Vom Kriege. Carl von Clausewitz
Читать онлайн книгу.ihn der bloße Begriff gibt, so würde ein Krieg zwischen Staaten von merklich ungleichen Kräften als ein Absurdum erscheinen, also unmöglich sein; die Ungleichheit der physischen Kräfte dürfte höchstens so groß sein, daß sie durch die entgegengesetzten moralischen ausgeglichen werden könnte, und das würde in Europa bei unserem heutigen gesellschaftlichen Zustande nicht weit reichen. Wenn wir also Kriege zwischen Staaten von ungleicher Macht haben stattfinden sehen: so ist es, weil der Krieg in der Wirklichkeit sich von seinem ursprünglichen Begriff oft sehr weit entfernt.
[55] Es sind zwei Dinge, welche in der Wirklichkeit als Motiv zum Frieden an die Stelle der Unfähigkeit zum ferneren Widerstande treten können. Das erste ist die Unwahrscheinlichkeit, das zweite ein zu großer Preis des Erfolges.
Da, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, der ganze Krieg von dem strengen Gesetz innerer Notwendigkeit loslassen und sich der Wahrscheinlichkeitsberechnung anheimgeben muß, und da dies immer um so mehr der Fall ist, je mehr er sich den Verhältnissen nach, aus denen er hervorgegangen ist, dazu eignet, je geringer die Motive und die Spannungen sind: so ist es auch begreiflich, wie aus dieser Wahrscheinlichkeitsberechnung das Motiv zum Frieden selbst entstehen kann. Es braucht also der Krieg nicht immer bis zum Niederwerfen des einen Teils ausgekämpft zu werden, und man kann denken, daß bei sehr schwachen Motiven und Spannungen eine leichte, kaum angedeutete Wahrscheinlichkeit schon hinreicht, den, gegen welchen sie gerichtet ist, zum Nachgeben zu bewegen. Wäre nun der andere im voraus davon überzeugt, so ist es ja natürlich, daß er nur nach dieser Wahrscheinlichkeit streben, nicht erst den Umweg eines gänzlichen Niederwerfens des Feindes suchen und machen wird.
Noch allgemeiner wirkt die Beachtung des Kraftaufwandes, welcher schon erforderlich gewesen ist und es noch sein wird, auf den Entschluß zum Frieden. Da der Krieg kein Akt blinder Leidenschaft ist, sondern der politische Zweck darin vorwaltet, so muß der Wert, den dieser hat, die Größe der Aufopferungen bestimmen, womit wir ihn erkaufen wollen. Dies wird nicht bloß der Fall sein bei ihrem Umfang, sondern auch bei ihrer Dauer. Sobald also der Kraftaufwand so groß wird, daß der Wert des politischen Zwecks ihm nicht mehr das Gleichgewicht halten kann, so muß dieser aufgegeben werden und der Friede die Folge davon sein.
Man sieht also, daß in den Kriegen, wo der eine den andern nicht ganz wehrlos machen kann, die Motive zum Frieden in beiden Teilen steigen und fallen werden nach der Wahrscheinlichkeit der ferneren Erfolge und des erforderlichen Kraftaufwandes. Wenn diese Motive in beiden Teilen gleich stark wären, so würden sie sich in der Mitte ihrer politischen Differenz treffen; was sie in dem einen an Stärke zunehmen, dürfen sie in dem andern schwächer sein; wenn ihre Summe nur hinreicht, so wird der Friede zustande kommen, natürlich aber mehr zum Besten dessen ausfallen, der die schwächsten Motive dazu hatte.
Wir übergehen hier absichtlich noch den Unterschied, den die positive und negative Natur des politischen Zwecks im Handeln notwendig hervorbringen muß; denn wenn dieser auch, wie wir in der Folge zeigen werden, von der höchsten Wichtigkeit ist, so müssen wir uns doch hier auf einem noch allgemeineren Standpunkt erhalten, weil die ursprünglichen politischen Absichten im Laufe des Krieges sehr wechseln und zuletzt ganz andere werden können, eben weil sie durch die Erfolge und durch die wahrscheinlichen Ergebnisse mit bestimmt werden.
[56] Es entsteht nun die Frage, wie man auf die Wahrscheinlichkeit der Erfolge wirken kann. Zuerst natürlich durch dieselben Gegenstände, welche auch zum Niederwerfen des Gegners führen: die Vernichtung seiner Streitkräfte und die Eroberung seiner Provinzen; aber beide sind darum nicht genau dieselben, welche sie bei jenem Zweck sein würden. Wenn wir die feindliche Streitkraft angreifen, so ist es etwas ganz anderes, ob wir dem ersten Schlage eine Reihe anderer folgen lassen wollen, bis zuletzt alles zertrümmert ist, oder ob wir uns mit einem Siege begnügen wollen, um das Gefühl der Sicherheit beim Gegner zu brechen, ihm das Gefühl unserer Überlegenheit zu geben, und ihm also für die Zukunft Besorgnisse einzuflößen. Wollen wir das, so werden wir an die Vernichtung seiner Streitkräfte nur so viel setzen, als dazu hinreichend ist. Ebenso ist die Eroberung von Provinzen eine andere Maßregel, wenn es nicht auf das Niederwerfen des Gegners abgesehen ist. In jenem Falle wäre die Vernichtung seiner Streitkraft die eigentliche wirksame Handlung, und das Einnehmen der Provinzen nur die Folge davon; sie einzunehmen, ehe die Streitkraft zusammengeworfen ist, wäre immer nur als ein notwendiges Übel zu betrachten. Dagegen ist, wenn wir es nicht auf das Niederwerfen der feindlichen Streitkraft absehen, und wenn wir überzeugt sind, daß der Feind den Weg der blutigen Entscheidung selbst nicht sucht, sondern fürchtet, das Einnehmen einer schwach oder gar nicht verteidigten Provinz schon an sich ein Vorteil, und ist dieser Vorteil groß genug, um den Gegner über den allgemeinen Erfolg besorgt zu machen, so ist er auch als ein naher Weg zum Frieden zu betrachten.
