Arkadiertod. Thomas L. Viernau

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Arkadiertod - Thomas L. Viernau


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habe. »Wenn er noch gelebt hätte, wäre ich nicht hier.« Jedenfalls, ob nun wirklich gesagt oder nur der Fantasie des allzu diensteifrigen Beamten entsprungen, es spielte ja nun auch keine Rolle mehr.

      Die Franzosen waren kampflos in Preußen einmarschiert und hatten das ganze Königreich auf dem Präsentierteller überreicht bekommen. Die Schande blieb haften. Ein Eilbote vermeldete dem Franzosenkaiser, dass sich auch Spandau, die letzte Festung vor Berlin, ergeben hatte. Der Weg in die Hauptstadt war frei.

      Napoleon verbot beim Auszug aus Potsdam, dass die Stadt und der königliche Park mit seinen Schlössern geplündert werden und stellte sie unter seinen persönlichen Schutz.

      IV

      Berlin, Brandenburger Tor

      Montag, 27. Oktober 1806

      Die ganze Stadt war auf den Beinen. Heute Nachmittag sollte er kommen. Der Himmel strahlte sommerlich heiter. Kein Wölkchen verdarb diesen reinen Eindruck. Als ob Napoleon mit den höheren Mächten einen Pakt geschlossen hätte. Sein triumphaler Einzug in die Stadt beschäftigte die Berliner nun schon seit Tagen.

      Der Preußenkönig war geflohen, seine gesamte Familie war ihm schleunigst gefolgt. In Küstrin solle er inzwischen angekommen sein. Von da aus wolle er mit seiner Luise und den Kindern, die inzwischen wohl auch dort angekommen waren, weiter Richtung Königsberg und Memel, in die äußersten Ostprovinzen des Königreichs.

      Auch die Minister seines Hofstaats und die obersten Ministerialbeamten des Kabinetts waren verschwunden. Die Stadt war sich selbst überlassen.

      Für drei Uhr am Nachmittag war der große Triumpheinzug geplant. Napoleon hatte mit seiner Tête Schloss Charlottenburg als Quartier besetzt. Durch den Tiergarten wollte er reiten und auch durch das Brandenburger Tor marschieren.

      Der symbolische Akt sollte letztendlich jedem verbliebenen Bürger klarmachen, wer jetzt in Preußen das Sagen habe.

      Napoleon wusste Bescheid, was die Wirkung seiner persönlichen Präsenz und seiner siegreichen Armee anging. Die Soldaten, Kürassiere und Dragoner hatten allesamt ihre Paradeuniformen angelegt, die Pferde gestriegelt und die Kanonen poliert.

      Die Regimentsfahnen waren ausgebessert worden und wurden in einem bunten Zug vorweg getragen.

      Berlin bekam eine Militärparade geboten, wie sie selbst zu Zeiten des Alten Fritz nicht prächtiger hätte sein können.

      Überall blinkende Messinghelme mit langen Schweifen, schneidige Marschmusik. Zu den Klängen der Marseillaise marschierten laut singende Soldaten. Rassige Pferde und beeindruckende Kanonen, die soeben noch ihre todbringenden Kugeln in die preußischen Linien gefeuert hatten, verstopften die Berliner Straßen.

      Ehrensalven wurden abgefeuert, Trommelwirbel kündigten immer neue Divisionen an. In den Reihen der Napoleonischen Armee marschierten Italiener, Spanier, Rheinländer und ein Janitscharenregiment, das seit dem Ägyptenfeldzug mit dabei war.

      Vorneweg marschierten die unheimlichen Mameluckenverbände in exotischer Tracht, dann die gefürchteten Chausseurs zu Pferde, ihnen folgten Grenadierregimenter und die Artilleristen. Dann kamen die Kürassiere.

      Die Berliner waren zutiefst beeindruckt von diesem Schauspiel. Alle wollten einen Blick auf den Herrn dieser prächtigen Armee werfen. Man sah überall die Marschälle und Generäle in ihren Prachtuniformen herumreiten, aber wo war er?

      »Vive l’empereur!«-Rufe wurden laut.

      Ein kleines Spalier öffnete sich und da kam er geritten. Auf einem weißen Schimmel saß er leutselig lächelnd. In einer unscheinbaren dunkelgrünen Uniform ohne Verzierungen, auf dem Haupte einen schwarzen Zweispitz und einen mausgrauen Mantel lässig über die Schultern gehangen. Das sollte der große Napoleon sein?

      Er war auch gar nicht so klein, wie immer von den Preußenoffizieren erzählt wurde. Auf dem Pferd saß ein Mann, knapp fünfeinhalb Fuß groß, so wie die meisten Berliner es auch waren.

