EMP. Andrea Ross

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EMP - Andrea Ross


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Die Gefrierfächer habe ich schon ausräumen müssen. Nur – wie zum Teufel kriegt man eine Pizza gebacken, so ganz ohne Mikrowelle und Backofen? Ich werde das aufgetaute Zeug morgen alles wegwerfen müssen. Schade drum.

      Aber zurück zum heutigen Vormittag. Ich stieg also neben der Behringer die Treppe hinunter, wobei meine dicke Begleiterin unablässig mit ihrer schrillen Fistelstimme auf mich einredete. Sie erwog wohl allen Ernstes, Eckis wilden Spekulationen Glauben zu schenken, wonach die schon lange unerkannt auf der Erde anwesenden Außerirdischen heute nun die Erdenbewohner elektrotechnisch handlungsunfähig gemacht hätten, um den Planeten endgültig an sich zu reißen.

      Ich hörte nur mit einem Ohr zu, weil ich mir längst eigene, erheblich nüchternere Gedanken zu den seltsamen Ereignissen machte. Wenn das Ganze lediglich ein Energieproblem wäre – warum betrifft es dann auch den Akku meines Notebooks? Oder den des Handys? Warum funktioniert selbst die Ölheizung nicht?

      Als wir auf der Straße ankamen, wo sich bereits Dutzende von Leuten tummelten und angeregt diskutierten, gesellte sich meinem Fragenkatalog ein weiterer Eintrag hinzu. Wieso, um alles in der Welt, fuhr kein einziges Auto die Straße entlang?

      Einige Fahrzeuge standen mitten auf der Fahrbahn herum, als wären sie in ihrer letzten Bewegung eingefroren. Andere waren feinsäuberlich am Straßenrand geparkt worden, während ihre Besitzer ratlos vor der Motorhaube standen und sich keinen Reim darauf machen konnten, wieso die gottverdammte Schrottmühle plötzlich nicht mehr anspringt.

      Es gab ja auch wirklich keinen vernünftigen Grund für die kollektive Funktionsuntüchtigkeit – die Außentemperatur musste um die 3 Grad plus betragen, eine kältebedingte Ursache schied somit aus.

      Nach mehreren Anläufen traf ich endlich auf einen älteren Herrn, der mir dank einer ebenso alten Schweizer Taschenuhr, welche einwandfrei funktionierte, die genaue Uhrzeit verraten konnte. 10.38 Uhr! Verflixt noch mal, das war wirklich spät!

      Mein schlechtes Gewissen befahl mir, auf der Stelle zur Behörde zu fahren. Auch wenn mir mittlerweile klar war, dass ich ganz bestimmt nicht die Einzige wäre, die heute zu spät einträfe. Besonders die vielen Kollegen von auswärts dürften erhebliche Schwierigkeiten gehabt haben, pünktlich bis nach Bayreuth zum Arbeitsplatz zu gelangen, überlegte ich mir.

      Oder war das Problem rein auf das Stadtgebiet begrenzt? Ich würde es sicher herausfinden, sobald ich mir dort im Amt ein Bild gemacht und mit Kollegen gesprochen hätte. Das war der Plan, den ich umzusetzen gedachte.

      Tief in Gedanken versunken erreichte ich den Parkplatz meiner Wohnanlage, wo mein »schöner Autowagen«, wie ich den uralten Opel Corsa liebevoll nenne, wie eh und je in Parkbucht Nr. 7 stand und auf mich wartete.

      Dieses Auto und ich, wir beide haben schon so einiges mitgemacht. Deshalb hätte es mich auch kaum gewundert, wenn dieses treue Fahrzeug allen Umständen zum Trotz angesprungen wäre. Probieren musste ich es einfach, auch wenn mein Nachbar lächelnd den Kopf schüttelte und mit verschränkten Armen neben dem Fahrzeug auf das mutmaßlich enttäuschende Ergebnis meiner Bemühungen wartete.

      Der Corsa gab erwartungsgemäß keinen einzigen Ton von sich, als hätte ich den Zündschlüssel überhaupt nicht umgedreht. Die gesamte Elektrik schien kaputt zu sein, denn auch die batteriebetriebenen Geräte ließen sich nicht aktivieren. Weder das Licht, noch das Radio. Ich streichelte meinem vierrädrigen Begleiter bedauernd über das Lenkrad und gab auf. Zum Glück hatte ich noch ein altes Fahrrad im Keller stehen; dieses musste heute nach längerer Zeit mal wieder zum Einsatz kommen.

      Nachdem ich die platten Reifen des Drahtesels aufgepumpt und den Sattel vom Staub befreit hatte, fiel mir ein, dass ich Fahrradfahren im Winter eigentlich hasse wie die Pest. Die Hände werden trotz dicker Handschuhe immer eiskalt, und der Fahrtwind schneidet einem unangenehm ins Gesicht, während man unter seinen dicken Pullovern wegen der ungewohnten Anstrengung schwitzt. Aber heute Vormittag blieb mir nach Lage der Dinge keine andere Wahl.

      Ich glaube, ich unterbreche meine Doku an dieser Stelle erst einmal. Ich bekomme nämlich langsam Hunger.

