Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland

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Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland


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„Du guckst mich an wie einen Traumtänzer, wirklich! Zugegeben, Film das ist etwas hochgestochen, manchmal verkitscht und mit Schmalz dran. Aber irgendwo enthält so ein Streifen für ein paar Leute auch nützliche Hinweise, ein paar Körnchen Wahrheit oder sonst etwas. Für mich war’s diese verrückte, eigentlich sehr unrealistische Szene. Der englische Außenminister weilt zu einem Treffen mit westlichen und östlichen Kollegen in Genf, macht einen Vorschlag zur Beseitigung der weltweiten Spannungen und erntet schroffe Ablehnung. Man vertagt sich. Der gute Mann bummelt anderntags durch die Stadt, er hat Zeit, die nächste Sitzung ist auf fünf Uhr nachmittags angesetzt. Er hängt seine Leibwächter ab, klettert in ein Ruderboot und freundet sich mit dem Besitzer des Bootes an, einem Jungen, zehn oder zwölf oder vierzehn, ich weiß es nicht mehr. Man rudert auf den See, und durch ein kleines Malheur gehen die Ruder verloren. Der Außenminister lebt in tausend Nöten, der Sitzungsbeginn rückt näher, schließlich resigniert er. Es ist nicht mehr zu schaffen. Und warum soll er sich eilen? Sein Vorschlag ist ja schon abgelehnt. Die zwei Bootsinsassen fischen nach einiger Zeit die Ruder heraus und Pullen ans Ufer zurück, der Außenminister zockelt zurück zum Sitz der englischen Delegation. Dort erfährt er, dass sein Vorschlag angenommen wurde bei einer fehlenden Stimme, seiner eigenen nämlich. Was war passiert? Sein unfreiwilliges Fernbleiben von der Sitzung legte man als Verbitterung über die Ablehnung seines Vorschlages aus, man besann sich und fand, dass der Vorschlag so übel nicht war und Prestigedenken irgendwo enden muss. Ich bin nicht größenwahnsinnig und auch nicht der englische Außenminister, aber einen Versuch ist es wert, meinst du nicht?“

      „Du hast vielleicht Einfälle! Jetzt, wo du’s sagst, erinnere ich mich an den Film. – Walter, das geht nicht, du kannst die Firma nicht vor den Kopf stoßen.“

      „Den Kentenich soll es treffen und ein paar andere. Damit bin ich schon zufrieden. Was ist das denn?“ Er legte lauschend den Kopf etwas schief.

      Aus dem Obergeschoss erklangen abscheuliche Geräusche. Mit Mühe war darin eine Melodie zu erkennen.

      Schließlich ordneten sich die Misstöne, und dann war zweifelsfrei zu hören, dass Tina von dem Cellophanpapier etwas über einen Kamm gespannt hatte und auf dem Haarpflegeinstrument blies.

      Walter lachte lausbübisch. „Stört es dich? Dann schicke ich sie in die übernächste Straße und schärfe ihr vorher ein, unter keinen Umständen zu verraten, wie sie heißt und wo sie wohnt.“ Er schloss die Tür. Der Lärm blieb draußen; zumindest störte das papierene Quäken nicht mehr. „Und da ich mir also für morgen Urlaub gegeben habe, kannst du über mich verfügen.“ Sein Gesicht wurde ernst, seine Augen warben um Vertrauen. „Ist doch ganz verständlich, dass du in Sorge bist und dir wegen dieser – dieser unwissenschaftlichen Diagnose schlimme Gedanken machst. Ich komme mit, um dich auf bessere Ideen zu bringen. Das wird mir schon gelingen.“

      Sie war nicht davon überzeugt. Andererseits graute ihr vor der Fahrt, vor dem, was sie wohl zu hören bekam. Es war vielleicht doch gut, wenn Walter sie begleitete. Seine Nähe wirkte beruhigend, und seine Fürsorge tat ihr wohl.

      Die Angst war immer noch da. Mit einem mal aber war sie nicht mehr so erdrückend gewaltig, so entsetzlich groß.

      9

      Er vermied es, ins Wohnzimmer zu gehen. Er gewann den Eindruck, dass es ihr unangenehm war, wenn er dort das ganze Diazeug auf dem Tisch sah.

      Nach dem Abendessen jedoch war es nicht länger zu umgehen. Walter pflegte sich die Tagesschau und das Wetter anzusehen. Manchmal ließ er den Kasten auch bis zum bitteren Ende flimmern. Das war dann das Zeichen dafür, dass ihm an einer Unterhaltung nicht viel gelegen war. Das wiederum bedeutete, dass er irgendwelche Probleme hatte – berufliche Dinge, über die er noch nicht sprechen wollte.

      Tina feilschte wie jeden Abend um eine Süßigkeit, einen Betthupfer. Und wie jeden Abend reduzierte sie ihren Wunsch auf einen Kaugummi, als die Eltern nicht bereit waren, in längere Verhandlungen einzutreten.

