Vom Kriege. Carl von Clausewitz

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Vom Kriege - Carl von Clausewitz


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ein Land dem andern gegenübersteht. Hier muß die Zahl möglicher Beziehungen und folglich der Kombinationen sehr vermehrt, die Mannigfaltigkeit der Anordnungen vergrößert, und durch die sich unterordnende Abstufung der Zwecke das erste Mittel von dem letzten Zwecke weiter entfernt werden.

      Es ist also aus vielen Gründen möglich, daß der Zweck eines Gefechts nicht die Vernichtung der feindlichen Streitkraft, nämlich der uns gegenüberstehenden ist, sondern daß diese bloß als Mittel erscheint. In allen diesen Fällen aber kommt es auch auf die Vollziehung dieser Vernichtung nicht mehr an, denn das Gefecht ist hier nichts als ein Abmesser der Kräfte, hat an sich keinen Wert, sondern nur den des Resultates, d. h. seiner Entscheidung.

      Ein Abmessen der Kräfte kann aber in Fällen, wo sie sehr ungleich sind, schon durch das bloße Abschätzen erhalten werden. In solchen Fällen wird auch das Gefecht nicht stattfinden, sondern der Schwächere gleich nachgeben.

      Ist der Zweck der Gefechte nicht immer die Vernichtung der in denselben begriffenen Streitkräfte, und kann ihr Zweck oft sogar erreicht werden, ohne daß das Gefecht wirklich stattfindet, durch seine bloße Feststellung und die daraus hervorgehenden Verhältnisse: so wird es erklärlich, wie ganze Feldzüge mit großer Tätigkeit geführt werden können, ohne daß das faktische Gefecht darin eine namhafte Rolle spielt.

      Daß dem so sein kann, beweist die Kriegsgeschichte in hundert Beispielen. Wie viele von diesen Fällen die unblutige Entscheidung mit Recht gehabt haben, d.h. ohne inneren Widerspruch, und ob einige daher entspringende Berühmtheiten die Kritik aushalten würden: das wollen wir dahingestellt sein lassen, denn es ist uns nur darum zu tun, die Möglichkeit eines solchen kriegerischen Verlaufes zu zeigen.

      Wir haben nur ein Mittel im Kriege, das Gefecht, was aber bei der Mannigfaltigkeit seiner Anwendung uns in alle die verschiedenen Wege hineinführt, welche die Mannigfaltigkeit der Zwecke zuläßt, so daß wir nichts gewonnen zu haben scheinen; so ist es aber nicht, denn von dieser Einheit des Mittels geht ein Faden aus, der sich für die Betrachtung durch das ganze Gewebe kriegerischer Tätigkeit fortschlingt und es zusammenhält.

      Wir haben aber die Vernichtung der feindlichen Streitkraft als einen der Zwecke betrachtet, die man im Kriege verfolgen kann, und es dahingestellt sein lassen, welche Wichtigkeit ihm unter den übrigen Zwecken gegeben werden solle. Im einzelnen Falle wird es von den Umständen abhängen, und für das Allgemeine haben wir seinen Wert unbestimmt gelassen; jetzt werden wir noch einmal darauf zurückgeführt, und wir werden einsehen lernen, welcher Wert ihm notwendig zugestanden werden muß.

      Das Gefecht ist die einzige Wirksamkeit im Kriege; im Gefecht ist die Vernichtung der uns gegenüberstehenden Streitkraft das Mittel zum Zweck, [62] ist es selbst da, wo das Gefecht nicht faktisch eintritt, weil jedenfalls der Entscheidung die Voraussetzung zugrunde liegt, daß diese Vernichtung als unzweifelhaft zu betrachten sei. Sonach ist also die Vernichtung der feindlichen Streitkraft die Grundlage aller kriegerischen Handlungen, der letzte Stützpunkt aller Kombinationen, die darauf wie der Bogen auf seinen Widerlagen ruhen. Es geschieht also alles Handeln unter der Voraussetzung, daß, wenn die dabei zugrunde liegende Entscheidung der Waffen wirklich eintreten sollte, sie eine günstige sei. Die Waffenentscheidung ist für alle großen und kleinen Operationen des Krieges, was die bare Zahlung für den Wechselhandel ist; wie entfernt diese Beziehungen auch sein, wie selten die Realisationen eintreten mögen, ganz können sie niemals fehlen.

      Ist die Waffenentscheidung die Grundlage aller Kombinationen, so folgt, daß der Gegner jede derselben durch eine glückliche Waffenentscheidung unwirksam machen kann, nicht nur, wenn es die ist, auf welcher unsere Kombination unmittelbar beruht, sondern auch durch jede andere, wenn sie nur bedeutend genug ist; denn jede bedeutende Waffenentscheidung, d. i. Vernichtung feindlicher Streitkräfte, wirkt auf alle anderen vorliegenden zurück, weil sie sich wie ein flüssiges Element ins Niveau setzen.

      So erscheint also die Vernichtung der feindlichen Streitkraft immer als das höherstehende, wirksamere Mittel, dem alle anderen weichen müssen.

