Paganini - Der Teufelsgeiger. Christina Geiselhart
Читать онлайн книгу.Buonarotti war nach kurzem Frankreich-Aufenthalt, wo er sich Anregungen und geistige Nahrung für den italienischen Aufstand geholt hatte, zurück bei seiner Frau Francesca und seinem Sohn Andrea. Er blieb drei Tage im Haus in Carrara, aß genüsslich die würzige Pasta und trank vom toskanischen Wein. Seine Gedanken hingegen flohen immer wieder zu der neuen Arbeit. Er sollte als Kommissar in der Republik Oneglia fungieren, zögerte jedoch, Francesca von der Notwendigkeit eines Umzugs zu überzeugen. Natürlich steckte hinter seinem Zögern nicht nur die Furcht vor ihrem Gezeter – sie war vernarrt in die Toskana und wollte sie nicht verlassen –, ihm graute auch vor ihrer Reaktion, entdeckte sie den wahren Grund des Umzuges. Deshalb machte er sich zunächst allein auf den Weg. Hätte er in Oneglia erst einmal ein hübsches Häuschen erworben, würde er sie locken und zerstreuen können. An Geldmitteln fehlte es ihm nicht. Seine französischen Gesinnungsgenossen hatten ihn großzügig ausgestattet, verlangten allerdings als Gegenleistung, unter dem Deckmantel des politischen Kommissars in Oneglia ein jakobinisches Hauptquartier zu errichten.
Glücklicherweise erfuhr Francesca davon zunächst nichts. Ihr Zetermaul aber war durch den Hauskauf gestopft und statt lästige Fragen zu stellen, jubilierte sie über den finanziellen Aufstieg ihres Mannes. Der fünfjährige Andrea wiederum hätte gerne Fragen gestellt. Es interessierte ihn, wohin sein Vater ging, wenn er nachts das Haus verließ, er folgte ihm mit den Augen, lauschte auf seine Worte, wenn abends Freunde kamen, mit denen er in einem Zimmer verschwand. Bewundernd sah er an ihm hoch, weil er die Bewunderung und den Respekt der anderen für seinen Vater spürte. Manchmal nahm Buonarotti seine kleine Familie zu Versammlungen mit, aber nur, weil die Mitglieder mit Essen und Getränken versorgt werden mussten, wofür sie Frauen brauchten.
Bei einer dieser Versammlungen – es war im März 1795 – lernte Andrea die vierjährige Carlotta Servetto kennen. Die Kleine war von Anfang an dabei, da Giorgio immer mit Frau und Kind nach Oneglia kam. In Signora Servetto wütete der Kampf um ein unabhängiges Italien mehr als in Giorgio. Sie hasste Kaiser Franz, schimpfte ihn einen Barbaren, unfähig und unwillig, die italienische Kultur und Mentalität zu begreifen oder ihr entgegenzukommen. Ein Haustyrann im Schlafrock und Käppchen, so nannte sie ihn. Als einzige Frau unter den Männern lockerte sie die ernsten Gespräche mit frechen Reden auf, während die Kinder unterm Tisch miteinander Bekanntschaft machten.
Als Buonarotti ein Jahr zuvor von Robespierres Hinrichtung erfahren hatte, war es ihm kalt den Rücken hinuntergelaufen, aber es war ihm nicht der Gedanke gekommen, eines Tages selbst ein Opfer der neuen französischen Regierung zu werden. Ahnungslos hatte er im Königreich Neapel, in der Lombardei, in Ligurien, doch vor allem im Piemont Unterschriftenlisten verteilen lassen, die mit einem für ihn verhängnisvollen Satz endeten: Die Zeit ist reif, dass die Perücken von unseren Händen gekämmt werden. Anlässlich seines Aufenthalts in Menton wurde er verhaftet und als Anhänger Robespierres bei Wasser und Brot eingesperrt. Der Freiheitsentzug sollte sein rebellisches Blut beruhigen, aber Buonarotti zürnte nun erst recht. Wieder auf freiem Fuß stürzte er sich erneut in die Arbeit. Dank der Gelder der französischen Genossen und der Hilfe seiner Freunde konnte er sein Programm radikalisieren. Der junge Andrea zählte zu seinen treuesten Anhängern.
9
Antonio war froh, in Parma zu sein und weder dem Dottore noch Giorgio zu begegnen. Die in seinen Augen Verblendeten hatten sich einer von Buonarotti ins Leben gerufenen Organisation verschrieben, die mittlerweile einen Namen trug, aber noch stets aus einem Haufen orientierungsloser, begeisterter junger Männer bestand, dem die Konsequenzen seiner Rebellion nicht bewusst war. Sie nannten sich Jakobiner, sangen „La Carmagnola“ und trugen die phrygische Mütze. Weder Geldstrafen noch die Drohung, dafür im Gefängnis zu landen, hielten sie zurück. Antonio wollte davon nichts wissen. Er wünschte Ruhe und Sicherheit, um mit Niccolò ungestört Konzertreisen machen zu können. Die Zeiten waren gefährlich, überall brodelte es. Gleichzeitig schien das Land fest im Griff der herrschenden Dynastien und der Kirche zu sein. Aus diesem Grund bangte Antonio auch um Freund Giorgio, der mittlerweile geheiratet und eine Tochter bekommen hatte. Italiens Herrscher waren gewarnt und beugten der Machtergreifung rebellischer Elemente mit schauerlichen Maßnahmen vor. In Neapel wurde ein junger Mann vom Klerus zu einem grässlichen Tod verurteilt, weil er in einer Kirche „Vive Paris, vive la liberté“ geschrien hatte. Sein eigenes Pferd musste ihn so lange durch die Straßen schleifen, bis ihm die Haut in Fetzen hing. Dann schnitt man ihm die Zunge heraus, die Hände ab und knüpfte ihn auf. Sein gesamtes Eigentum ging an die Kirche.
