Geschichte des peloponnesischen Kriegs (Alle 8 Bände). Thukydides
Читать онлайн книгу.worden ; und sie wissen nicht, daß Hippias, als der älteste unter Pisistratus Söhnen, die Herrschaft besaß, und das Hipparch und Thessalus seine Brüder waren. Weil aber Harmodius und Aristogiton den Verdacht faßten, die Sache sei an jenem Tage und im bestimmten Augenblicke dem Hippias verrathen worden; so wagten sie sich nicht an ihn, da sie ihn vorher unterrichtet glaubten, wollten jedoch vor ihrer Festnehmung etwas thun und wagen; und da sie den Hippard, bei dem sogenannten Leokorion trafen, wie er den Festzug der Panathenäen ordnete, so ermordeten sie ihn. So haben auch andere Griechen von manchem Andern, was noch besteht, und nicht durch die Zeit in Vergessenheit gebracht ist, unrichtige Vorstellungen: wie die ist, daß die Lacedämonischen Könige jeder nicht Eine Stimme, sondern zwei abzugeben haben, und daß es dort eine Aitanatisdie Kriegsschaar gebe, die nie vorhanden war. So wenig Mühe macht den Meistert die Erforschung der Wahrheit, und sie nehmen lieber das Nächste Beste an.
21. Doch man wird nach den angegebenen Gründen wohl nicht irren, wenn man das Alterthum so, wie ich es entwickelt habe, ansieht, und nicht die Lobpreisungen der Dichter, welche die Sache vergrößernd ausschmückten, glaubwürdiger findet, noch die Zusammenstellungen der Sagenschreiber, die mehr für anziehenden Vortrag, als nach der Wahrheit verfaßt, unerweislich und meist durch die Länge der Zeit in unglaubhafte Fabeln übergegangen sind; wenn man vielmehr annimmt, daß der Erfund meiner Forschungen nach den wahrscheinlichsten Gründen, für so alterthümliche Dinge zureichend sei. Wiewohl nun die Menschen einen Krieg, dessen Theilnehmer sie sind, so lang er dauert, stets für den wichtigsten halten, wenn er aber zu Ende ist, das Arte mehr bewundern; so wird doch der jetzige Krieg, bei Erwägung der Thatsachen selbst, seine Wichtigkeit vor den früheren bewähren.
22. Was nun die Reden betrifft, welche da und dort, als man im Begriffe war, den Krieg zu beginnen, oder während desselben gehalten wurden, so wäre es für mich als Ohrenzeugen, und für die, welche mit anderswoher solche hinterbrachten, schwer gewesen, die Ausdrücke in der ursprünglichen Gestalt und mit Genauigkeit zu behalten: doch sind sie von mir so wiedergegeben, wie ich glaubte, daß Jeder unter den vorliegenden Umständen am passendsten geredet haben würde, wobei ich mich so nahe, wie möglich, an den Gesamt-Sinn des wirklichen Vortrags hielt. Den Thatbestand der Kriegsereignisse wollte ich nicht nach einer Erkundung bei dem Ersten Besten, noch nach meiner besondern Anficht aufzeichnen, sondern ich stellte das Einzelne bar, theils wie ich es als Augenzeuge kannte, theils nach möglichst genauer Erforschung von Andern. Es kostete aber Mühe, die Wahrheit herauszufinden, weil die Zuschauer der Begebenheiten in ihren Berichten über dieselben Thatsachen nicht übereinstimmten, sondern so sprachen, wie einer dieser oder jener Partei günstig oder der Erinnerung mächtig war. Die Entfernung vom Märchenhaften in diesen Nachrichten wird dem Ohre vielleicht minder anziehend erscheinen: mir aber wird es genügen, wenn, wer irgend das Zuverlässige über die Vergangenheit sowohl, als über das, was nach dem Laufe der menschlichen Dinge einst wieder auf gleiche oder ähnliche Weise sich ereignen wird, zu erforschen wünscht, dieses Werk für nützlich achtet. Auch ist es mehr zum Besitzthum für alle Zeiten, als zum Redeprunkstück für den Augenblick zusammengestellt.
23. Unter den frühern Begebenheiten war der Perser: krieg die bedeutendste: und doch wurde er durch zwei See- und Land-Schlachten schnell entschieden. Der gegenwärtige Krieg aber hat sich weit in die Länge gezogen, und Hellas erlitt in demselben Unfälle, wie nie in gleichen Zeitraume. Denn nie wurden so viele Städte erobert und verödet, theils durch Barbaren, theils durch die Kriegführenden selbst: einige wechselten auch nach der Eroberung ihre Bewohner ; nie hatten so viele die Heimath verlassen müßen: noch, war je der Menschenverlust, theils wegen des Kriegs selbst, theils wegen der Parteiwuth so groß gewesen. Dinge, die man früher vom Hörensagen kannte, aber sehr selten in der Wirklichkeit er: fuhr, wurden nunmehr glaubwürdig: so die Beschaffenheit der Erdbeben, welche einen sehr großen Theil der Erde zugleich und zwar mit großer Heftigkeit trafen. Auch Sonnenfinsternisse traten häufiger, als man aus frühern Zeiten sich erinnerte, ein: und an einigen Gegenden große Dürre, und durch sie Hungersnoth: endlich die so verderbliche pestartige Seuche, die einen Theil der Bevölkerung hinraffte. Alle diese Plagen kamen im Gefolge dieses Krieges. Es begannen ihn aber die Athener und Peloponnester nach Aufhebung des dreißigjährigen Waffenstillstandes, welchen sie nach der Einnahme von Euböa geschlossen hatten. Damit man jedoch nicht dereinst fragen müße, warum ein so gewaltiger Krieg unter den Hellenen entstand, so beschreibe ich zuvörderst die Ursachen des Bruchs jenes Vertrags und ihre Streitpunkte. Als die eigentliche Ursache, die aber in den Reden am wenigsten hervortrat, betrachte ich die Vergrößerung der Athenischen Macht, welche den Lacedämoniern Furcht einflößte, und sie zum Kriege bestimmte. Die öffentlich, angegebenen Gründe, warum sie den Waffenstillstand aufhoben, und in Kriegszustand traten, waren auf beiden Seiten folgende.
