Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland

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Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland


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      Aber schön, wenn er sich was davon verspricht – an mir soll es nicht scheitern, ich spiele mit. Wenn ich heimkomme, bin ich ahnungslos. Sie wird nicht merken, dass ich informiert bin. Und morgen fahre ich mit ihr nach Bonn, das ist überhaupt keine Frage.

      Sind wir nicht in den Jahren etwas auseinander gekommen? Schon eher vielleicht etwas gleichgültig gegeneinander geworden, aber nicht fremd.

      Natürlich liebe ich sie. Das Leben ohne sie kann ich mir nur sehr schwer vorstellen. Ich brauche sie.

      Wenn Hermann meint, dass es auf seelischen Beistand ankommt, dass es wichtig ist, wenn sie Rückhalt bei mir hat – an mir soll es nicht liegen.

      Soll doch der Kentenich mit seinen funkelnden Brillengläsern und seiner penetranten Stimme zusehen, wie er sein Zahlenwerk durchbringt und die Vorstellungen der Geschäftsleitung verwirklicht. Meine Zustimmung kriegt er nicht. Wir müssen expandieren, der Markt verträgt es noch. Statt hier rum zu mosern, soll er besser dem Verkauf Feuer unterm Hintern machen.

      Entlassungen hat Eva gefragt. Selbst heute Morgen, als sie vor Schmerzen kaum ein noch aus wusste, hat sie sich Gedanken um die Firma und um meine Arbeit gemacht. Sie hat immer Verständnis, ist auch kritisch, aber stets bei der Sache.

      Jemand stieß ihn unterm Tisch an.

      Er schreckte aus seinen Gedanken hoch und blickte mitten in die alten grauen Augen der Finkenschläger hinein. Sie war seine langjährige Sekretärin, ein bewährtes Semester, von Anbeginn an in der Firma, hatte jeden Sturm mitgemacht, der die Firma zauste. Der machte niemand etwas vor. Auch der Kentenich nicht, dessen Mundwerk wie eine Klappermühle ging.

      Sie hatte ihm hinterbracht, dass man sich mit dem Gedanken trug, den Personalbestand einiger Abteilungen zu beschneiden. Lange, bevor die Geschäftsleitung offiziell ihre Absicht bekanntgab. Die Neueinstellungen zuerst und die Alten.

      Mit keinem Wort hatte sie darum gebeten, doch sie zu behalten. Olga Finkenschläger hatte nie gebettelt. Sie war immer da bereit, verständnisvoll, mit einem sagenhaften Gedächtnis für weit zurückliegende Geschäftsvorgänge. Oft genug hatte sie den Jahresurlaub zugunsten einer jüngeren Kollegin verschoben und sich wenig erholsame Regenwochen eingehandelt. Zweimal auf die Kur verzichtet, weil die Firma sie brauchte.

      Das war ihr Verständnis von Arbeitsmoral und Disziplin.

      Du nicht, Mädchen!, dachte Walter Becker. Auf dich kann die Firma nicht verzichten!

      „Herr Becker!“ Schneidend drang Kentenichs Stimme an seine Ohren. „Darf ich um Ihre geschätzte Meinung zu meinen bisherigen Ausführungen bitten?“

      Au Backe! Er geriet ins Schwimmen. Welchen Haushaltsposten hatte Kentenich gerade dazwischen, an welchen Beträgen zwackte er herum?

      Sein hilfesuchender Blick flog quer über den Tisch zu Olga Finkenschläger, die Protokoll führte. Leicht schüttelte sie den Kopf, dann blickte sie auf ihre Niederschrift, dass er nur noch einen grauen Scheitel sah.

      „Das sollte alles noch einmal reiflich überlegt werden“, sagte er vorsichtig.

      Der Verkauf scharrte unruhig mit den Füßen. Kentenich klappte den Mund weit auf. Dann warf er den Kopf hoch, als hätte ihm jemand Ohrfeigen angeboten; die Brille rutschte auf die Nasenspitze. „Waa-as? Das ist nicht Ihr Ernst, ich bitte Sie!“

      „Mein voller Ernst. Wir müssen expandieren, statt uns zurückzuziehen. Die Mittel sind vorhanden. Warum wollen wir der Konkurrenz freiwillig Terrain überlassen? In zwei, drei Jahren müssten wir dann die verschleuderten Marktanteile zurückerobern, was wesentlich kostspieliger ist als zum gegenwärtigen Zeitpunkt der beharrliche Ausbau unserer Stellung. Wir müssen nur den Schwerpunkt verlagern. Jetzt sind Wärmepumpen vorn. Die Konkurrenz hat das begriffen, nur bei uns ist das noch nicht in die oberste Etage vorgedrungen. Ich habe den Eindruck, dass unsere Analytiker ihr Gehalt im Schlaf verdienen.“

      Prustendes Gelächter brandete auf. Kentenich rang um Fassung; in der Abteilung Marktforschung und Analyse hatte er ziemlich viel zu sagen.

