Nixentod. Thomas L. Viernau

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Nixentod - Thomas L. Viernau


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waren ohnehin nur wenige Menschen auf Arbeit. Die meisten hatten frei. Die Zeit zwischen den Jahren war eine Zeit voller Müßiggang.

      Nervös fingerte der Mann an seinem Jackett herum, suchte sein Handy. Wählte, fluchte, warf das Handy ungestüm auf den Beifahrersitz. Sein Blick war unstet. Dauernd blickte er auf die schwach leuchtenden Armaturen, schaute dann sofort wieder nach vorne.

      Sein Tankfüllstand zeigte bedrohlich nach unten: fast leer. Die kleine gelbe Leuchtanzeige für die Tankreserve flackerte auch schon auf. Er suchte eine Tankstelle, fuhr ins gleißende Neonlicht hinein und stellte den Motor ab.

      Wie ein Film liefen noch einmal die Ereignisse der letzten Tage vor seinem inneren Auge ab.

      Der aus dem Nichts kommende Streit mit Karolin. Ihr lapidares »Es ist aus«. Sein Zusammenbruch. Die absurde Tristesse des Weihnachtsfestes als Rahmen für diese Tragödie. Der dramatische Auftritt von Karolins Mutter und ihr Tränen überströmtes Gesicht. Dazu das Jammern und Weinen, welches ihm eigentlich zugestanden hätte. Seine stundenlange Irrfahrt durch die Stadt. Die ersten Anzeichen von Wahnvorstellungen.

      Berlin-Wedding

      Nacht, 27. zum 28. Dezember 2005

      Erschöpft lag er auf seinem Bett. Die abendliche Irrfahrt durch die Stadt hatte seine letzten Reserven aufgebraucht, innerlich fühlte er sich leer. Eine absolute Hoffnungslosigkeit hatte ihn befallen. Die große Wohnung wirkte öde. Auf dem Boden lagen achtlos ein paar Klamotten herum, ein paar Schuhe verteilten sich im Flur.

      Was da in den letzten Stunden passiert war, konnte Zach nicht glauben. Innerhalb von nur einem Augenblick war er aus seinem gewohnten Leben gerissen worden.

      Am frühen Morgen stand sie weinend vor ihm, in der Hand einen Brief, den sie ihm wortlos unter Tränen überreichte. Er konnte es zuerst gar nicht glauben, was sich in ihrer schwer leserlichen Handschrift zur Gewissheit formte, die ihm die Luft zum Atmen nahm.

      Sie wollte nicht mehr weiter mit ihm leben, seine Prinzessin, die er abgöttisch liebte, für die er alles in Bewegung setzte, damit sie sich glücklich fühlte. Sie schien ein völlig anderer Mensch geworden zu sein. Was da im Brief stand, war ungeheuerlich.

      Wochenlang soll sie heimlich auf ihrem Bett gesessen und still vor sich hin geweint haben?

      Er hatte davon nie etwas bemerkt, genauso wenig von ihren dauernden Ohnmachtsanfällen und ihrer Schlaflosigkeit. Sie musste eine total unglückliche Frau sein, die ihr Leben mit ihm nur unter großem Widerwillen ertragen hatte. Was für eine Täuschung!

      Am Heiligabend früh hatten sie noch Sex wie immer. Die vertraute Stimmung des freien Morgens hatte auf ihn stets eine stimulierende Wirkung. Er wühlte sich dann immer unter der Decke an sie heran, sog mit gierigen Zügen ihren Duft ein, um sie dann mit seinen Küssen und Liebkosungen zu bedecken. Willig wie immer ging sie auf das sich stets wiederholende Spiel von Annäherung und Entdeckerfreude ein. Nichts deutete auf ein Zerwürfnis. Nach dem Akt der Vereinigung lagen sie wie immer völlig ausgepumpt, aber zufrieden eng aneinandergeschmiegt, genossen diesen Moment der totalen Zweisamkeit.

      Dann begann der Tag, erst duschen, dann Frühstück machen – alles wurde zelebriert. Für das Frühstück wurde der runde Tisch unter dem flämischen Leuchter im großen Esszimmer gedeckt. Wochentags saß man am kleinen Küchentisch. Frühstück am Wochenende war ein stundenlang sich hinziehendes Ritual mit klassischer Musikuntermalung, frisch gekochten Eiern, aufgebackenen Brötchen und diversen Leckereien, die speziell für dieses morgendliche Fest eingekauft worden waren.

      Er genoss diese Zeit. Ein Bekannter hatte ihm einmal gesagt, dass beim Frühstück die Menschen ihr wahres Wesen zeigen würden. Ob sie glücklich seien oder nicht, würde diese Stunde offenbaren. Anfangs hatte er diese kryptischen Worte abgetan als eine dumme Redensart, aber mit der Zeit hatte er den wirklichen Sinn der Worte für sich erkannt. Es war ein totaler Luxus, sich diese Zeit zu gönnen und solch ein königliches Frühstück zu zelebrieren. Eigentlich kannte er nur wenige Menschen, die es ähnlich taten. Es war zutiefst spießig, aber es gefiel ihm. Und ihr auch, dachte er jedenfalls bisher.