24. Epidamnus1 ist eine Stadt, rechts an der Einfahrt in den Ionischen Meerbusen gelegen: es wohnen in der Nähe Taulantische Barbaren, Illyrischer Abkunft. Diese Pflanzstadt gründeten Korcycäer; der Stifter aber war Phalius, Sohn des Eratoklides, aus Korinthischem Geschlechte, vom Stamme des Herkules, nach alter Sitte aus der Mutterstadt (Korinth) dazu berufen. An dieser Niederlassung nahmen auch einige Korinther und andere vom Dorischen Stamme Theil. Im Verfolge der Zeiten wurde die Stadt der Epidamnier groß und volkreich. Nachdem sie aber viele Jahre hindurch unter sich Parteizwiste gehabt, so litten sie, wie man erzählt, durch einen Krieg mit den angränzenden Bars baren großen Verlust, und wurden eines bedeutenden Theils ihrer Macht beraubt. In der letzten Zeit vor dem gegenwärtigen Kriege verjagte die Volkspartei die Machthaber. Die Verbannten trieben nun in Verbindung mit den Bars baren gegen die Stadtbewohner zu Land und zur See Räuberei. Dadurch bedrängt, schickten die in der Stadt befindlichen Epidamnier Gesandte nach Corcyra, als dem Mutterstaate, und baten, dieser möchte ihrem Untergange nicht gleichgültig zusehen, sondern die Vertriebenen mit ihnen aussöhnen, und dem Kriege mit den Barbaren ein Ende machen. Dieß baten sie, indem sie nach der Weise von Flehens den im Here-Tempel sich niedersetzten. Die Korcycäer aber schenkten diesem Gesuche Pein Gehör, und entließen sie ohne Erfolg.
25. Als nun die Epidamnier sich überzeugten, daß sie von Corcyra keine Hülfe zu erwarten haben, so waren sie verlegen, wie sie sich aus der Sache ziehen sollten. Sie sandten nach Delphi und befragten den Gott, ob sie ihre Stadt den Korinthern, als deren Stiftern, übergeben und versuchen sollten, sich von diesen eine Hülfe zu verschaffen. Der Gott ertheilte den Spruch: sie sollten die Stadt den Korinthern übergeben, und sie zu Anführern nehmen. Die Epidamnier wandten sich nun an Korinth, und unterwarfen ihre Pflanzstadt gemäß dem Götterspruche, indem sie auf diesen sich beriefen, und nachwiesen, daß ihr Stifter aus Korinth gewesen: zugleich, baten sie, man möchte sie dem Untergange nicht preisgeben, sondern ihnen Schutz gewähren. Die Korinther übernahmen, dem Rechte gemäß, die Hülfleistung, in der Ueberzeugung, daß es eben sowohl ihre als der Korcycäer Pflanzstadt sei, zugleich aber auch aus Haß gegen die Korcycäer, weil diese, unerachtet sie eine Korinthische Niederlassung waren, doch die Korinther vernachlässigt hatten. Denn sie gestatteten diesen weder bei allgemeinen Volksfesten die herkömmlichen Auszeichnungen, noch ließen sie, wie andere Pflanzorte, bei den Opferhandlungen den Vorrang einem Korinther, sondern behandelten Korinth mit Geringschätzung, da sie sich an Reichthum damals den wohlhabendsten Hellenischen Staaten gleichstellen konnten, und an Kriegsmacht noch stärker waren. Sie rühmten sich ferner zuweilen eines großen Vorzugs im Seewesen, auch darum, weil die Phäaken, diese berühmten Seeleute, ehemals Corcyra bewohnt hatten; daher rüsteten sie auch um so mehr ihre Flotte, und besaßen darin keine geringe Macht. Denn sie hatten beim Anfange des Kriegs hundert und zwanzig dreiruderige Schiffe.
26. Da nun die Korinther in allen diesen Rücksichten Grund zu Beschwerden hatten, so sandten sie gerne Hülfe nach Epidamnus, und erließen eine Aufforderung, daß, wer da wolle, als Ansiedler hinziehen könne, und schickten eine Besatzung von eigener Mannschaft, wie auch von Ambrakioten und Leukadiern hin. Diese zogen aber auf dem Landwege über Apollonia, eine Korinthische Pflanzstadt, aus Besorgniß, von den Korcycäern bei der Ueberfahrt zur See beunruhigt zu werden. Als diese vernahmen, daß diese Ansiedler und Beratungstruppen nach Epidamnus gekommen seyen, und diese Colonie sich in den Schutz der Korinther begeben habe; so wurden sie sehr ungehalten, und ließen sogleich fünf und zwanzig Schiffe, und später noch ein anderes Geschwader auslaufen, und forderten sie in feindlich drohendem Tone auf, die Verbannten wieder aufzunehmen, und die