      Aber freilich können wir der Vernichtung feindlicher Streitkraft nur bei vorausgesetzter Gleichheit aller übrigen Bedingungen eine höhere Wirksamkeit zuschreiben. Es wäre also ein großes Mißverstehen, wenn man daraus den Schluß ziehen wollte, ein blindes Draufgehen müßte über behutsame Geschicklichkeit immer den Sieg davontragen. Ein ungeschicktes Draufgehen würde zur Vernichtung der eigenen, nicht der feindlichen Streitkraft führen, und kann also von uns nicht gemeint sein. Die höhere Wirksamkeit gehört nicht dem Wege, sondern dem Ziele an, und wir vergleichen nur die Wirkung des einen erreichten Zieles mit dem andern.

      Wenn wir von Vernichtung der feindlichen Steitmacht sprechen, so müssen wir hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß uns nichts zwingt, diesen Begriff auf die bloße physische Streitkraft zu beschränken, sondern vielmehr die moralische notwendig darunter mit verstanden werden muß, weil ja beide sich bis in die kleinsten Teile durchdringen und deshalb gar nicht voneinander zu trennen sind. Es ist aber gerade hier, wo wir uns auf die unvermeidliche Einwirkung berufen, die ein großer Vernichtungsakt (ein großer Sieg) auf alle übrigen Waffenentscheidungen hat, das moralische Element, dasjenige, was am flüssigsten ist, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, und also am leichtesten sich über alle Glieder verteilt. Dem überwiegenden Wert, welchen die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte vor allen anderen Mitteln hat, steht die Kostbarkeit und Gefahr dieses Mittels gegenüber, und nur um diese zu vermeiden, ist es, daß andere Wege eingeschlagen werden.

      [63] Daß das Mittel kostbar sein muß, ist an sich verständlich, denn der Aufwand eigner Streitkräfte ist bei übrigens gleichen Umständen immer größer, je mehr unsere Absicht auf die Vernichtung der feindlichen gerichtet ist.

      Die Gefahr dieses Mittels liegt aber darin, daß eben die größere Wirksamkeit, welche wir suchen, im Falle des Nichtgelingens auf uns zurückfällt, also größere Nachteile zur Folge hat.

      Die anderen Wege sind also weniger kostbar beim Gelingen und weniger gefährlich beim Mißlingen; aber es liegt hierin notwendig die Bedingung, daß sie es nur mit ihresgleichen zu tun haben, nämlich, daß der Feind dieselben Wege geht; weil, wenn der Feind den Weg großer Waffenentscheidung wählte, der unserige sich eben dadurch gegen unsern Willen auch in einen solchen verwandeln würde. Es kommt also dann auf den Ausgang des Vernichtungsaktes an; nun ist aber klar, daß wir, alle übrigen Umstände wieder gleich genommen, in diesem Akt im Nachteil aller Verhältnisse sein müssen, weil wir unsere Absichten und unsere Mittel zum Teil auf andere Dinge gerichtet hatten, welches der Feind nicht getan hat. Zwei verschiedene Zwecke, deren der eine nicht Teil des anderen ist, schließen einander aus, und es kann also eine Kraft, die für den einen verwendet wird, nicht zugleich dem andern dienen. Wenn also einer der beiden Kriegführenden entschlossen ist, den Weg großer Waffenentscheidungen zu gehen, so hat er auch schon eine hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolges für sich, sobald er gewiß ist, daß der andere ihn nicht gehen, sondern ein anderes Ziel verfolgen will; und jeder, der sich ein solches anderes Ziel vorsetzt, kann dies vernünftigerweise nur tun, insofern er von seinem Gegner voraussetzt, daß er die großen Waffenentscheidungen ebensowenig sucht.

      Aber was wir hier von einer anderen Richtung der Absichten und Kräfte gesagt haben, bezieht sich nur auf die positiven Zwecke, welche man außer der Vernichtung feindlicher Kräfte sich im Kriege noch vorsetzen kann, durchaus nicht auf den reinen Widerstand, der in der Absicht gewählt wird, die feindliche Kraft dadurch zu erschöpfen. Dem bloßen Widerstand fehlt die positive Absicht, und mithin können bei demselben unsere Kräfte dadurch nicht auf andere Gegenstände geleitet, sondern nur bestimmt sein, die Absichten des Gegners zu vernichten.

      Hier ist es, wo wir von der Vernichtung der feindlichen Streitkraft die negative Seite, nämlich die Erhaltung der eigenen, zu betrachten haben. Diese beiden Bestrebungen gehen stets miteinander, weil sie in Wechselwirkung stehen; sie sind integrierende Teile einer und derselben Absicht, und wir haben nur zu untersuchen, welche Wirkung entsteht, wenn die eine oder die andere das Übergewicht hat. Das Bestreben zur Vernichtung der feindlichen Streitkräfte hat den positiven Zweck und führt zu positiven Erfolgen, deren letztes Ziel die Niederwerfung des Gegners sein würde. Das Erhalten der eigenen Streitkräfte hat den negativen Zweck, führt [64] also zur Vernichtung der feindlichen Absicht, d. h. zum reinen Widerstand,


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