      Heute Morgen, ein freier Tag war dieser Dienstag auch, war alles anders. Sie war schon ungewöhnlich früh aufgestanden, huschte auf leisen Sohlen aus dem Schlafzimmer. Zach döste noch, nahm ihr Aufstehen nur im Halbschlaf wahr.

      Sie musste öfters mal raus, war eben eine Frau. Irgendwann um kurz nach Neun stand er auch auf. Nichts war in der Wohnung anders, aber irgendetwas stimmte nicht mit diesem Tag. Wo war sie?

      Er schlurfte in die Küche, setzte Kaffeewasser im Wasserkocher auf und knipste das Radio an, um diese ungewöhnliche Stille zu durchbrechen und das Gefühl der Irritation zu verdrängen.

      Dann stand sie da. Heulend und irgendwie völlig verloren. Sie kam auf ihn zu, umarmte ihn, stammelte etwas Unverständliches, als ob sie es selbst nicht glauben könnte, dass sie jetzt hier so vor ihm stand, um diese Botschaft zu verkünden.

      Zach wurde schwindelig. Er saß auf seinem Stuhl, erstarrt, unfähig, irgendetwas zu erwidern oder zu tun. In seinem Hirn hämmerte dauernd ein Satz durch die Windungen: Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr, das kann nur ein böser Traum sein ...

      Aber die Wirklichkeit blieb, so wie soeben erlebt. Alles wurde schlagartig grau um ihn. Er nahm alles durch einen Filter wahr, der die Wohnung und ihn in die farblose Welt der Tristesse tauchte.

      In ihm wehrte sich alles gegen diese große Traurigkeit, aber es nützte nichts. Körperlich konnte er es spüren, wie jede einzelne Region seines Körpers von ihr befallen wurde. Seine Arme und Beine wurden wie Gummi, die Knie versagten ihren Dienst, er knickte einfach in sich zusammen. Die Kühle des Wintertags, die eigentlich draußen vor dem Fenster herrschte, breitete sich langsam in ihm aus.

      Was da mit ihm passierte, konnte er rational nicht fassen, eine tiefe Verunsicherung hatte ihn erfasst. Karolin war aus der Küche gegangen und hatte ihn mit dem Brief allein zurückgelassen. Er versuchte sich zu sammeln, unmöglich überhaupt der Versuch, etwas Klarheit zu bekommen.

      Warum nur?

      Was hatte er getan?

      Diese Fragen kreisten wie ein ständig sich wiederholendes Signal in Sekundenbruchteilen durch sein Hirn. Er konnte nichts Anderes denken, nur diese Worte erhoben sich aus dem Nichts der inneren Leere zu bedrohlich großen Riesenlettern, die in tiefstem Rot sich auf seine Netzhaut brannten und alles andere verdrängten.

      Ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Brustkorb. Er rang um Luft, konnte die Katastrophe nun körperlich spüren.

      So etwas musste also das »gebrochene Herz« sein. In den romantischen Gedichten seiner Jugend wurde es oft beschworen, er hatte damals immer darüber gelächelt. Eine schöne Metapher für einen Seelenzustand des Verlassenwerdens, gern genutzt von allen jugendlichen Schwärmern. Das ihm so etwas zustoßen würde, hatte er nie zu träumen gewagt.

      Er saß wohl eine Stunde, vielleicht auch länger, so erstarrt in der Küche. Kein Geräusch war mehr zu hören, das Radio war aus, von Karolin war nichts zu merken. War sie überhaupt noch in der Wohnung? Zach erhob sich langsam, der Schmerz im Brustkorb war deutlich spürbar beim Aufstehen. Er schlich den langen Flur entlang, spähte in die Zimmer, sah sie endlich hinter ihrem Computer sitzen und intensiv auf den Monitor schauen. »Karolin, was hast du nur getan?«

      »Lass mich, ich kann jetzt nicht mit dir sprechen. Alles ist aus, es ist aus! Lass mich allein!«

      Zach wandte sich ab, schlug die Tür in einer wilden Aufwallung von Wut zu. Ein lautes Krachen begleitete das Zuschlagen. Im Flur fiel eine kleine Statue vom Regal und zerbrach auf dem Boden. Zach suchte den Autoschlüssel und rannte dann die Treppen runter.

      Nur weg, raus hier, er schien die Luft in der Wohnung nicht mehr atmen zu können. Quietschend setzte sich der Kombi in Bewegung, Zach raste durch die stille Nebenstraße, die an diesem Wintermorgen menschenleer war, bog auf die nächste Magistrale, ohne auf die Ampelschaltung zu achten. Alles drehte sich vor seinen Augen, er hatte Mühe, das Auto in der Spur zu halten. Was nur hatte er getan? Warum!? Warum!? Warum!?

      Tief in seiner Seele suchte


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