      Jedenfalls starrten die Berliner diese ganze Prozession an, als ob sie den Jahrmarkt im Himmel sehen würden. Ungeniert interessierten sie sich für die fremdländischen Leute und fassten alles an, was ihnen suspekt vorkam. Die Janitscharen mussten es sich gefallen lassen, dass vorwitzige Berliner Jungfern ihnen an den Bartspitzen zogen und die kleinen Jungs zeigten viel Interesse an den blitzenden Säbeln und Geschützen.

      Nach ein paar Stunden herrschte Volksfeststimmung. Die große Parade hatte sich aufgelöst und die Soldaten feierten sich inmitten der ausgelassenen Berliner, die ihre Angst überwunden hatten. Nein, es gab keine Plünderungen und die Soldaten hatten wohl strikte Orders bekommen, sich zurück zu halten. Wein und anderes Hochprozentiges flossen in Strömen, es wurde getanzt und gelacht. Berlin hatte sich schnell arrangiert mit seinen neuen Besatzern.

      Die Franzosen waren anfangs skeptisch. Immerhin waren sie ja als feindliche Besatzer eingerückt. Man witterte Hinterhalte und suchte nach Widerständlern. Doch nichts!

      Alles, was sich noch vor wenigen Tagen ihnen kämpfend in den Weg gestellt hatte, war weg. Keine einzige preußische Uniform war mehr zu sehen.

      Das Stadtschloss wurde von Napoleon symbolisch in Besitz genommen. Im Lustgarten hatten die wichtigsten Regimenter eine Art Biwak aufgebaut und überall in der Stadt waren große Lagerfeuer in den Straßen errichtet worden, die das ganze Treiben illuminierten.

      Am Brandenburger Tor hatten sich die Stadtobersten, also die Reste des Magistrats und eine Bürgerdeputation aufgestellt. Der von Napoleon als Stadtkommandant eingesetzte General Hulin platzierte sich etwas abseits der Magistratsherren. Hinter ihm bezogen die Männer der städtischen Schützengilde in bunten Karnevalsuniformen Stellung, um dem Ganzen einen etwas feierlicheren Rahmen zu geben.

      Glockenläuten aller Berliner Kirchen kündigte den Kaiser an. In den Fenstern der Prachthäuser standen Damen mit weißen Tüchern, die diese schwenken sollten. In ihren Augen standen Tränen, ob nun aus Rührung oder aus Trauer, es ließ sich von unten nicht so genau beobachten.

      Eine Abordnung des Magistrats überreichte symbolisch Napoleon den Rathausschlüssel. Ursprünglich hatte dieser die Schlüsselübergabe abgelehnt, doch dann überraschend der Zeremonie zugestimmt.

      Während der Übergabe riefen die Generäle und bestellten Claqueure: »Hoch, es lebe der Kaiser!«

      In einer stilleren Ecke am Rande des großen Platzes vor dem Tor stand eine kleine Gruppe von Männern in unscheinbarer Zivilkleidung. Sie schienen seltsam unberührt von dem ganzen Zeremoniell zu sein, zeigten keinerlei Begeisterung und beobachteten das Ganze mit stoischer Miene.

      Einer der Männer der Gruppe war der Überbringer der ersten Unglücksbotschaften von den Schlachtfeldern im Thüringischen. Es war Kammergerichtsrat Bogislav von Hummel, der als Sondergesandte des Königs die Verbindung nach Berlin halten sollte. Neben ihm standen weitere preußische Verwaltungsleute, deren Posten jetzt wahrscheinlich vakant wurden. Ein großgewachsener Mann mit leicht graumeliertem Haar ragte etwas heraus aus der Gruppe. Es war der Archivarius Ottmar von Lindhorst dem das Geheime Staatsarchiv unterstand. Dort hatten nur er und zwei ihm untergebene Assistenten Zugang. Die weiteren Herren der kleinen Gruppe waren Konrektor Anselmus Paulmann, der Geheime Hofrat Erasmus Spykher, Justizrat Alois von Vach, der Geheime Sekretarius Cyprian Drosselmeyer und Medizinalrat Eugen Eisenbaum.

      Diese sehr ehrenwerten Herrschaften hätten eigentlich mit bei der Bürgerdeputation am Brandenburger Tor stehen sollen, um dem Kaiser Napoleon ihre Aufwartung zu machen. Aber sie hielten sich abseits, steckten ihre Köpfe zusammen und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme.

      Lindhorst berichtete mit gesenkter Stimme: »Die Königin hat vor ihrer Abreise unserem Minister von Hardenberg noch Orders gegeben. Auch Hardenberg ist untergetaucht. Napoleon hegt gegen ihn einen speziellen Argwohn. Er glaubt, dass unser Minister ein Drahtzieher des möglichen Widerstands gegen ihn sein könnte.«

      Spykher konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: »Da hat der Korse wohl gar nicht so Unrecht!«


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