      *

      Himmel, ist das öde! Weil auch die Straßenbeleuchtung nicht funktioniert, ist die ganze Stadt dunkel wie ein Bären-A…! Ich musste mir eine dicke Stumpen-Kerze anzünden, um überhaupt zu Kühlschrank und Toilette zu finden. Das Ganze hier ist eine kranke Mischung aus Zeltlager-Romantik, Polarcamp und Endzeit-Szenario. Mittlerweile werden mir wegen der ungemütlichen Kälte in dieser Wohnung auch noch die Finger klamm; ich schreibe besser weiter, bevor überhaupt nichts mehr geht. Wie gerne würde ich jetzt träge mit einer Tüte Chips auf der Couch liegen und die Spätnachrichten gucken!

      Weiter im Text! Ich fuhr also mit dem Fahrrad hinüber zum Rathaus. Das sind bloß so um die drei Kilometer, aber mir untrainierten Wesen setzte schon diese Strecke ganz schön zu. An jeder noch so kleinen Steigung trat ich keuchend in die Pedale, während das Fahrrad quietschte, knarzte und klapperte. Das werde ich unbedingt mit Kettenfett und Öl behandeln müssen, falls mein Auto weiterhin streikt.

      Normalerweise ist unser mickriger Bediensteten-Parkplatz derart mit Fahrzeugen vollgestopft, dass sich einige der spät eintreffenden Kollegen verbotswidrig irgendwo an den Rand quetschen müssen. Heute jedoch radelte ich an einer restlos leergefegten Asphalt-Wüste vorbei.

      Daraus schloss ich, dass das Ereignis – welches auch immer – wohl in der Zeit zwischen 5 Uhr und 7 Uhr stattgefunden haben musste. Um 5 Uhr hatten laut Ecki nämlich die Autos noch ganz normal funktioniert, und schon um 7 Uhr wären hier an einem gewöhnlichen Werktag bereits die ersten Kollegen eingetroffen; was jedoch angesichts des komplett verwaisten Parkplatzes zweifellos nicht der Fall gewesen war.

      Fahrräder waren hingegen in ungewohnter Anzahl vor der Glas-Eingangstür des Rathauses abgestellt. Die zugehörigen Kollegen entdeckte ich nur einen Augenblick später, denn sie saßen allesamt diskutierend und gestikulierend in der Lobby vor dem Bürgerinformations-Schalter.

      Offensichtlich war niemand zur normalen Verrichtung des Dienstes nach oben in sein Zimmer gegangen, und wozu auch? Ohne Computerdaten und Telefon konnte man dem Bürger schließlich eher schlecht weiterhelfen. Wobei auch der Bürger heute ganz bestimmt andere Probleme haben mochte, als ausgerechnet einen Antrag beim Amt stellen zu wollen.

      Ich wurde mit so großem Hallo begrüßt, als hätten mich die anwesenden Mitarbeiter der Stadtverwaltung nicht erst gestern gesehen. Man freute sich offensichtlich über jeden Kollegen, der es überhaupt bis zum Rathaus schaffte.

      »Bisschen spät, hä?«, neckte mich Alexandra, meine langjährige Kollegin, mit der ich auch außerdienstlich befreundet bin. »Aber keine Angst, das merkt keiner – die Stempeluhr funktioniert natürlich auch nicht!«, grinste sie verschmitzt.

      Üblicherweise sitzen hier unten in der Lobby einzelne Bürger, die auf ihre antragstellenden Angehörigen warten. Mütter mit sperrigen Kinderwagen, oder am monatlichen Auszahl-Tag diejenigen Bezieher von Hartz IV oder Grundsicherung, welche über kein Bankkonto verfügen und die Stütze in bar abholen.

      Heute jedoch waren alle Polsterstühle besetzt, und der überzählige Rest der Belegschaft hatte sich im Schneidersitz auf dem Fußboden niedergelassen. Schon wieder fühlte ich mich optisch unwillkürlich an eine Art Winter-Biwak erinnert, weil alle Kollegen so dick eingepackt waren. Fast schien es, als müsse gleich jemand seine Gitarre hervorholen, um die üblichen öden Zeltlager-Songs zu klimpern.

      Ich setzte mich neben Alexandra nieder, ließ meinen Blick über die Anwesenden schweifen und fragte: »Sag mal, kommt mir das nur so vor, oder ist hier kaum einer von den Chefs anwesend?«

      Alex nickte bestätigend und meinte: »Na ja, das kommt davon, dass die viel mehr verdienen als wir Fußvolk. Die wohnen nicht in der Innenstadt, sondern haben alle außerhalb gebaut. Wo sie jetzt schön festsitzen, weil ihre dicken Autos genauso wenig funktionieren wie unsere alten Rostlauben!«

      Wir mussten beide herzhaft lachen. Wenn ich mir den einen oder anderen fetten Herrn im Anzug vorstellte, wie er ratlos seine Glatze kratzend vor dem nagelneuen 7er BMW stand, konnte ich die Sache vorübergehend tatsächlich sogar mit Humor betrachten. Aber ich wurde trotzdem gleich


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