EMP. Andrea Ross

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EMP - Andrea Ross


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doch jetzt völlig egal, wir sollten uns lieber darum kümmern, wie wir ohne all die technischen Hilfsmittel überleben können! Wenn ein EMP die Ursache ist – ob nun durch die Sonne oder Terroristen ausgelöst – können wir schließlich nicht damit rechnen, dass sich die entstandenen Schäden in absehbarer Zeit beheben lassen.

      Wo bekommen wir bitteschön Nahrungsmittel her, wenn die Supermärkte nicht öffnen? Wir haben Februar, da entfällt das Beerensammeln!«, bemerkte Alexandra mit reichlich Sarkasmus in der Stimme.

      Zustimmendes Gemurmel wurde laut, denn spätestens in zwei Wochen würde nahezu niemand mehr etwas Genießbares im Kühlschrank liegen haben. Wenige Wochen später wären auch bei strenger Rationierung alle haltbaren Vorräte aufgegessen, nicht jeder besitzt heutzutage eine Speisekammer mit Dosen und Einmachgläsern im Überfluss. Auch ich nicht, meine winzige Küche lässt kaum Lagerhaltung zu. Bis auf ein paar Packungen Spaghetti, einige Gläser selbstgemachter Marmelade von Oma und eine Batterie billiger Dosensuppen ist da nichts Essbares aufzufinden.

      Manch einer hatte sich mit diesem höchst beängstigenden Gedanken an eine drohende Hungersnot offensichtlich bereits auseinandergesetzt, andere Kollegen guckten nach Alexandras Einwurf reichlich erschrocken und ängstlich aus der Wäsche.

      Wir mussten den Versuch einer Problemlösung auf den nächsten Tag verlegen, denn die beginnende Abenddämmerung erinnerte uns unbarmherzig daran, dass es schon bald stockdunkel sein würde und wir dann womöglich nicht mehr in der Lage wären, zurück in unsere ungemütlichen Wohnungen zu finden. So, das war der Rest meiner Dokumentation von gestern! Was würde ich in dieser Kälte nicht alles für eine schöne Tasse heißen Kaffee geben! Jetzt radle ich wieder hinüber zum Rathaus, um zusammen mit meinen Kollegen brauchbare Strategien für die nahe Zukunft auszubaldowern.

      Strategien für den Worst Case, für das nackte Überleben.

      *

       Samstag, 15. Februar 2020

      

      Als ich heute gegen Mittag keuchend vor dem Rathaus eintraf, kamen mir bereits einige Kollegen auf dem Gehweg entgegen.

      »Pass auf, ist glatt heute!«, warnte mich fürsorglich ein Kollege aus dem Steueramt.

      »Habe ich bereits gemerkt!«, grummelte ich düster. Schließlich tat mir alles weh, weil ich wegen des Glatteises zweimal gestürzt war. Zum Glück waren die Stürze glimpflich verlaufen, außer blauen Flecken würde ich nichts zurückbehalten. Streufahrzeuge waren natürlich ebenso außer Betrieb wie alles andere, daran hatte ich beim Losfahren gar nicht gedacht.

      »Stell dein Fahrrad ab, wir laufen gleich los. Schließ dich bitte einer der Gruppen an!«, rief mir Peter zu, der sich anscheinend selbst zu einer Art Anführer ernannt hatte. Ich war wegen der Fertigstellung meiner Dokumentation des gestrigen Tages wohl wieder recht spät dran und hatte einiges verpasst.

      Aus einer der fünf Grüppchen löste sich Alexandra, bewegte sich auf dem glatten Gehweg vorsichtig auf mich zu. »Komm, du kannst mit uns gehen! Wir sind die Lebensmittel-Task Force!«

      »Die was?«, fragte ich erstaunt. Klar konnte ich mir denken, welchen Auftrag Alexandras Gruppe erhalten hatte. Aber musste immer sofort alles unbedingt einen militärischen Anstrich erhalten, sobald sich Katastrophen ereigneten?

      Alex klärte mich auf. Man habe vorhin einhellig beschlossen, dass Herumsitzen und Diskutieren jetzt nicht mehr weiterhelfe. Die Zeit des Handelns sei gekommen. Nur in der Gemeinschaft hätte man eine reelle Chance, Einzelkämpfer würden in dieser veränderten Welt schon bald an ihre Grenzen stoßen.

      Man müsse aber unverzüglich damit beginnen, sich einen umfassenden Überblick zu verschaffen, sonst hätte man schnell das Nachsehen. Schließlich seien sehr viele Leute mit demselben Problem konfrontiert, was unter Garantie nach dem ersten Schreck erbitterte Kämpfe um die wenigen, noch zur Verfügung stehenden Ressourcen bedeute.

      Deswegen seien vorhin fünf Gruppen gebildet worden, welche allesamt mit unterschiedlichen Aufträgen versorgt seien.

