In jeder Beziehung. Birgit Schmid
Читать онлайн книгу.Vorstellungen geprägt war, was einen Mann ausmacht (entscheidungsfreudig, zupackend) und wie eine Frau zu sein hat (fürsorglich, kümmernd), weiß ich nicht. Ich las das einfach gern. Und muss jedes Mal daran denken, wenn Umfragen gemacht werden über die Berufe, die beim andern Geschlecht gut ankommen, wie gerade eben wieder.
Die Partnervermittlung Elitepartner hat ermittelt und herausgefunden: 42 Prozent der Frauen finden Ärzte attraktiv. Die Männer wählten an zweiter Stelle mit 37 Prozent Krankenschwestern. Noch besser gefallen 45 Prozent von ihnen aber Ärztinnen. Das ist eine gute Nachricht, da eine Folge der Emanzipation: Neben Medizinern stehen nun auch Medizinerinnen auf dem nach Berufen sortierten Begehren an erster Stelle. Bei männlichen Vorlieben folgen Wissenschaftlerin, Künstlerin, Lehrerin, Architektin. Frauen zählen weiter Handwerker, Architekt, Polizist, Geschäftsführer zu den anziehendsten Berufen. Eher ungern lassen sich Frauen wie Männer mit einem Steuerberater und einer Politikerin ein.
Es ist ja eine der ersten Fragen, wenn man jemanden kennenlernt: Was arbeitest du? Meist trägt das bei zum Bild, das man sich von jemandem macht, steigert dessen Attraktivität oder dämpft das Interesse. Man assoziiert mit Berufen gewisse Charaktereigenschaften und bewertet so die Begehrlichkeit des Inhabers. Ein Ingenieur schaut dafür, dass die Wände gerade stehen, das Dach trägt und die Brücken halten. So einer ist gewissenhaft und vertrauenswürdig. Eine Lehrerin kann einem die Welt erklären, sie gilt als geduldig und verständnisvoll. Ein Arzt, der Retter. Eine Ärztin, mitfühlend.
Seien wir ehrlich: Wir definieren uns auch über das berufliche Ansehen des andern. Die Beruf-Liebeswahl ist ein Bekenntnis zum Elitären. Man wünscht sich jemanden an der Seite, der etwas darstellt, dessen Tage mit Sinn gefüllt sind. Will mit Stolz ihren Beruf nennen in einer Runde. Schlimm zu merken, da schämt sich eine für die Arbeit des Partners. Auch will man verstehen, was der andere macht, was bei heutigen Berufsbezeichnungen nicht immer einfach ist. Er ist Telematiker – und jetzt?
Damit soll nicht gesagt sein, dass sich unterschiedliche Berufe nicht ergänzen können. Und doch kann ein intellektuelles Gefälle beide einsam machen. Sich abends nicht von der Arbeit erzählen, weil die Neugier fehlt oder das Verständnis. Das Problem stellt sich bei den vielen Paaren nicht, die sich nach wie vor über die Arbeit kennenlernen. Da ist es dann eher wichtig, nicht ständig das Büro durchzunehmen.
Was folgern wir daraus? Wir wähnen uns romantisch, aber machen die Liebe sogar abhängig vom Beruf einer Person. Auch dann, wenn die Wahl zufällig scheint.
Jahre später bin ich dem Mann begegnet, er trug da gerade keinen weißen Kittel. Der Moment war wohl trotzdem entscheidend, als er mir ein leeres Terminkärtchen mit seiner Nummer gab. Und der Roman begann.
DER UMARMER WILL
JA NUR LIEB SEIN
Dauernd wird man umarmt, ob man will oder nicht. Die Umarmung drängt sich als Begrüßungsritual auf, sogar unter Fremden kommt sie vor. Sie wird heute auch sonst bei jeder Gelegenheit durchgeführt, um nicht vorhandene Nähe zu erzeugen. Zwischen Jugendlichen und zwischen Vater und Sohn, zwischen Geschäftspartnern, Therapeut und Patient, Coiffeur und Kundin. Mal liegt Brustkorb hart an Brustkorb, mal berühren sich nur die Schultern, während man sich auf den Rücken klopft, gelegentlich kommt es schon zum Ganzkörperkontakt, als sei der Eingangsflur eine Tanzfläche.
Die Umarmung als Grußformel: Sie hatte einst den Zweck, den andern nach Waffen abzutasten. Heute macht die Geste wehrlos. Weit öffnen sich die Arme, der andere tritt zu nahe, greift um den Körper. Widerstand zu leisten oder die Geste zurückzuweisen wäre eine Demütigung und darum gesellschaftlich undenkbar. Doch ein Satz wie »Lass dich umarmen!« klingt schnell drohend, vergleichbar mit den Worten des Hundehalters, dessen Tier an einem hochspringt: »Er will ja nur spielen.« Der Umarmer will ja nur lieb sein.
