Nixentod. Thomas L. Viernau
Читать онлайн книгу.kleine Bücher hatte er inzwischen entdeckt: Edgar Wallace und Agatha Christie. Er kannte sie schon, aber sein guter Freund Voßwinkel war ebenfalls ein Krimiliebhaber und Sammler. Ein guter Grund, mal wieder mit einer Flasche Rotwein bei ihm vorbeizuschauen. In letzter Zeit hatten sie sich nur selten gesehen, obwohl Voßwinkel nur zehn Minuten entfernt von Linthdorf wohnte.
Der Antiquar war auf einmal freundlich gestimmt. Er sah, dass sein riesiger Kunde wirklich Interesse an den Büchern und sogar schon welche ausgewählt hatte. Beim Bezahlen fragte Linthdorf nach dem Geschäft. »Ziemlich schwierige Lage hier?«
Der Antiquar winkte ab: »Ach, ich hab’ schon schlechtere Läden gehabt.«
»Aber von der Laufkundschaft können Sie hier nicht existieren?«
»Nee, ick hab’ aber meene Stammkunden. Liebhaber, Studenten und Sammler. Die sind mir auch viel lieber. Jedes Mal hat man noch ein nettes Gespräch über die Weltenläufe und bekommt so etwas mit über seine Umwelt.«
»Ich bin auf der Suche nach Frau Karolin Brakel. Kennen Sie die?«
»Die wohnt doch hier. Klar, kenn’ ick! Wieso wollen Sie das wissen?«. Der Antiquar stutzte.
Linthdorf zückte seinen Dienstausweis. Erschrocken wich der Antiquar zurück. Mit der Polizei wollte er nichts zu tun haben.
»Hat se wat verbrochen? War eijentlich immer ne janz nette. Stets freundlich. Brachte ab und zu mal Bücher vorbei. Schien wohl nicht janz so vermögend zu sein. Hab se jetzt aber schon ne janze Zeitlang nicht mehr jesehn.«
»Sie ist tot. Wir untersuchen die Umstände ihres Todes, da gibt es noch Klärungsbedarf.«
Der Antiquar kratzte sich seinen grauen Bart. Er begann in einer Ecke zu wühlen, die Linthdorf bisher achtlos liegen gelassen hatte. Es war die Esoterik-Abteilung. Horoskope, Astrologie, Psi-Erfahrungen, Feng-Shui und andere übersinnliche Literatur lagen dort aufgestapelt. Die bunt aufgemachten Bücher hatten auf Linthdorf keinen Reiz ausgeübt, darin zu blättern. Der Antiquar zerrte aus dem Stapel ein paar dünne Schwarten.
»Die hab ick für sie zurückjelegt. Hatte se schon vor Weihnachten bei mir entdeckt und wollte se imma ma abholen kommen, aba kam nicht mehr. Da hab ick se wieder zurück in’n Stapel jepackt.«
Vor Linthdorf lagen zwei Paperpacks mit der für esoterische Literatur typischen Aufmachung. Irgendwelche verschwimmenden Farben in grellem Orange und dunkelblauen Tönen. Die Titel waren die für die Branche üblichen Verheißungen: »Endlich glücklich!« und »Glück ist kein Zufall«. Im Untertitel wurde dann schon mehr erklärt. Das orangefarbene Büchlein war ein Traumdeuterbuch und das dunkelblaue ein Buch über indianische Astrologie. Linthdorf kaufte die beiden Büchlein ebenfalls.
Der Antiquar freute sich über den unerwarteten Umsatz. Er gab dem riesigen Polizisten noch den Tipp, gleich nebenan bei der Mutter des Opfers zu klingeln. Sie wohnte fast Tür an Tür mit ihrer Tochter.
Berlin-Wedding
Immer noch Montag, 16. Januar 2006
Linthdorf klingelte an der Wohnungstür von Frau Bärbel Zabelthau. Keine Reaktion. Er lauschte, ob sich hinter der schweren Tür etwas regte. Hinter sich hörte er schlurfende Schritte.
»Wollen se zur Frau Zabelthau? Die is verreist nach Bayern zu ihre Kinders, kommt erst nächste Woche wieda.«
Linthdorf zögerte. »Wissen Sie, wie lange die Frau schon weg ist?«
Die ältere Dame musterte ihn skeptisch. »Wieso wollense det wissen? Wer sind se denn übahaupt?«
Umständlich zog Linthdorf seinen Dienstausweis hervor. Die Frau schlug die Hand vor den Mund: »Oweih, hatse wat ausjefressen? Aba die Bärbel doch nich. Det hängt bestimmt mit ihrem feinen Frollein Tochta zusammen, die is imma ma for sowat jut. Nee, die Bärbel is schon vor Weihnachten wech zu ihre Kinders. Machtse jedes Jahr. Is ihr hier zu trübsinnig, sachtse jedenfalls.«
»Was können Sie mir denn zur Tochter von Frau Zabelthau sagen?«
»Ach, det is ne lange Geschichte. Det Meechen is eijentlich ne freundliche Seele, hat aba wat an sich, was unglücklich macht. Keena weeß, wat mit ihr los is. Ma isse janz verjnügt, ma isse nur n Schatten, mit de Männa isset bei ihr schlecht bestellt. Keena hielts lange bei ihr aus. Bis of den letzten, det wa n freundlicher und jedulgiger Mensch, der hatte se jut im Griff.