      Ich persönlich mochte eigentlich nicht glauben, dass kultivierte Menschen sich wirklich auf der Stelle alle zu rücksichtslosen und gewalttätigen Egoisten zurückentwickeln könnten, sah jedoch ein, dass man sich um die vordringlichen Bedürfnisse kümmern musste. Beamte planen halt gerne, das gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit.

      So schloss ich mich freiwillig dieser Gruppe 1, der so genannten »Lebensmittel-Task Force« an. Schon um für mich selbst herauszufinden, wie ich – beziehungsweise wir – die dringend benötigten Lebensmittel für die nächsten Tage auftreiben können. Gruppe 2 würde als »Mobilitäts-Task Force« nachsehen, ob es außer dem 1968er Mustang von Hausmeister Klaus in der Stadt noch andere Fahrzeuge gibt, die anspringen. Ein Kollege wusste beispielsweise von einem Oldtimer-Club und ein paar weitläufig Bekannten, die sehr alte Fahrzeuge besitzen. Aber sind die auch fahrbereit? Und was ist mit Traktoren oder Fahrzeugen von Polizei oder Bundeswehr?

      Außerdem würde man Benzin, Öl und Diesel benötigen, um die wenigen fahrbaren Untersätze überhaupt benutzen zu können. Wenn die Pumpen in den Tankstellen auch nicht funktionieren, womit sicher zu rechnen ist, dann muss man wohl früher oder später Treibstoff aus den gefüllten Tanks von nicht mehr fahrbereiten Autos ablassen und sich ein Lager anlegen. Dumm nur, dass die meisten Fahrzeuge seit einigen Jahren mit Elektromotoren ausgerüstet sind.

      Hausmeister Klaus gedachte mit der dritten Gruppe, der »Informations-Task Force«, so weit wie möglich aus der Stadt hinaus zu fahren und nachzusehen, ob der EMP örtlich eng begrenzt ist. Vielleicht hätte ja Kulmbach Strom, Nürnberg oder Hof? In diesem Fall könnten wir uns alle dorthin begeben und abwarten, bis auch in Bayreuth langsam wieder die Normalität einkehren würde. Notfalls zu Fuß.

      Auf ihrer Reise sollen nebenbei möglichst viele Leute befragt werden, ob sie über weitreichendere Informationen verfügen als wir. Womöglich existieren gute Ideen, wie man mit der Krise umgehen kann, auf die wir bisher noch nicht gekommen sind.

      Wenn schon das World Wide Web zumindest temporär nicht mehr existiert, dann muss eine andere Art von Informations-Netzwerk aufgebaut werden. Ein persönliches, von Mensch zu Mensch. Die vierte Gruppe rund um Peter würde sich vorrangig um folgende Fragen kümmern: Könnten wir irgendwo zusammen kampieren, damit nicht jeder zurück in seine kalte Wohnung muss? Wie gelingt es, eine Wärmequelle zu schaffen und adäquate Möglichkeiten für die Körperhygiene zu finden, ohne sich mit eiskaltem Wasser waschen zu müssen?

      Was ist mit Medikamenten, die wir früher oder später sicher benötigen werden? Welche mechanischen Geräte funktionieren noch, so dass wir wenigstens ein paar Hilfsmittel für das tägliche Leben verwenden können? Peter bezeichnet diese Task Force mit den Begriffen »Gebrauchsgegenstände und Hygiene«.

      Spätestens dann, wenn unsere Gemeinschaft eines Tages gut funktionieren wird und über Hilfsmittel und Lebensmittel verfügt, die andere nicht besitzen, wird es gefährlich. Da sind wir uns ausnahmsweise alle einig!

      Es wird todsicher eigennützige Leute geben, die uns diese lebensnotwendigen Schätze wieder entreißen wollen, auch unter Gewaltanwendung. Also müssen wir uns mithilfe der Task Force 5 (Verteidigung) unbedingt um den eigenen Schutz kümmern, sei es durch einfache Waffen, sei es durch Verstecke oder Zäune. Mal sehen, was die zuständige Gruppierung sich hierzu ausdenken wird. Ich nahm mir schon mal vor, über Steinschleuderbau nachzudenken und fühlte mich in die Kindheit zurückversetzt. Im Grunde proben die Kinder dieser Welt spielerisch den Ernstfall, indem sie Verstecke anlegen, Kirschen in Nachbars Garten klauen und sich Pfeil und Bogen selber basteln. Wir Erwachsenen müssen all das erst wieder mühsam lernen. Nur mit dem Unterschied, dass unsere Geschicklichkeit letzten Endes wohl über Gedeih und Verderb entscheiden wird. Kein schöner Gedanke.

      Irgendwie ist es schon albern: Eine Horde von degenerierten Rathaus-Bediensteten zieht aus, um das Überleben zu lernen, anstatt dem berüchtigten Beamten-Dreikampf zu frönen oder Beamten-Mikado zu spielen, ha ha.

      Plötzlich ist nicht mehr der Dienstgrad entscheidend, um herauszufinden, wer der Boss ist; im Augenblick


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