Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo
Читать онлайн книгу.die Eliminierung der Form und alles Übrigen in sie eintrittst, wallt sie als wunderbare Fülle auf, als wahres Purnam. Wenn man sowohl bejahend als auch verneinend in sie eintritt, kann tatsächlich die Frage der Leere oder Dürre nicht entstehen. Alles ist vorhanden und mehr noch als man je hätte träumen können. Deshalb darf sich der Intellekt nicht als der sabjanta, der allwissende Richter einmischen; wenn er sich an seine eigenen Grenzen hielte, hätte man nichts gegen ihn einzuwenden. Doch er konstruiert Worte und Ideen, die für die Wahrheit nicht anwendbar sind, er schwatzt in seiner Unwissenheit törichte Dinge und macht aus seinen Konstruktionen einen Wall, der die Wahrheit, die seine Möglichkeiten und seinen Horizont übersteigt, nicht einlässt.
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Wenn man blind ist, ist es ganz natürlich – denn schließlich ist die menschliche Intelligenz bestenfalls eine törichte Angelegenheit – das Tageslicht zu leugnen; wenn die eigene höchste natürliche Schau die eines schimmernden Dunstes ist, ist es natürlich zu glauben, alle hohe Vision sei ebenfalls nur Dunst oder Schimmer. Doch es gibt das Licht trotz allem – und spirituelle Wahrheit ist mehr als nur Dunst und Schimmer.
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Das Buch „The Riddle of this World“ („Das Rätsel dieser Welt“), das Prof. Sorley erwähnt, war natürlich nicht als eine umfassende oder unmittelbare Darlegung meiner Gedankengänge gedacht; und da ich es hauptsächlich für Sadhaks schrieb, wurden viele Dinge dort als bekannt vorausgesetzt. Die meisten der wichtigsten Ideen, wie zum Beispiel die des Obermentals, werden nicht erläutert. Um diese Ideen dem Verstand klarzumachen, müssen sie in eine genaue intellektuelle Form gebracht werden, soweit dies mit überintellektuellen Dingen überhaupt möglich ist. Der Inhalt dieses Buches wird jenen klar sein, die im Bereich innerer Erfahrung weit genug gekommen sind, doch für die meisten kann er nur eine Anregung bedeuten.
Ich glaube jedoch nicht, dass die Darlegung überintellektueller Dinge notwendigerweise ein Unterscheiden in den Begriffen des Intellektes fordert. Denn grundsätzlich gelangt man über das spekulative Denken nicht zu einer Formulierung von [spirituellen] Ideen. Zum spirituellen Wissen gelangt man durch die Erfahrung und durch ein Bewusstsein der Dinge, das direkt aus jener Erfahrung hervorgeht, ihr zugrunde liegt oder in sie einbezogen ist. Grundsätzlich ist also diese Art von Wissen ein Bewusstsein und weder ein Denken noch eine formulierte Idee. Meine erste große Erfahrung zum Beispiel, die durchgreifend und überwältigend war, doch nicht, wie sich herausstellte, endgültig und erschöpfend, kam durch die Ausschließung und Beruhigung allen Denkens; zum ersten Mal erlebte ich etwas, das ein spirituell substantielles oder ein konkretes Bewusstsein der Stille und des Schweigens genannt werden könnte, dann das Gewahrsein einer einzigen und höchsten Wirklichkeit, in der die Dinge nur als Formen bestehen, aber keineswegs als substantielle oder reale oder konkrete Formen; doch all dies war einer spirituellen Wahrnehmung und einem essentiellen, unpersönlichen Empfinden nur etwas Scheinbares, und es bestand nicht die geringste Vorstellung oder Idee einer Wirklichkeit oder Nicht-Wirklichkeit oder irgendeine andere Vorstellung; denn jeder Begriff, jede Idee war in der absoluten Stille zum Schweigen gebracht worden oder war vielmehr völlig abwesend. Diese Dinge wurden unmittelbar durch das reine Bewusstsein und nicht durch das Mental erkannt, daher bestand keine Notwendigkeit für Begriffe oder Worte oder Namen. Dieser Grundzug spiritueller Erfahrung ist aber nicht absolut bindend, denn diese kann zwar ohne das Denken, doch auch mit dem Denken vor sich gehen. Natürlich meint man, dass das Denken einen sofort in den Bereich des Intellektes zurückbrächte – und tatsächlich mag dies zu Beginn und für lange Zeit stimmen; doch muss es nach meiner Erfahrung nicht so sein. Dies geschieht meist dann, wenn man versucht, die Erfahrung intellektuell darzustellen; doch es gibt eine andere Art des Denkens, die hervorbricht, als wäre sie ein Körper oder eine Form jener Erfahrung selbst oder des in ihr enthaltenen Bewusstseins – oder ein Teil dieses Bewusstseins –, und dieses Denken scheint mir in seinem Grunde nicht intellektuell zu sein. Ein anderes Licht, eine andere Macht ist in ihm enthalten, eine Bedeutung innerhalb seiner Bedeutung. Dies tritt besonders deutlich in Erscheinung bei jenen Gedanken, die ohne die Notwendigkeit entstehen, in Worten ausgedrückt zu werden, Gedanken, die die Natur eines direkten Sehens