„Diese Verrückten hoffen auf Napoleon als den Retter Italiens!“, zischte Antonio vor sich hin. „Unter seiner starken Hand solle das Land zusammenfinden, würden die Bewohner leichter untereinander handeln, gewinnträchtig verkaufen, sich zu einem gesunden Ganzen entwickeln.“ Er spuckte verächtlich aus. Blutige Aufstände ohne klares Ziel waren an der Tagesordnung. Die einen nahmen Kirche und Christen ins Visier, andere die Juden und Bürger, wieder andere die Reformisten und manche die Franzosen, weil sie diese als neue Fremdherrscher fürchteten.
„Wasser, Klee, Kühe, Musik und Geld sind des Italieners Musen und nicht die Revolution!“, stieß Antonio zornig hervor. Ihm gefiel der Satz. Er sollte einer seiner Prinzipien werden, nur in umgekehrter Reihenfolge.
Januar und Februar des Jahres 1796 vergingen und Antonio konnte sich noch immer nicht entschließen, nach Genua zurückzukehren. Erst sollte Niccolò perfekt sein. Der Junge lernte schnell und nichts interessierte ihn mehr als die Musik. Rund um die Uhr Musik. Spielte er nicht, so komponierte er, und komponierte er nicht, arbeitete er mit Paër oder Ghiretti. Nachts schlief er so tief, dass selbst das heftige Gewitter Mitte Februar ihn nicht aus seinem Träumen reißen konnte. Für Sekunden erhellte sich der Himmel unter tosendem Krachen, strahlte wie ein Diamant und Niccolò schlief. Ja, seine Augen zuckten nicht einmal, als sich der Donner direkt über dem Haus entlud. Das Zimmer flammte in gleißender Helligkeit auf, doch Niccolò lächelte mit geschlossenen Augen. Antonio mochte Naturgewalten nicht. Sie verunsicherten ihn. Beunruhigt warf er sich im Bett von einer Seite auf die andere. Die Nacht trat auf der Stelle, der Morgen wollte nicht kommen, das Unwetter zog sich schwerfällig unter unzufriedenem Grollen zurück.
Der März brachte würzige Luft. Niccolò liebte diese Frische. Nach seinen Übungsstunden spazierte er über den stillen Marktplatz und begrüßte die Vögel vom letzten Jahr.
Der Monat brachte auch die Franzosen nach Italien. Antonio saß am offenen Fenster der Wohnung in Parma, schnupfte Tabak und genoss die grelle Sonne. Indessen der Sohn in einem geschützten Winkel seine täglichen Übungen absolvierte, dachte Antonio über den Einmarsch der Franzosen nach, wobei er hin und wieder laut vor sich hinschimpfte:
„Du, Giorgio, und deine Bande um Buonarotti, ihr werdet nun jubeln. Aber freut euch nicht zu früh! Die Franzosen haben mit ihrem Eroberungszug nichts anderes im Sinne, als ihre Taschen zu füllen. Ein waschechter Genueser riecht so was. An Italiens Einigung liegt ihnen nichts, solange sie von seiner Zerstrittenheit profitieren. Und einem Volk samt dessen Regierungen, die in Zeiten, als Frankreich Descartes, Diderot und Voltaire ausbrütete, in mittelalterlichen Strukturen festklebten, abergläubisch waren und politisch völlig bedeutungslos, traut doch Frankreich keine reifen Schritte zu. Ha, dass ich nicht lache!“, entfuhr es Signor Paganini laut. Niccolò erstarrte in seiner Bewegung und sah verwirrt den Vater an.
„Du hast nichts falsch gemacht, verdammt! Nach allem, was deine schlauen Lehrer behaupten, machst du doch nichts mehr falsch, figlio mio! Ich rede nur so vor mich hin. Spiel und kümmere dich nicht um meine lauten Gedanken!“
Niccolò ließ den Kopf sinken und seufzte. Vaters Worte zu ignorieren, wurde bislang mit Essensentzug oder Backpfeifen bestraft. Erleichtert über die plötzliche Veränderung legte Niccolò die Geige auf den Tisch, schüttelte kräftig seine Arme, spreizte seine Finger und streckte alle seine Glieder, als wolle er mit den Fußspitzen den Boden durchdrücken und andererseits die Zimmerdecke berühren. Sein Vater runzelte die Stirn.
„Lass das sein! Deine Glieder sind schon lang genug. Spiel, habe ich angeordnet!“
Behutsam griff Niccolò wieder zu seinem Instrument. Er nahm es so zärtlich in die Hand wie ein junges Kätzchen.