Als er den Colt zog: Western Bibliothek 12 Romane. Pete Hackett
Читать онлайн книгу.schier übel. Das Schicksal schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Er ritt nahe am Abgrund und konnte jeden Augenblick den Halt verlieren und in die bodenlose Tiefe stürzen.
So jung er noch war, so hatte er doch eins bereits erkannt, dass man sich nämlich nicht gehen lassen durfte, dass man all seinen Willen zusammennehmen musste, um sich nicht treiben zu lassen.
Um Mitternacht scheuchte er eine kleine Gruppe von Mavericks auf, die sich am Unterholz gelagert hatte und bei der Annäherung des Reiters aufstob und flüchtete. So dunkel es auch war, so konnte er doch erkennen, dass er ungebrannte Jungrinder vor sich hatte, Färsen, Jungstiere und einige Kälber. Über ein Dutzend Tiere waren es, genau die Zahl, die man im Rohhäutercamp benötigte, um der Proviantsorgen für die nächsten Wochen ledig zu sein. Mit Leichtigkeit hätte man sie einfangen und ins Camp treiben können. Das war aber für ihn nun endgültig vorbei.
Das Gefühl, ganz allein zu sein, war diesmal nicht so unerträglich wie bei seiner ersten Flucht, nachdem er den Gegner seines Vaters niedergeschossen hatte. Keine Panikstimmung überkam ihn jetzt. Je weiter er ritt, um so gelassener wurde er. Nur eins war sonderbar, das Bild von Ann Palmer wurde immer mächtiger und stärker in ihm. Ihre faszinierenden Augen schienen ihn mit einem traurigen Ausdruck immerzu anzusehen. Ihre Lippen waren fest verschlossen, wie von einem verhaltenen Weinen versiegelt.
„Tut mir leid, Ann“, sagte er aus seinen Betrachtungen heraus, „wir waren nicht füreinander bestimmt. Jeder von uns wird seinen eigenen Weg gehen. Wir werden uns nie wiedersehen, und das wird gut so sein. Wenn ich dir noch einmal begegnen würde, wenn du mir wie am Bach gegenübertreten würdest, würde ich dich in meine Arme reißen. Vielleicht liebe ich dich, Ann, du hast die Liebe in mir geweckt und das Verlangen.“
Weiter ging der Ritt, Meile um Meile. Er durchquerte jetzt einen lichten Föhrenhain. Unter den Hufen des Pferdes war ein dichter Moosteppich, der die Hufschläge dämpfte. Silbernes Mondlicht fiel durch Geäst und Laubwerk und malte eigenartige Filigranmuster auf den Waldboden. Von den Schlafästen der Dohlen kamen seltsame Laute. Beim Weiterreiten spürte Dan, dass der nächtliche Wald voller Leben war. Ein Rudel Coyoten ließ ein melodisches Geheul hören. Weiter weg im Dickicht raschelte es. Schmalwild brach aus den Einstellplätzen, um vor dem nächtlichen Räuber reißaus zu nehmen. Vielleicht war es ein Vielfraß, der auf der Jagd war. Dan war das Tier nicht unbekannt. Er hatte es oft gesehen und wusste auch, dass kein anderes Tierfell so wasserundurchlässig war, wie das des Vielfraßes. Man benutzte es, um Wassersäcke und Wasserschläuche daraus zu fertigen.
Der große Rappwallach trug Dan weiter. Er ließ sich leicht lenken; der leiseste Zügeldruck wurde willig befolgt. Mit jeder Meile mehr schlossen sich die unsichtbaren Bande von Mensch und Tier fester.
Zum Glück für Dan war seine Flucht aus dem Rohhäuterlager zu einem Zeitpunkt erfolgt, als man die baumlosen Ebenen Oklahomas hinter sich hatte. Dan hasste die Staubstürme, die sich dort erhoben hatten, er hasste den roten Staub, der Augen, Nase, Mund und Ohren oft verklebt hatte. Im Südosten des Landes, nahe der texanischen Grenze in den Kiiamochi Mountains hoben sich die
Berge und Hügel und lösten sich die Täler einander ab. Dort war das Land von urigen Forsten und tief dunklen Wäldern überzogen. Kleine und große Bäche, in denen Forellen und Barsche lebten, flossen zu Tal, so dass der Reiz dieser Landschaft selbst bei Nacht einem Manne das Herz höher schlagen lassen konnte. Der große Sturm auf Oklahoma hatte noch nicht stattgefunden, noch lebten in diesem Gebiet viele indianische Stämme, die eine besonders farbenprächtige Kleidung trugen. Nur vereinzelt gab es Ranchen, einige kleine Rinderstädte und dünne Postlinienverbindungen. Die Menschen, die hier lebten, nannten sich stolz die Boomers. Sie hatten wohl längst vergessen, dass sie zu den aus Kansas gekommenen weißen Siedlerbanden gehörten, die allen Regierungsanweisungen zum Trotz in Oklahoma einfielen, in einen Staat, der dem roten Manne durch Verträge zugesichert war. Oklahoma hieß in der Crowsprache „Land des roten Mannes“. Darauf hatten die weißen Siedlerbanden wenig Rücksicht genommen. Auch vor der Kavallerie waren sie nicht zurückgeschreckt, die der Staat schickte, um sie aus dem Indianerterritorium zu vertreiben. Sie hatten sich mit allen Mitteln zur Wehr gesetzt, so als ahnten sie, dass nur wenige Jahre später, im Jahre 1889, die Regierung selbst einen großen Teil des Landes für die Kolonisation öffnen würde.
