Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland

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Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland


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      Ganz so aufgekratzt, wie sich Dr. Mittler am Telefon gegeben hatte, war ihm nicht zumute.

      Wenn die geschilderten Symptome ihrer Richtigkeit entsprachen, dann war Eile geboten.

      Er verschwendete keinen Gedanken daran, warum Eva-Maria nicht zu diesem Kollegen Scharnitz wollte. Sie hatte sich entschieden, nach Bonn zu kommen. Frauen sind liebenswerte, aber höchst komplizierte Geschöpfe, und weder Freud noch Nietzsche war es gelungen, die Tiefe der weiblichen Psyche auszuloten oder eine verbindliche Aussage darüber zu machen. Mit einem Wort: Die Frauen waren ihm ein Rätsel.

      Sie wollte nach Bonn kommen. Also musste ein Termin her. Vielleicht tat ihm die Angern einen Gefallen und schob sie dazwischen. Er trank den Rest des kalt gewordenen Kaffees und machte sich auf den Weg.

      Vor dem Fenster der Säuglingsstation hatte die resolute Hebamme einen Mann beim Wickel und putzte ihn herunter. Ihre Worte prasselten wie Hiebe: „Ein schöner Vater sind Sie! Steigen Sie doch selber auf die Leiter, wenn Ihnen die Fenster zu dreckig sind ...“

      Es handelte sich offenbar um den Ehemann des Beckenringbruches. Hauk machte bereits einen recht zusammengefalteten Eindruck. Von seinem Schwips war auch nicht mehr viel übrig.

      „Dat Anne is ein dummes Luder!“, krächzte er aufbegehrlich in unverfälschtem rheinischem Dialekt. „Dat Blag körn vill ze fröh.“

      Kopfschüttelnd ging Dr. Mittler vorbei. Wenn Hauk das Kind zum gegenwärtigen Zeitpunkt unerwünscht war, dann hätte er sich das früher überlegen müssen. Aber nicht seiner Frau die Schuld zuschieben. Das war vielleicht eine rheinische Frohnatur!

      In Winters Vorzimmer standen zwei Polizisten und feilschten mit Renate Angern, der Sprechstundenhilfe, um einen Termin beim Oberarzt.

      Dr. Winter war auf Visite, und die Angern blieb liebenswürdig und standhaft.

      Mittler hörte mit einem Ohr hin.

      Die Beamten drängten auf eine Einvernehme des Flugunfalles. Aus den Erklärungen entnahm er, dass die missglückte Notlandung schon eher ein astreiner Absturz war. Im Vorgebirge, einer Landschaft zwischen Bonn und Köln. Die Reisemaschine hatte den angepeilten Salatacker verfehlt, ein Haus gestreift und war in die Scheune gekracht. Der Berufspilot war tot.

      „Sie verschwenden Ihre Zeit, meine Herren! Die Patientin befindet sich überdies auf der chirurgischen Abteilung. Wenden Sie sich bitte an Oberarzt Doktor Rose.“ Höflich komplimentierte die Sprechstundenhilfe die Beamten hinaus.

      „Eine Kratzbürste!“, machte draußen einer seinem Unmut Luft, bevor sich die Tür schloss.

      „Aber niedlich!“, milderte der andere.

      Feixend betrachtete Dr. Mittler das Mädchen. „Dann sehen Sie mal in Ihrem schlauen Terminkalender nach, Sie niedliche Kratzbürste, ob Sie mich noch mit einem Termin unterbringen können. Möglichst bald.“

      Verwundert schaute sie zu ihm auf und räusperte sich dezent.

      „Für eine Jugendfreundin, wo denken Sie hin?“, sagte er erklärend. „Glücklich verheiratet, hat ein süßes Mädchen im Alter von etwa acht Jahren.“

      „War sie schon bei uns?“

      „Mit Sicherheit nicht, Sie können Ihre Kartei ruhen lassen. Eine Bekannte von ihr war kürzlich bei Ihrem Chef und sehr angetan.“

      „Eine Empfehlung demnach“, sagte Renate Angern etwas geschäftsmäßig. Sie zog den Terminkalender heran. „Können Sie mir schon Näheres sagen? Schwangerschaft oder so?“

      „Ich wünschte wahrhaftig, es wäre an dem.“ Er seufzte. „Sie hegt den Verdacht, dass sie an Krebs leidet. Verständlicherweise lässt ihre seelische Verfassung zu wünschen übrig. In solchen Fällen sollte man dem Patienten nicht widersprechen. Ich machte mich eben für einen frühen Termin bei Kollege Winter stark. Nun enttäuschen Sie mich nicht.“ Renate Angern nickte verständnisvoll. Sie kannte das, wenn völlig verstörte oder hilflos verschreckte Frauen zur Sprechstunde kamen und von Krebs redeten. Die nackte Angst stand ihnen in den Augen.

