an einem Mittwochabend, hockte Jablonski vor seinem dritten Bier und starrte auf das Podium, das mitten in der Kneipe aufgestellt war. Er betrachtete neugierig die Prinzengarde, die nervös wie die Teenager vor dem Abschlußball ihre Mikrofone testete. Jablonski kannte einen der Herren, der wie ein cleverer Geschäftsmann wirkte. Dr. Müller trug ein weißes Seidenhemd und hatte sich einen dieser schwarzen Propeller umgebunden, die der Mann von Welt immer dann wählt, wenn ein kulturelles Ereignis ins Haus steht. Er würde sich vermutlich spätestens nach einer halben Stunde verabschieden und sich in die Oper verdrücken. In seiner blankpolierten Halbglatze spiegelte sich das trübe Licht des Scheinwerfers, der auf das Podest gerichtet war.

      Der fahrige kleine Dicke, der neben ihm einen Packen Papiere ordnete, mußte Tommicek, der Vorsitzende des Kleingartenvereins sein. Jablonski steckte sich eine Zigarette an und trank genüßlich einen großen Schluck Bier. Die beiden andern, vermutlich der erste Kassierer und einer von Müllers Kofferträgern, die rechts und links


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