Der große Aufbruch nach Oklahoma lag also noch in der Zukunft. Jahre später sollte das Land wie kaum ein zweites in den Staaten einen Ansturm erleben, wie er in der Geschichte der Staaten nie wieder vorkommen sollte.
Der Morgen graute bereits, als Dan Flemming haltmachte. Er war ständig in südliche Richtung geritten. Sein Vorhaben, ein Lager aufzuschlagen, gab er bald wieder auf. Der Hufschlag einer kleinen Reiterkavalkade ließ ihn sein Pferd in die Deckung der Büsche ziehen und ihm die Nüstern zuhalten. Der Gedanke, dass der Reitertrupp aus Rohhäutern bestehen konnte, war nicht abwegig. Auf keinen Fall durfte der Rappwallach den fremden Pferden zu wiehern.
Unwillkürlich senkte sich Dans Rechte und tastete nach dem 45er Colt im Holster. Erst jetzt, als er im Versteck verharrte, bemerkte er, dass er während des Rittes eine Fahrspur überquert hatte. Tiefe Räderfurchen hatten sich in den Boden eingegraben und zeigten so einen Weg an, wie er in diesem Lande als Straße üblich war. Die großen Straßen in den Ländern allerdings waren ehemalige Büffelpfade, die diese massigen Tiere auf ihren Wanderungen im Laufe der Jahrhunderte getreten hatten.
Nun, die Spur vor Dan befand sich nicht auf einem Büffelpfad. Die Räderfurchen stammten von Frachtwagen, Einspännern und Stagecoachs. Man brauchte kein besonders guter Fährtenleser zu sein, um das herauszufinden. Dan bemerkte zu seinem Missvergnügen, dass er ein schlechtes Versteck hatte. Jetzt war es allerdings zu spät, den Ort zu wechseln. Seine Hand klammerte sich fester um den Kolben seiner Waffe. In seinen Grauaugen zeigten sich dunkle Schatten. Eine Strähne seines braunlockigen Haares, das unter dem Stetsonrand hervorquoll, wurde vom kühlen Morgenwind gezaust. Seine Finger tasteten über sechs Kerben im Revolvergriff. Die sechs Kerben zeigten jede den Tod eines Mannes an, der aus dem Leben scheiden musste, damit er weiterleben konnte.
Fester pressten sich Dans Lippen zusammen. Wie versteinert wirkten seine Gesichtszüge. Es war, als kämpfe er innerlich gegen einen Fluch an, der durch den Willen des Schicksals auf ihm lastete. Es war der Fluch, mit der Waffe in der Hand sich einen Weg zu bahnen, um selbst weiterleben zu können.
Dan Flemming hatte am Hufschlag der sich nähernden Kavalkade bereits erkannt, dass sie aus drei Männern bestand. Bei den Rohhäutern gab es einige besonders beschlagene Männer, die schnelle Pferde hatten, stark bewaffnet waren und für ihren Anführer durch die Hölle reiten würden. Dans Nasenflügel vibrierten wie bei einem witternden Tier, das die drohende Gefahr mit feinem Instinkt erfasst hat. Wer Dan jetzt in dieser Verfassung zu sehen bekommen hätte, würde ihn für einen Mann von dreißig Jahren halten, so verändert und gealtert wirkte jetzt sein Gesicht. Die letzten Spuren der Jugend waren aus ihm gewichen. Seine Augenlider zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, und sein Blick drang durch das Gebüsch mit der Schärfe eines nach Beute ausspähenden Adlers. Er schreckte nicht einmal zusammen, als die drei Reiter in sein Blickfeld kamen.
Beim Anblick der drei Männer atmete er erleichtert auf, denn an ihren Silhouetten erkannte er, dass es keine ihn verfolgenden Rohhäuter waren. Es waren fremde Männer, die langsam und sehr vorsichtig ritten, so als warteten sie auf etwas ganz Bestimmtes. Etwa zwanzig Schritt von Dans Versteck gingen sie mit ihren Pferden in Deckung. Einer nach dem anderen verschwand, so als würde er von der Schwärze der scheidenden Nacht aufgesogen. Dan wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass sie ihn irgendwie bemerkt hatten, so sehr ihm sein Verstand auch sagte, dass das nicht gut möglich sein konnte. Sie kamen aus einer Richtung, die er selbst nicht geritten war. Die Angst, dass der Rappwallach schnauben oder wiehern könnte, hatte ihn dazu veranlasst, mit beiden Händen die Nüstern des Tieres zuzuhalten. Er merkte, dass diese Vorsichtsmaßnahme nicht nötig war, denn der Rappwallach gehörte zu jener Sorte gut dressierter Pferde, die ein Kenner für das Leben in diesem Lande abgerichtet hatte. Das Tier stand wie aus Erz gegossen, und nur seine Ohren bewegten sich.
Vor der Ankunft der drei Reiter hatte sich Dan wieder in den Sattel geschwungen. Reglos saß er jetzt und lauschte. Nichts regte und rührte sich. Nicht lange allerdings blieb dieser Scheinfriede