Nixentod. Thomas L. Viernau

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Nixentod - Thomas L. Viernau


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Bilder aus seinem Leben rollten in erstaunlicher Detailtreue und Genauigkeit noch einmal vor ihm ab.

      Er hatte keine Angst mehr. Alles war so gekommen, wie es kommen sollte. Noch einmal schaute er nach oben und sog tief die kalte Winterluft in sich ein. Mit einem Lächeln verabschiedete er sich von der Welt und sprang.

      Melusine – Tod in der Oder

       Die Oder

      

       ... ist ein träger Strom. Abseits des großen Verkehrs zieht sie dahin. Sie entspringt im Mährischen Hochland, windet sich quer durch die Sudeten, nimmt die Wasser vieler kleiner Gebirgsbäche auf, um sich dann mit der Warthe und der Neiße zu vereinen. Ab Ratzdorf ist die Oder die natürliche Grenze zwischen Deutschland und Polen.

       Sie passiert zahlreiche Industriestädte: Forst, Guben, Eisenhüttenstadt, Frankfurt, Schwedt, und ergießt sich bei Stettin in einen großen Binnensee: das Haff. Am nördlichen Ufer hat das Haff einen Zugang zur Ostsee. Dort werden die Wassermassen der Oder ins Meer geleitet.

       Steht man am Ufer dieses Flusses, dann fallen einem die vielen Untiefen und Sandbänke auf, die tückische Strudel bilden. Der an seiner Oberfläche so ruhig und schläfrig wirkende Strom verbirgt seine immense Kraft geschickt.

       Erst wenn man es einmal versucht hat, in der Oder zu schwimmen, weiß man über die

       Schrecken ...

      

       Melusine war eine echte Nixe. Im Altfranzösischen wird sie als »Schlangenweib« bezeichnet. Der Sage nach soll Melusine den Herrn von Lusignan verhext haben. Die wasserlastige Dämonin, deren Reizen niemand widerstehen konnte, habe den Herrn von Lusignan, so bezirzt, dass er ihr restlos verfiel und sie heiratete. Als er sie heimlich beim Bade beobachtete, verwandelte sie sich in eine Seeschlange und verschwand im Wasser auf Nimmerwiedersehen. Der Ritter wurde darüber unglücklich, verlor sein Vermögen und starb einsam und verlassen.

      Melusine

      Oderufer bei Kienitz

      Sonntag, 1. Januar 2006

      Was da im Eis trieb war nur schwer zu erkennen. Etwas Dunkles schien es zu sein, was da ab und an zwischen den Eisschollen hervorkam. Schwer zu sagen, ob es noch brauchbares Treibgut abgeben würde.

      Die Gestalt am Ufer der Oder stand etwas unschlüssig und blickte zweifelnd aufs Eis. Eisnebel ließ die andere Uferlinie nur erahnen. Unheimliche Geräusche kamen vom Fluss.

      Jedes Mal, wenn die brechenden Schollen aneinander krachten, erklang ein markerschütterndes Ächzen, als ob der Fluss unter der Last des Eises stöhne. Das dunkle Etwas inmitten der Eiswelt verschwand und tauchte an einer anderen Stelle wieder auf.

      Irritiert trabte der kleine Mann neben den Schollen her und versuchte dem Eisstrom zu folgen. Hier auf dem Oderdeich ließ es sich gut laufen. Die Luft war trotz der Frosttemperaturen angenehm zu atmen. Man konnte schon etwas vom Ende des Winters spüren.

      Jede Zeit hatte ihren speziellen Geruch in der Luft. Das Nahen des Winters kündigte sich durch einen Hauch von Rauch im Äther an. Sein Verschwinden und der diskrete Duft vermoderter Blätter deuteten die Ankunft des Frühlings an.

      Der einsame Läufer starrte auf den dunklen Fleck inmitten des Eischaos. Irgendetwas störte den Beobachter an diesem Ding. Es schien sich zu bewegen ...

      Oder täuschte nur das Eisflimmern eine Bewegung vor? Endlich schien der dunkle Fleck näher zu kommen. Die Oder hatte hier bei Kienitz viele Sandbänke, die den Fluss beschleunigten. An der Strömungsseite der einen großen Sandbank, kurz vor dem alten Heizkraftwerk, türmten sich die Eisschollen zu bizarren Eisbergen auf. Eingekeilt zwischen zwei großen Bruchschollen blieb das dunkle Etwas hängen.