      Sie blätterte im Terminkalender. „Morgen um elf?“

      „Eher nicht?“

      „Ausgeschlossen. Mit einer Fünf-Minuten-Sitzung kommen wir da nicht aus, Herr Doktor. Geht das?“

      „Es hat zu gehen. Ich kümmere mich schon darum.“

      Sie griff zum Kugelschreiber. „Wie ist der Name?“

      „Eva-Maria Becker, sechsunddreißig. Wohnt außerhalb. Ich möchte ihren Mann veranlassen, mit ihr herzukommen.“

      Sie trug den Namen ein und blickte hoch. „Ein guter Gedanke.“

      Er nickte und verließ die Ordination. Hoffentlich schaffte er es auch, Walter zu überzeugen, ohne ihn in Furcht und Schrecken zu stürzen.

      Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es halb elf Uhr war. Eine wichtige Konferenz war niemals so wichtig wie die Gesundheit eines Menschen.

      Er ging in sein Stationszimmer, trat ans Fenster und blickte auf den Venusberg und die Gebäude des Justizministeriums, ohne wirklich etwas zu sehen.

      Ein unseliger Leichtsinn von Evi, sich um die Vorsorgeuntersuchungen gedrückt zu haben!

      Er machte sich Vorwürfe, weil er bei seinen gelegentlichen familiären Besuchen nicht mal auf die Notwendigkeit regelmäßiger medizinischer Inspektionen hingewiesen hatte.

      Was war, wenn die morgige Untersuchung ein positives Ergebnis brachte? Evi kannte er, durch und durch. Aber wie verhielt sich Walter?

      Er hatte hier schon Erschütterndes miterlebt, Männer gesehen, die ihre Frauen noch mit heftigen Vorwürfen überhäuften, statt ihnen beizustehen und Rückhalt zu sein. Etliche Gemütskannibalen hatten sich sogar umgehend eine Freundin zugelegt oder das schon bestehende heimliche Verhältnis ans Tageslicht geholt.

      Von Beistand für die armen Frauen konnte da wirklich nicht mehr die Rede sein.

      Er wusste nicht, inwieweit er auf Walter zählen konnte. Er sagte sich, dass er sich andererseits nicht derart in der Beurteilung eines Menschen täuschen konnte, den er jahrelang kannte.

      Ein Rest Unsicherheit blieb dennoch.

      Wieder schaute er auf die Uhr. In fünfzehn Minuten begann die Konferenz in Köln.

      Er kämpfte einen harten Kampf mit sich und machte sich die Entscheidung nicht leicht. Walter musste informiert werden von ihm, nicht allein von Eva-Maria.

      Bedeutete es aber nicht einen Vertrauensbruch Evi gegenüber, wenn er eigenmächtig Walter anrief?

      Die Sorge um die Gesundheit einer Frau überwog letztlich seine Bedenken. Hatte er hier nicht schon Frauen hinausgehen sehen, deren Schicksal jeden Vertrauensbruch legalisiert hätte, wenn man ihnen damit noch hätte helfen können? Nicht in Bezug auf den Krankheitsverlauf, sondern im Hinblick auf das, was sie sich selbst antaten.

      Zwei besonders tragische Fälle hatten sich unauslöschlich in seinem Gedächtnis fest gebrannt.

      Der eine, erst achtundzwanzig Jahre jung, war mit dem Ehemann dagewesen. Als der Frau das Untersuchungsergebnis eröffnet wurde, brach sie zusammen, der Mann drehte sich nur wortlos um – kein Wort des Trostes, keine liebevolle Geste. Zwei Tage später sprang die Frau von der Kennedybrücke in den Rhein.

      Der andere Fall: Die Frau hatte unbewegten Gesichts die Eröffnung des Befundes hingenommen und dann darum gebeten, ihrem Mann kein Wort zu sagen; kranke Menschen seien ihm zuwider. Dann war sie gegangen, aufrecht, ungebeugt, scheinbar stark wie ein Baum. Und auf dem Heimweg hatte sie den Wagen gegen einen Brückenpfeiler gelenkt. In voller Absicht, wie später die polizeilichen Ermittlungen und die Zeugenaussagen ergaben.

      Er konnte nicht voraussagen, wie Eva-Maria reagierte, wenn bei ihr der Befund positiv ausfiel. In Ausnahmesituationen


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