innerhalb des Bewusstseins haben, eine Art innerer Bedeutung oder inneren Kontaktes, der einen genauen Ausdruck seiner Wahrnehmung findet (ich hoffe, dies ist nicht zu mystisch oder unerklärlich), doch man könnte dem entgegenhalten, dass, sobald sich Gedanken in Worte formen, sie zum Herrschaftsbereich des Intellektes gehören, denn Worte werden vom Intellekt geprägt. Doch ist dies tatsächlich oder unweigerlich so? Es schien mir vielmehr immer so, dass Worte ursprünglich von woanders als vom denkenden Mental kämen, obwohl das denkende Mental sich die Herrschaft über sie sicherte, sie für seinen Gebrauch verwendet und frei für seine Zwecke münzt. Doch ist es andererseits nicht auch möglich, Worte für den Ausdruck von etwas Nicht-Intellektuellem zu verwenden? Housman behauptet, Dichtung sei nur dann wahrhaft poetisch, wenn sie nicht-intellektuell, wenn sie „Un-Sinn“ sei. Dies ist zu paradox, doch meint er vermutlich, dass, wenn man die Dichtung der strengen Prüfung des Intellektes unterzieht, sie überspannt erscheint, da sie etwas vermittelt, das eine andere Art von Sehen ausdrückt- und für dieses wirklich ist – als das, was intellektuelles Denken uns vermittelt. Kann es nicht sein, dass Worte einem überintellektuellen Bewusstsein entspringen, welches die essentielle Macht der spirituellen Erfahrung ist, und dass Sprache gebraucht werden kann, um dieses Bewusstsein wenigstens bis zu einem gewissen Grad und auf gewisse Weise auszudrücken? All dies jedoch nur nebenbei – doch wenn man versucht, spirituelle Erfahrung dem Intellekt zu erklären, so ist das etwas völlig anderes.
Die gegenseitige Durchdringung der Ebenen ist tatsächlich für mich ein hauptsächlicher und grundlegender Teil spiritueller Erfahrung, ohne den der Yoga, wie ich ihn ausübe, und sein Ziel nicht bestehen könnten. Denn dieses Ziel ist, ein höheres Bewusstsein auf Erden zu manifestieren, zu erreichen oder zu verkörpern, nicht sich von der Erde abzukehren und einer höheren Welt oder einem höchsten Absoluten zuzuwenden. Die alten Yogasysteme bevorzugten die andere Richtung (nicht alle), doch vermutlich deshalb, weil sie die Erde als ziemlich unmöglichen Ort für jedes spirituelle Wesen ansahen und den Widerstand gegen eine Veränderung für zu groß hielten, als dass er ertragen werden könnte. Die Erdnatur erschien ihnen – nach Vivekanandas Gleichnis – wie der Hundeschwanz, der nach jedem Glattstreichen in seine ursprüngliche Form zurückrollt. Doch die eigentliche Lehre wurde sehr bestimmt in den Upanishaden verkündet, wo es heißt, die Erde sei die Grundlage und alle Welten befänden sich auf der Erde und die Vorstellung eines klar umrissenen oder unüberbrückbaren Unterschiedes zwischen ihnen sei Unwissenheit; hier und nicht anderswo – nicht indem man in eine andere Welt eintritt – hat die göttliche Verwirklichung zu erfolgen. Diese Äußerung sollte eine rein individuelle Verwirklichung rechtfertigen, doch kann sie ebenso gut die Grundlage eines umfassenderen Strebens sein.
Was den Polytheismus anbelangt, so akzeptiere ich durchaus die Wahrheit der vielen Formen und Persönlichkeiten des Einen, die seit vedischen Zeiten die spirituelle Essenz indischen Polytheismus war; diesen Polytheismus kann man als eine Art zweitrangigen Aspektes auf der Suche nach dem Einen, dem einzigen Göttlichen betrachten. Doch die Stelle, auf die Prof. Sorley sich bezieht, betrifft etwas anderes – jene kleinen Götter und Titanen, von denen dort die Rede ist, sind überphysische Wesen anderer Ebenen. Es wird nicht gesagt, dass sie wahre Gottheiten seien und angebetet werden sollten – im Gegenteil, es wird angedeutet, dass, ihren Einfluss anzunehmen, zu Irrtum und Verwirrung führen würde oder zu einem Abweichen vom wahren spirituellen Weg. Ohne Zweifel besitzen sie eine gewisse Macht, etwas zu erschaffen, sie sind Schöpfer von Formen auf ihre eigene Weise und in ihrem begrenzten Bereich; doch ebenso sind die Menschen Schöpfer von äußeren und inneren Dingen in ihrem eigenen Bereich und innerhalb ihrer Grenzen – und diese schöpferischen Mächte der Menschen können sogar Rückwirkungen auf die überphysischen Ebenen haben.
Ich stimme der Ansicht durchaus zu, dass Asketizismus übertrieben werden kann. Er hat seine Berechtigung als ein Mittel – aber nicht als das einzige – der Selbstmeisterung; doch ist Asketizismus, der das Leben abschneidet, eine Übertreibung, wenn auch eine, die viele bemerkenswerte Ergebnisse zeitigte, die auf andere Weise kaum erzielt worden wären. Das Spiel der Kräfte in dieser Welt ist geheimnisvoll und entzieht sich jeder festen Regel der Vernunft, und selbst eine Übertreibung wie diese ist oft ein Mittel, etwas herbeizuführen, das zur vollen Entwicklung menschlicher Verwirklichung und Erfahrung