      Der Deichläufer erklomm vorsichtig das kleine Gebirge aus Eiskanten und Schneeresten. Je näher er sich heranarbeitete, desto mulmiger wurde ihm. Der ganze Eisberg schien recht instabil zu sein. Vor ihm wuchs das Bündel an. Ein größerer Körper schien es zu sein.

      Eigentlich wollte er sich schon wieder davonmachen, aber etwas ließ ihn plötzlich erstarren. Winkte da nicht ein Arm aus dem Eis?

      Dieser grünlich bläuliche Stecken hatte jedenfalls verblüffende Ähnlichkeit mit einem menschlichen Arm und einer Hand, deren Finger starr in alle Richtungen abstanden. Etwas ungläubig näherte sich der Flussläufer dem Ding. Aus dem mulmigen Gefühl wurde Gewissheit - im Eis vor ihm erblickte er die grünlich grau verfärbte Leiche einer nackten Frau.

      Das Eis hatte ganze Arbeit geleistet. Der Körper war stark zerschunden. Überall waren große Schnittwunden zu sehen, die, inzwischen blutleer, weit auseinanderklafften. Auch das Gesicht war stark entstellt.

      Da, wo eigentlich die Augen sein sollten, waren leere Höhlen, von der Nase war nicht mehr viel zu erkennen und auch die Ohren waren nur noch als Ansätze zu erahnen. Verfilztes langes Haar bedeckte den Kopf gnädigerweise so, dass die Wunden nur beim genauen Hinsehen zu entdecken waren.

      Der ganze Torso hing fast vollständig im Eiswasser zwischen den Eisschollen, die hier an der Sandbank einen kleinen schützenden Freiraum geschaffen hatten. Dem Entdecker des grausigen Fundes wurde spontan übel. Er erbrach sich direkt ins Wasser. Etwas benommen torkelte er zurück ans sichere Ufer.

      Er hatte den Damm noch nicht wieder erklommen, als er etwas sah, was ihn zutiefst verstörte. Er sah einen Mann die Deichkrone herabrennen Richtung Sandbank. Auch er schien die merkwürdige Frauengestalt im Eis entdeckt zu haben. Aber nicht das irritierte den kleinen Mann. Das Gesicht des ihm entgegenkommenden Mannes war ihm merkwürdig vertraut und gleichzeitig auch vollkommen fremd.

      Ein Spuk am helllichten Tage. Vielleicht hing es ja mit der Frau im Eis zusammen. Vielleicht war sie ja gar kein menschliches Wesen, sondern eine Nixe. Ihm fielen all die wunderlichen Geschichten ein, die seine Mutter abends immer vor dem Einschlafen erzählt hatte.

      Später hatte sie zwar stets gesagt, dass es alles Märchen seien, aber offensichtlich schienen sie doch viel mehr Wirklichkeit zu sein, als er zu glauben wagte.

      Unschlüssig darüber, was er nun machen sollte, lief er auf und ab. Sprach mit sich selbst, schlug sich mit beiden Fäusten auf die Oberschenkel, um zu spüren, dass das alles kein Traum sei.

      Die Eisluft begann schon ihr helles Flirren zu verlieren. Ein Hauch Dämmerung zog heran, tauchte die Uferwelt ins matte Blau der Winternacht. In der Ferne erklang das Läuten einer Kirchenglocke. Viermal schlug es an. Nervös blickte der Uferläufer Richtung Kienitz. Zögernd lief er Richtung Dorf davon.

      Eine Meldung in der Märkischen Oderzeitung vom 3. Januar 2006

      Am Morgen des 2. Januar wurde in der Nähe des Ortes Kienitz eine weibliche Leiche aus der Oder geborgen. Die Örtliche Freiwillige Feuerwehr hatte bei einer Übung die Tote am Ufer der Oder inmitten von Treibeis entdeckt, wie eine Polizeisprecherin mitteilte.

      Hinweise auf ein Fremdverschulden für den Tod konnten zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht bestätigt werden, da die Leiche durch das Einwirken des Treibeises stark in Mitleidenschaft gezogen wurde.

      Näheres über die Todesursache wird erst eine Obduktion ergeben, fuhr die Polizeisprecherin fort. Auch Angaben über Herkunft und Alter der Person sind bisher nicht möglich.

      Und ein Bericht ...

      Übungsausfahrt der Freiwilligen Feuerwehr Kienitz am 2.1.2006

      Am Morgen des 2.1.2006 trafen sich die Mitglieder der FFW Kienitz zum traditionellen Jahresauftakt am Spritzenhaus.


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