      „Nichts zu machen. Vor dem Schlafengehen gibt’s nichts Süßes, auch keinen Kaugummi“, entschied Walter. „Jetzt ist Abmarsch.“ Und eingedenk des Tricks mit der unters Wasser gehaltenen Zahnbürste, hinter den er erst kürzlich gekommen war, fügte er hinzu: „Die Zähne putzen, und das gründlich. Ich kann feststellen, wenn du mogelst. Füße waschen und so weiter. Und das Licht aus.“

      „Weiß ich ja!“, maulte Tina aufbegehrend und machte bei Vater und Mutter ihre Gute-Nacht-Runde.

      Walter zog ins Wohnzimmer um. In der Tür blieb er stehen: „Das ist dumm! Sie hat doch morgen Schule.“

      „Sie geht zu Gönneweins, das habe ich schon geregelt.“

      „Das war ihr Vorschlag, oder? Weil sie einen Hund haben.“

      „Vielleicht sollten wir uns auch einen anschaffen.“

      „Das muss doch wohl nicht sofort sein? Ich habe nichts gegen Hunde, aber ich sehe sie lieber bei anderen. Kann ich dir in der Küche helfen?“

      „Ist schon alles eingeräumt.“ Eva Maria schaltete den Spüler an und kam durchs Esszimmer.

      Walter stand vor dem Wohnzimmertisch und blickte auf ihre Nachmittagsbeschäftigung. „Die ganzen Dias! Wo waren sie denn?“

      „Im oberen Fach links. Bist du enttäuscht?“

      „Warum sollte ich das sein?“

      „Weil du sie rahmen wolltest.“

      „Drei Winter lang und bin nie dazu gekommen. Finde ich prima, dass du dich darüber hergemacht hast. Was ist denn so alles drauf?“ Sie besaßen Bildstreifen, sogenannte Vier-Jahreszeiten-Filme, die ein ganzes Jahr in der Kamera hatten ausharren müssen, bis alle 36 Aufnahmen heruntergeknipst waren. Wenn diese Filme vom Entwickeln zurückkamen, sorgten sie meist für ziemliche Überraschungen, in jedem Fall aber für Rätselraten. Sie überlegten lange hin und her, wo diese und jene Aufnahme zustande gekommen war.

      „Fast nur Urlaubsbilder“, sagte Eva-Maria zögernd.

      „Die schau ich mir an.“ Er schob sich den Sessel zurecht und ließ die Rähmchen durch den Diabetrachter rutschen. Tina am Strand, im Schlauchboot, beim Muschelsammeln, Eva-Maria dabei, beim Minigolfspiel, vor der Hähnchenbraterei, beim Bummel durch Venedig, wo sich Touristen und Einheimische auf die Füße traten, auf der Fähre von Punta Sabbioni mit zerzaustem Haar, er während der Reifenpanne auf der Autostrada mit Schmutzflecken im Gesicht und auf dem Hemd, wie er versucht, den vollbepackten Wagen mit dem Wagenheber hochzuwinden. Sie alle drei gemeinsam beim Eisessen; ein Campingnachbar hatte sich erboten, die Kamera zweimal zu betätigen.

      Walter schob eines der durchgerutschten Dias noch einmal in den Betrachter. Es zeigte seine Frau beim Ausbreiten der Badelaken am Strand und kauernd Tina, die gerade die Badetasche mit Sand füllt.

      Er schmunzelte, die Szene damals war ihm wieder gegenwärtig. Bloß hatte er sie da nicht besonders lustig gefunden. Die Cremedose und die Plastikflaschen mit der Sonnenschutzmilch waren vom fleißigen Gebrauch schon ziemlich klebrig gewesen; der Sand hatte überall gehaftet und eine ziemliche Schweinerei gemacht.

      Eva-Maria blickte ihm über die Schulter. „Besonders vorteilhaft sehe ich aber nicht aus. Da waren schon zwei Wochen Urlaub um.“

      Er lächelte vor sich hin. Sie meinte die zwei oder drei überflüssigen Pfunde auf Bauch und Hüften, die sie scherzhaft auch schon „ihre Rettungsringe“ genannt hatte.

      Welche Frau war nicht irgendwo ein klein wenig eitel, und welche huldigte nicht der Ansicht, für einen Zweiteiler hätte sie eigentlich noch nicht die richtige Figur?

      Mit Aufmerksamkeit registrierte er, dass sich Eva-Maria mit ihrem Aussehen von vor drei Jahren auseinandersetzte. Auch sie war nicht frei von Eitelkeit.

      „Mir gefällt’s“, brummte er gutgelaunt.

      „Dieser alberne Bikini. Den hast du gekauft.“

      „Du hast dich nicht getraut, in das Geschäft


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