Nun kommen wir aber noch auf ein eigentümliches Mittel, auf die Wahrscheinlichkeit des Erfolges zu wirken, ohne die feindliche Streitkraft niederzuwerfen, nämlich auf solche Unternehmungen, die eine unmittelbare politische Beziehung haben. Gibt es Unternehmungen, die vorzugsweise geeignet sind, Bündnisse unseres Gegners zu trennen oder unwirksam zu machen, uns neue Bundesgenossen zu erwerben, politische Funktionen zu unserm Besten aufzuregen usw., so ist leicht begreiflich, wie dies die Wahrscheinlichkeit des Erfolges sehr steigern und ein viel kürzerer Weg zum Ziel werden kann, als das Niederwerfen der feindlichen Streitkräfte.
Die zweite Frage ist, welches die Mittel sind, auf den feindlichen Kraftaufwand, d. h. die Preiserhöhung zu wirken.
Der Kraftaufwand des Gegners liegt in dem Verbrauch seiner Streitkräfte, also in der Zerstörung derselben von unserer Seite, in dem Verlust von Provinzen, also in der Eroberung derselben durch uns.
Daß diese beiden Gegenstände wegen der verschiedenen Bedeutung auch hier nicht allemal mit der gleichnamigen bei einem andern Zweck zusammenfallen, wird sich bei näherer Betrachtung von selbst ergeben. Daß die Unterschiede meistens nur gering sein werden, darf uns nicht irremachen, denn in der Wirklichkeit entscheiden oft bei schwachen Motiven die feinsten [57] Nuancen für die eine oder andere Modalität der Kraftanwendung. Uns kommt es hier nur darauf an, zu zeigen, daß unter Voraussetzung gewisser Bedingungen andere Wege zum Ziele möglich, kein innerer Widerspruch, kein Absurdum, auch nicht einmal Fehler sind.
Außer diesen beiden Gegenständen gibt es nun noch drei eigentümliche Wege, die unmittelbar darauf gerichtet sind, den Kraftaufwand des Gegners zu steigern. Der erste ist die Invasion, d. h. die Einnahme feindlicher Provinzen, nicht mit der Absicht, sie zu behalten, sondern um Kriegssteuern darin zu erheben, oder sie gar zu verwüsten. Der unmittelbare Zweck ist hier weder die Eroberung des feindlichen Landes, noch das Niederwerfen seiner Streitkraft, sondern bloß ganz allgemein der feindliche Schaden. Der zweite Weg ist, unsere Unternehmungen vorzugsweise auf solche Gegenstände zu richten, die den feindlichen Schaden vergrößern. Es ist nichts leichter, als sich zwei verschiedene Richtungen unserer Streitkraft zu denken, davon die eine bei weitem den Vorzug verdient, wenn es darauf ankommt, den Feind niederzuwerfen, die andere aber, wenn vom Niederwerfen nicht die Rede ist und sein kann, einträglicher ist. Wie man zu sagen gewohnt ist, würde man die erste für die mehr militärische, die andere mehr für eine politische halten. Wenn man sich aber auf den höchsten Standpunkt stellt, so ist eine so militärisch wie die andere, und jede nur zweckmäßig, wenn sie zu den gegebenen Bedingungen paßt. Der dritte Weg, an Umfang der ihm zugehörigen Fälle bei weitem der wichtigste, ist das Ermüden des Gegners. Wir wählen diesen Ausdruck nicht bloß, um das Objekt mit einem Worte zu bezeichnen, sondern weil er die Sache ganz ausdrückt und nicht so bildlich ist, als es auf den ersten Blick scheint. In dem Begriff des Ermüdens bei einem Kampfe liegt eine durch die Dauer der Handlung nach und nach hervorgebrachte Erschöpfung der physischen Kräfte und des Willens.
Wollen wir nun den Gegner in der Dauer des Kampfes überbieten, so müssen wir uns mit so kleinen Zwecken als möglich begnügen, denn es liegt in der Natur der Sache, daß ein großer Zweck mehr Kraftaufwand erfordert als ein kleiner; der kleinste Zweck aber, den wir uns vorsetzen können, ist der reine Widerstand, d. h. der Kampf ohne eine positive Absicht. Bei diesem werden also unsere Mittel verhältnismäßig am größten sein, und also das Resultat am meisten gesichert. Wie weit kann nun diese Negativität gehen? Offenbar nicht bis zur absoluten Passivität, denn ein bloßes Leiden wäre kein Kampf mehr; der Widerstand aber ist eine Tätigkeit, und durch diese sollen so viele von des