Es mag sein, dass wir Überempfindlichen vieles übergriffig finden. Jemand tritt einem zu nahe, und das nicht einmal körperlich: Schon fühlt man sich belästigt. Bei der ungewollten Umarmung handelt es sich aber tatsächlich um einen Übergriff. Für Schüchterne wird diese aufgedrängte Zuneigung zur Qual. »Bear hug« nennen das die Amerikaner, bärenhafte Umarmung, tapsig, unsensibel, erdrückend.
Woher nun aber diese plötzliche Körperlichkeit, die so tut, als hätte man sie bei den Italienern und Franzosen abgeschaut? Der aber gerade das Leichte der lateinischen Kultur fehlt? Vor vierzig Jahren hat der Soziologe Richard Sennett den Begriff der »Tyrannei der Intimität« geprägt. Inzwischen hat sich diese Intimität zu einer Demokratie verbreitet, sie meint jetzt das Gegenteil von steif und förmlich. Man will sich ungezwungen geben, locker, gefühlvoll, möglichst aufrichtig und echt – gerade auch im öffentlichen Leben. Mit der Folge, dass sich durch diese »extended communication« auch die beruflichen Kontakte erwärmen, bei denen in E-Mails zum Abschied nicht nur »alles Liebe« gewünscht, sondern auch geküsst und geherzt wird, egal, wie gut man sich kennt: »xoxoxo«, »kisses & hugs«. Das Beste an dieser virtuellen Umarmerei ist, dass man sich die Leute vom Leib halten kann.
Dabei ist es eigentlich schön, umarmt zu werden. Im richtigen Moment mit den richtigen Armen von den richtigen Menschen. Dann umfängt die Umarmung wie ein Mantel. Einsame Menschen vermissen diese zärtliche Geste am meisten, noch vor dem Kuss. Denn wenn sie einvernehmlich ist, vermittelt eine Umarmung Geborgenheit, gibt Trost, nimmt den andern freundlich auf. Auch dann bleiben zwei Menschen einzigartig, sie gehen nicht ineinander auf: Um zu wissen, wie ich mich fühle, müsstest du mich sein. Aber wie David Grossman in seiner Parabel »Die Umarmung« schreibt: Eine Umarmung kann den Abstand zum andern verkleinern. Man spürt zumindest für den Moment, dass man nicht alleine ist.
Was übrigens noch schlimmer ist als die unfreiwillige körperliche Umarmung ist die geistige. Auch hier gehen die Amerikaner wieder voran und reden von »embrace«. Embrace change! Embrace your flaws! Embrace yourself! Umarme den Wandel, deine Fehler, umarme dich selbst – und dränge alle Widersprüche und Zweifel weg, die es in deinem Leben gibt. Die Umarmung als metaphorische Selbstvergewisserung, im Befehlston verordnet: Was soll daran gut sein?
Keine Umarmung ohne Nähe.
Lass mich bitte los.
DAS KOMMANDIERTE
VERGNÜGEN
Es war ein leicht gefühltes Vorhaben, ein Wochenende in den Bergen. Die Sonne schien, die Bienen summten, die Felsen ragten in den blauen Himmel. Wir wollten da hinauf und dann wieder hinunter, zwischendurch gut zu Abend essen, anderntags beizeiten wieder heim. Im Hotel angekommen, in dem es nach Aromaölen roch, wurden wir mit den Worten empfangen, sie lagen auf dem Kopfkissen auf: »Genießen Sie die Tage bei uns. Sie haben es sich verdient.« Im Bad kommandierte es zwischen Heublumenseife und Massagestein: »Lassen Sie die Seele baumeln.«
Etwas renkte aus.
Ich weiß nicht, wo meine Seele sitzt und ob sie baumeln kann. Genießen tue ich nicht auf Geheiß, überhaupt, zu fordernd kommt mir inzwischen das Wort Genuss daher, im Widerspruch zu seinem Versprechen. Woher wissen die, was ich verdient habe? Vielleicht lag ich schon die ganze Woche faul herum. Der Satz wird dahingesagt, um jemanden bestätigend zu belohnen, aber der Befehlston verrät ihn. Denn oft verdienen ja die, die ihn sagen, am meisten daran. Sie profitieren davon, dass man intensiv geleistet hat und dann wieder verwöhnt und aufgebaut werden muss. Dabei meinen sie es nur gut. So gut wie Eltern es mit ihrem Kind meinen, ohne dass sich das Kind dagegen wehren kann. Genauso empfindet man es als Erwachsene und hat nun ein Wort dafür, wenn auch ein ebenfalls zu häufig gebrauchtes: Die Gutmeinenden sind übergriffig.
Und so gibt man sich der Verwöhnung hin, entspannt sich hinein in den Zustand, in dem man nichts mehr will als das totale Erschlaffen und sogar zu denken aufhört. In einem letzten hellen Moment vernimmt man vielleicht noch den Gedanken, dass die Ausweitung der Komfortzone mit dem Bekämpfen von Stress und Leistung einhergeht. Stress wird zum Feind erklärt, der das wachsende Angebot an Mitteln und Techniken,