      Er griff nach seinen Unterlagen und fuchtelte erregt damit herum. „Der Bereich Erdgasbrenner und Thermen hat uns in den ersten sechs Monaten dieses Jahres über eine Million Verlust gebracht! Bitte!“

      „Denken Sie an Ihren Blutdruck!“, riet Walter Becker grob. „Diese Entwicklung war vorauszusehen. Die Planung hat eindringlich vor einem verstärkten Engagement gewarnt. War ja schließlich bekannt, wie der Heizölpreis anzog. Und nur logisch, dass er das Erdgas mitreißt.“

      „Ja, im nach hinein sind Sie der große Schlaumeier!“, keuchte Kentenich.

      „Soll ich die Protokolle verlesen lassen?“, bot Walter Becker an. „Die Abteilung Planung hat nie mit ihrer Meinung hinterm Berge gehalten. Wir haben frühzeitig gewarnt. Wir sind leider nicht verstanden worden oder man wollte uns nicht verstehen.“

      „Unerhört!“, schimpfte Kentenich.

      Ungerührt erklärte sein Widersacher: „Wärmepumpen, zwei Typen. Für Einfamilienhäuser zwischen hundert und hundertfünfzig Quadratmeter. Und Mehrfamilienhäuser, Richtwert fünfhundert Quadratmeter. Da liegt der Markt der nächsten Jahre. Wir stehen erst am Beginn der Energiekrise. Das sollten Sie bedenken, und nicht vor lauter roten Zahlen, Bedenken und Einwänden den Blick für die Realitäten und Erfordernisse des Marktes verlieren.“

      Kentenich schmetterte seine Unterlagen auf den Tisch. „So kommen wir keinen Schritt weiter. Wir müssen uns erst mal gesundschrumpfen, dann erst können wir in die Planung für die weitere Zukunft eintreten ...“

      „Und hinterherlaufen“, unterbrach ihn Walter Becker. „Wozu sitzen wir denn bloß zusammen? Glatte Zeitvergeudung ist das.“

      „Also noch einmal von vorn“, verkündete Kentenich matt. „Wir projektieren nicht für die Zukunft, sondern machen uns Gedanken darüber, wie wir unseren Kostenapparat senken können. Nichts anderes.“

      Walter malte wieder Windmühlen und dachte: Der Mensch bringt es noch fertig, die Firma an den Bettelstab zu bringen. Er ist keinem vernünftigen Argument zugänglich.

      Und er hat einen guten Draht nach oben. Da hören sie blind auf ihn. Zum Donnerwetter, wo bleibt bloß die Vernunft? Man kann ja fast meinen ...

      Olga Finkenschläger protokollierte den dritten Anlauf von Kentenich. Zwei Mann vom Verkauf entschliefen sanft.

      6

      Sie las wie besessen. Speziell in dem einen Buch stand eine Menge über Tumoren und Karzinome. Es gab gutartige, therapierbare, operable, bösartige, mit und ohne Metastasen, stehengebliebene, auch inoperable. Das Spektrum reichte weit.

      Sie fühlte sich verunsichert, zeitweilig sogar beruhigt. Dann aber flackerte wieder die Angst auf. Was war, wenn ihre Erkrankung nicht mehr zu heilen war?

      Wie lange dauerte es dann noch? Monate, ein, zwei Jahre?

      Vielleicht wurde sie bettlägerig und ein Pflegefall.

      Sie lehnte sich auf, versuchte die Furcht zu verdrängen. Tina brauchte sie doch noch, Walter auch. In Haushaltsdingen war er rührend unbeholfen.

      Wenn sie aber sterben musste, heiratete er dann wieder?

      Der Gedanke tat ihr weh.

      Wahrscheinlich, schon wegen Tina. Der Beruf ließ ihm nicht die erforderliche Zeit für die Erziehung. Tina liebte die Schule nicht sonderlich, sie sah sie eher wie eine lästige Pflicht an und ging hin, weil alle Kinder zur Schule gingen. Vielleicht änderte sich das noch.

      Sie musste ständig dazu angehalten werden, die Schulaufgaben zu machen. An den Wochenenden nahm Walter ihr manchmal die Aufsicht ab und dann mogelten er und Tina; er sagte ihr die Lösungen vor.

      Sie hatte nie zu erkennen gegeben, dass sie den beiden längst auf die Schliche gekommen war. Das gute Vater-Tochter-Verhältnis war erfrischend und wohltuend und Ursache mancher lustigen


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