Aba irjendwat is da ooch wieda schief jeloofen, Jedenfalls hab ick ihn schon ne janze Zeit lang nich mehr jesehn. Sie übrijens ooch nich. Bestimmt schon seit Weihnachten nich mehr. Aba det will bei ihr nichts heißen. Die verschwindet öfters mal.«
»Was arbeitet sie denn?«
»Sie sacht imma, sie wär‘ selbständich. Aba gloob ick nich, hat nie Jeld, pumpt ihre Mutta dauernd an und looft imma in Klamotten rum wie von vorjestern. Ob se Stütze kriegt, weeß ick nich.«
»Na ja, erst mal vielen Dank. Darf ich noch nach Ihren Namen fragen? Vielleicht müssen wir Sie nochmal befragen ...«
Die ältere Dame wurde ungehalten. »So war det aba nicht jemeint. Also ne Petze bin ick nich!«
Sie zögerte kurz. »Also jut, ick heiße Hildejard Krapf, wohne hier schon seit mehr als fünfunffuffzich Jahre, verwitwet, ehemals Damensalon »Blondet Jift«, det wa ma mein Frisörjeschäft gleich um die Ecke. Bin aba schon in Rente seit zwölf Jahre.«
Linthdorf notierte eifrig die Angaben und verabschiedete sich.
Berlin-Wedding
Montagabend, 16. Januar 2006
Im Treppenhaus war ein eigenartiges trübes Schummerlicht, die Kugellampen verbreiteten unter starker Anstrengung nur ein schwaches Leuchten. Der grüngelbe Ölanstrich im Treppenhaus schluckte fast jedes Lichtquantum auf. Linthdorf brauchte etwas Zeit, um sich zurechtzufinden.
Aus seiner großen Manteltasche wühlte er ein klirrendes Bündel mit Schlüsseln und eigenartig geformten Haken hervor. Auch ein paar Latexhandschuhe förderte er zutage, die er mit geübten Griffen über seine Hände zog.
Er wusste schon, dass er sich jetzt auf verbotenes Terrain begab. Aber da hatte er sich inzwischen ein dickes Fell zugelegt. Falls es notwendig wurde, konnte er ja im Nachhinein noch ein entsprechendes Amtshilfeersuchen an die Berliner Kollegen aufsetzen. Ein Blick auf das Schloss genügte, um aus dem Bündel zwei längliche Haken auszuwählen.
Vorsichtig stocherte er mit dem ersten Haken im Türschloss herum, spürte den Widerstand und ruckelte kurz. Mit einem vernehmbaren Klicken öffnete sich die Tür. Linthdorf schlüpfte hinein, holte seine Taschenlampe aus der anderen Manteltasche und tastete sich voran.
Die Wohnung roch nach allen möglichen exotischen Düften, Weihrauch, Patchouli, Ingwerholz, Ambra, Zimt. Auf einem selbst gezimmerten Regal waren längliche Schalen mit halb abgebrannten Räucherstäbchen zwischen Glaszylindern mit öligen Flüssigkeiten aufgereiht. Vorsichtig schnüffelte Linthdorf in diese Glasflakons hinein. Ein stechender Geruch, erdig schwer, schoss ihm direkt durch die Nase ins Hirn. Die Augen tränten und ein unangenehmes Gefühl von Benommenheit machte sich breit.
Linthdorf ging weiter. Die Altbauwohnung war großzügig geschnitten, der lange Flur führte fast zwölf Meter ins Dunkle. Vier oder fünf Zimmer schien die Wohnung groß zu sein. Er öffnete eine schwere, getäfelte Holztür, die nach links abging.
Das Zimmer war etwas chaotisch eingerichtet. Überall lagen Blätter verstreut auf dem Boden, die Wände waren mit bunten Tüchern behangen, quer durch das Zimmer war eine Schnur gespannt, an der ein schwerer Vorhang hing. Im hinteren Eck war ein Computer aufgebaut. Die paar Grünpflanzen direkt neben dem Fenster waren vertrocknet, hier war schon wochenlang kein Wasser mehr in der staubtrockenen Blumenerde.
Linthdorf setzte sich an den Computer, der kleine Drehhocker ächzte vernehmlich, als der Riese sich auf ihn niederließ. Es war schon ein älteres Modell mit großem Desktop und externen Zusatzmodulen. Der Bildschirm schien auch nicht mehr der Neueste zu sein. Nur langsam bauten sich auf dem gewölbten